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© dpa

Charité: „Die Charité bleibt weit hinter ihrem Potenzial“

Experten vom Verband der Universitätsklinika kritisieren Senat und Fusionsprozess.

Im Streit um die Zukunft des Klinikum Steglitz und der gesamten Charité greift der Verband der Universitätsklinika Deutschlands den Berliner Senat an. Dieser trage eine „große Verantwortung“ für die derzeitigen Probleme der Charité und behandele die Fusionsprobleme „unehrlich“. Der Senat müsse endlich „klar sagen, wie viel Geld er der Charité auf mittlere Sicht geben will und welche Strukturentscheidungen er in der Folge mitzutragen bereit ist“, sagten Jörg Rüdiger Siewert, der Vorsitzende des Verbandes, und Generalsekretär Rüdiger Strehl dem Tagesspiegel. Stattdessen laviere die Berliner Politik seit Jahren, wo sie mit der Charité eigentlich hinwolle.

„Man kann sich offenkundig nicht auf ein Konzept verständigen und daran zunächst mal ohne neue Debatten mindestens fünf Jahre festhalten“, sagten Siewert und Strehl übereinstimmend. „Für den Vorstand der Charité ist das unzumutbar“. Wegen des Zickzackkurses der Politik bleibe die Charité derzeit „weit hinter ihrem Potenzial“, auch wenn sie „auf hohem Niveau“ leide. Leistungsträger würden verunsichert, Neuzuberufende abgeschreckt. Kritik übt der Verband auch am Klinikums-Vorstand: „Intern scheint das Vertrauensverhältnis zwischen wichtigen Leistungsträgern und dem Vorstand gestört.“

Siewert und Strehl führen seit Jahrzehnten große deutsche Universitätskliniken. Der Chirurg Siewert leitet seit 2007 das Universitätsklinikum Heidelberg, zuvor war er zwanzig Jahre Ärztlicher Vorstand des Uniklinikums Rechts der Isar München. Als es 2002 um die Zukunft der Berliner Universitätsmedizin ging, saß er in der Experten-Kommission, die ein Konzept für die Großfusion des Benjamin-Franklin-Klinikums in Steglitz, des Virchow-Klinikums in Wedding und des Standorts Mitte unter dem Dach der Charité erarbeitete. Strehl führte bis zum vergangenen Jahr als Kaufmännischer Vorstand die Uniklinik Tübingen, zuvor war er bis 1993 in der Berliner Wissenschaftssenatsverwaltung für die Hochschulmedizin verantwortlich.

Strehl sagte, in der Debatte um die Zukunft der Berliner Unimedizin Anfang des Jahrzehnts hätten beide – Siewert und er – den Fusionsplänen bereits skeptisch gegenübergestanden. Das damalige Hauptargument gelte in seinen Augen unverändert: „Geld und Strukturen sind nicht realistisch aufeinander abgestimmt“. Der Senat müsse sich daher entscheiden: „Entweder ein klares Bekenntnis zu allen drei Standorten und damit zu deutlich höheren Zuschüssen als bisher geplant. Oder ein Bekenntnis zu niedrigeren Zuschüssen und damit zu einer Reduzierung der Standortzahl.“

Beim Erhalt der drei Standorte müsse Berlin vor allem für die nötigen Baumaßnahmen mehr Geld aufbringen, sagte Strehl. Die Charité rechnet hier mit 636 Millionen Euro, bisher hat der Senat 195 Millionen bewilligt. Noch immer ist unklar, wie genau die Investitionen aussehen – was im Abgeordnetenhaus Streit auslöst. Lisa Paus, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, wirft dem Senat vor, eine Vorlage des Investitionsplans zu verzögern. Statt im September soll er erst im November vorliegen. Es sei absehbar, dass auch dieser Termin nicht eingehalten werde. Eine ordnungsgemäße Diskussion bei den Haushaltsberatungen im Hauptausschuss sei so nicht möglich.

Bei den Zuschüssen für die medizinische Forschung und Lehre stehe Berlin im bundesweiten Vergleich trotz der Kürzungen der vergangenen Jahre noch immer relativ gut da, sagte Strehl. Allerdings seien auch hier mehr Mittel notwendig, wenn die Charité neue Spitzenforscher berufen wolle.

Könnte eine Teilprivatisierung des Klinikums Steglitz eine Lösung für die Probleme der Charité sein? Das hat FU-Präsident Dieter Lenzen vor kurzem bei seinem Vorstoß gefordert, Steglitz aus der Charité herauszulösen und wieder der FU einzugliedern. Jörg Rüdiger Siewert schloss eine Privatisierung nicht prinzipiell aus. Ein „Generalverdacht“, private Klinikträger würden Forschung und Lehre unangemessen beeinflussen, sei „unbegründet“. Das zeigten „teilweise extrem erfolgreiche Beispiele im Ausland“.

Man dürfe allerdings nicht davon ausgehen, dass sich ein Privatinvestor mit einem Anteil von weniger als 50 Prozent begnügen würde, wie Lenzen es vorschwebt. Ein Investor könne nur bei einer Mehrheitsbeteiligung „Kapitaldienst und Rendite sichern“. Für Steglitz sei es sinnvoll, nicht die Krankenversorgung zu privatisieren, sondern die Baukosten auf Private zu übertragen. Das Klinikum würde sich die Bauten dann von den Geldgebern zurückleasen, wenn diese die Bauten errichtet oder saniert haben. Schon dieses Szenario würde das Klinikum viel Geld kosten, sagte Siewert. Bei den für Steglitz veranschlagten Bausummen von 200 Millionen Euro müsste das Klinikum pro Jahr 30 Millionen Euro mehr erwirtschaften, um etwa die Leasingraten bezahlen zu können – „bei der derzeitigen Verlustlage ein eher schwer erreichbares Ziel“, warnte Siewert. Vermutlich sei das den Verfechtern des Konzeptes „nicht hinreichend deutlich“.

Andererseits könnte ein eigenständiges Klinikum Steglitz mit einem privaten Investor womöglich sogar einen leistungssteigernden Wettbewerb in Berlin entfachen. Eine Konkurrenz zwischen Uniklinika verschiedener Träger ermögliche „vielleicht die komplementären Schwerpunktbildungen, die im innerbetrieblichen Dialog nicht erreichbar sind“, sagte Strehl. Wenn Fusionen nach vielen Jahren nicht funktionierten, „sollte man auch ihren Abbruch erwägen.“ Tilmann Warnecke

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