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Charité: Ruf auf Widerruf: Forscher unter Verdacht

Die Berliner Charité will die Berufung eines Professors wegen auffälliger Studien zurücknehmen. Der Betroffene sieht sich als Opfer einer persönlichen Fehde.

Eigentlich war die Karriere von S. äußerst vielversprechend. Der Forscher wurde für seine Dissertation 2002 an der Humboldt-Uni mit einem Preis ausgezeichnet. Im Jahr darauf erhielt er einen internationalen Preis für Selenforschung, weil er nachgewiesen hatte, dass das Spurenelement Selen Gehirnzellen nach Schlaganfällen vorm Absterben bewahren kann. S. arbeitete an der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich und an der Charité. Im November 2008 kam dann der vorläufige Höhepunkt: S. erhielt einen Ruf an die Charité als Professor für Anatomie und Neuroanatomie. Eigentlich schien alles klar. Im elektronischen Telefonbuch der Charité war er sogar schon als Professor verzeichnet. Es fehlte nur noch die letzte Unterschrift unter dem Vertrag.

Aber die letzte Unterschrift wird nicht mehr kommen. Stattdessen wird die Charité die Wissenschaftsverwaltung wohl darum bitten, den Ruf aufzuheben. Das empfiehlt jedenfalls eine Untersuchungskommission der Charité. Die Kommission hatte seit Juli 2009 Vorwürfe gegen S. geprüft. Ihr Ergebnis: Es könne zwar nicht nachgewiesen werden, dass S. Daten vorsätzlich gefälscht hätte. S. habe aber zumindest grob gegen die wissenschaftliche Sorgfaltspflicht verstoßen. Das erfuhr der Tagesspiegel aus zuverlässiger Quelle. S. bestreitet die Vorwürfe.

Am Abend teilte der Vorstand der Charité mit, es werde nun geprüft, welche Konsequenzen aus den Untersuchungsergebnissen zu ziehen seien. Dies schließe mögliche dienstrechtliche Schritte mit ein. „Der betroffene Wissenschaftler wird zur Korrektur oder zum Rückzug der beiden Veröffentlichungen aufgefordert“, hieß es in der Pressemitteilung.

S. hatte 2007 mit dem Chemiker K. eine gemeinsame Veröffentlichung anvisiert. K. arbeitet bei der Abteilung für molekulare Spurenelementforschung in den Biowissenschaften am Berliner Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie. Die beiden wollten Mäuse untersuchen, die zu wenig des Spurenelements Selen in ihrer Nahrung hatten, zerstritten sich aber.

Die Gründe, die sie angeben, sind unterschiedlich, klar ist aber, dass der Streit eskalierte. S. reichte später beim „Journal of Neurochemistry“ ein Manuskript zur Veröffentlichung ein. K. behauptet, ein Teil der Daten darin sei von ihm gestohlen, andere seien gefälscht. So habe S. angegeben, die Experimente an mehr Tieren durchgeführt zu haben, als tatsächlich geschah. Auch in einer anderen Veröffentlichung von S. will K. „grobe Fehler“ entdeckt haben. Mit diesen Vorwürfen wendete K. sich an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die eine Untersuchung begann. Auch an der Charité wurde eine Untersuchungskommission tätig. Die hat inzwischen einen vorläufigen Abschlussbericht verfasst.

Darin kommt die Kommission zu keinem schmeichelhaften Urteil: Es habe zwar nicht bewiesen werden können, dass S. Daten bewusst geschönt habe. Aber einige der Vorwürfe gegen S. hätten nicht widerlegt werden können. So habe S. bei einem Experiment klar geschrieben, dass die Daten von Versuchen an mehreren Ratten stammten, obwohl nur eine einzige Ratte untersucht worden sei. Das sei aber wissenschaftlich indiskutabel. S. bestreitet, dass in dem Manuskript von mehreren Ratten die Rede sei.

S. gibt zwar zu, dass ihm in einer anderen Publikation, die von der Untersuchungskommission geprüft wurde, ein Fehler unterlaufen sei. Es sei ärgerlich, dass dieser Fehler weder ihm noch den anderen Autoren aufgefallen sei. Alle weiteren Vorwürfe bestreitet er aber. S. sieht sich als Opfer einer persönlichen Fehde.

Dem Tagesspiegel sagte er, er wisse von den Entscheidungen in seinem Fall noch nichts. Aus Charité-Kreisen hieß es, einen Termin am Dienstag habe S. platzen lassen. Es wäre nicht das erste Mal. Im Februar hatte S. den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen K. beantragt. Darin sollte K. unter anderem untersagt werden, zu behaupten, S. „müsse sich derzeit vor mehreren Untersuchungskommissionen wegen des Verdachts wissenschaftlichen Fehlverhaltens verantworten.“

S. argumentierte in einem Schreiben vom 12. Februar, das Verfahren an der DFG sei inzwischen abgeschlossen und es laufe lediglich die Untersuchung an der Charité. Am Morgen der Verhandlung über die einstweilige Verfügung zog S. den Antrag aber zurück. Vor Gericht erschien nur die Gegenseite.

Tatsächlich ist die DFG-Untersuchung bis heute nicht abgeschlossen. Nachdem der DFG nun das Ergebnis der Charité-Untersuchung vorliegt, ist aber bald mit einem Ergebnis zu rechnen. Auch am Helmholtz-Zentrum Berlin überprüft eine Untersuchungskommission eine Publikation, an der S. beteiligt war. Das Verfahren laufe noch, sagte eine Sprecherin des Zentrums. Für eine abschließende Bewertung werde noch auf Stellungnahmen der beteiligten Forscher gewartet. Auch hier könnte aber bald ein Ergebnis vorliegen.

Doch nicht nur S., auch K. sieht sich als Opfer. Die Untersuchung der DFG sei zunächst verschleppt worden, ihm sei nahegelegt worden, die Vorwürfe fallen zu lassen, behauptet er. Er sieht weit mehr Forscher in die Sache verwickelt. „S. stellt nur die Spitze des Eisberges dar“, sagt K.

Zumindest in einer Hinsicht hat er damit Recht: Immer wieder werden in Publikationen auch namhafter Wissenschaftler Fehler, unzureichende statistische Auswertungen und Unstimmigkeiten kritisiert. Forscher sind sich einig, dass eine genaue Überprüfung auch jenseits der großen Fälschungsskandale bei vielen Publikationen Fehler und Schwächen aufdecken würde.

Die Forderung, die Berufung von S. zum Professor zurückzunehmen, sei insofern zwar hart, aber trotzdem richtig, sagte ein Beteiligter: „Es geht ja schließlich um einen Ruf auf die Position eines Hochschullehrers und der sollte ein Vorbild für Nachwuchswissenschaftler sein.“ Kai Kupferschmidt

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