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Die Chemienobelpreisträger 2010.

© AFP

Chemie-Nobelpreis: Kuppler für Kohlenstoff

Auf einfachem Weg zu komplizierten Molekülen: Die drei Chemiker folgten nur ihrer Neugier. Heute werden mit ihren Methoden Medikamente hergestellt.

Ausgerechnet Richard Heck. Das war der erste Name, der gestern Morgen bei der Verkündung des Chemienobelpreises in Stockholm genannt wurde und so manchem dürfte der amerikanische Ausdruck „What the heck?“ („Was zum Teufel?“) eingefallen sein. Denn weder Heck noch die beiden anderen Preisträger Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki sind außerhalb der Grenzen ihres Fachs bekannt. Dabei hat ihre Forschung die Labors längst verlassen. „In den vergangenen Jahren war beim Chemienobelpreis die praktische Anwendung der geehrten Forschung häufig nicht so sichtbar. Aber die Techniken, die jetzt geehrt wurden, sind enorm wichtig in der Industrie“, sagt Matthias Beller vom Leibniz-Institut für Katalyse in Rostock.

Die Leistung, für die die drei den Nobelpreis erhalten, kann einfach umschrieben werden: Sie haben dem Kohlenstoffatom Beine gemacht. Soll heißen: Sie haben Methoden entwickelt, um komplizierte Moleküle aus Kohlenstoffatomen zu bauen.

Das ist entscheidend. Denn das Leben basiert auf dem Element Kohlenstoff. Unser Körper besteht zu etwa einem Viertel aus diesem Element und die meisten natürlichen Stoffe, die uns beeinflussen, haben ein Gerüst aus Kohlenstoff, ob Koffein, Testosteron oder Adrenalin. Entsprechend arbeiten Chemiker auch meist mit Kohlenstoffatomen, wenn sie ein neues Molekül herstellen wollen, egal ob es darum geht Krebs zu bekämpfen, Halluzinationen auszulösen oder Maisfelder vor Schädlingen zu schützen.

Und es ist schwer. Denn Kohlenstoffatome sind träge. Die Natur setzt sie zwar mit spielerischer Leichtigkeit zu Ketten, Ringen und kunstvollen Kohlenstoffkathedralen zusammen. Aber wenn der Mensch sich als Baumeister betätigen will, hat er ein Problem.

Wie leicht sich ein Atom mit einem anderen verbindet, hängt davon ab, wie viele Elektronen in der äußersten Hülle verfügbar sind. Beim Kohlenstoff sind das normalerweise vier, aber bei den Ausgangsstoffen der Chemiker handelt es sich nicht um einzelne Atome, sondern um kurze Ketten und kleine Ringe, die meist aus Erdöl gewonnen werden. Und sie haben in der Regel durch die Bindung zu anderen Atomen ihre äußere Schale aufgefüllt.

Um Kohlenstoffmoleküle miteinander zu verknüpfen, bedarf es also eines Tricks. Jeder der Nobelpreisträger hat so einen Trick entwickelt und sie alle nutzten dafür das Metall Palladium. Die grundsätzliche Idee: Die beiden Moleküle, die verbunden werden sollen, binden beide an das Palladium und werden dadurch so nah aneinandergebracht, dass sie miteinander reagieren. Chemiker sprechen von einer Kupplungsreaktion, die durch Palladium katalysiert wird.

Richard Heck entwickelte diese Technik des molekularen „Matchmakings“ Ende der 60er Jahre. Anstoß war auch das deutsche Unternehmen Wacker Chemie AG, das in den 50er Jahren Palladium nutzte um die Chemikalie Acetaldehyd herzustellen. 1977 erfand Ei-ichi Negishi dann eine weitere Variante und 1979 schließlich kam die Suzukireaktion hinzu.

„Das war damals reine Grundlagenforschung“, sagt der Katalyseforscher Beller. Mitte der 80er Jahre habe Heck sogar Probleme gehabt, Forschungsgeld aufzutreiben und deswegen das Feld verlassen, erinnert sich Beller. „Erst in den 90er Jahren wurde das enorme Potenzial entdeckt und seitdem wächst das Feld wieder.“ Sicher einer der Gründe, dass Heck-, Negishi- und Suzuki-Reaktion jetzt geehrt wurden.

„Diese drei Techniken erlauben die Herstellung einer Vielzahl von Molekülen, die in der Medizin, im Pflanzenschutz und in der Elektronik wichtig sind“, sagt Beller. Viele der Verbindungen habe man auch früher schon synthetisieren können, aber es war sehr viel teurer und langwieriger – und häufig kam unterm Strich zu wenig des erwünschten Endproduktes heraus.

Deshalb haben sich die neuen Techniken in der Industrie durchgesetzt. Die Methoden werden etwa bei der Herstellung des Asthmamittels Montelukast und des Schmerzmittels Naproxen eingesetzt. „Ohne diese Techniken würde es heute auch LCD-Bildschirme nicht so günstig geben“, sagt Beller. Außerdem wird die Technik zur Abwandlung vorhandener Substanzen genutzt. So haben Forscher das wichtige Antibiotikum Vancomycin mit ihrer Hilfe so abgewandelt, dass es auch bei resistenten Bakterien wieder wirkt.

Auch für Naturstoffforscher sind die Techniken wichtig. Die Wissenschaftler untersuchen Stoffe, die in Schwämmen, Insekten oder Froschhaut gefunden wurden und interessante Eigenschaften haben, also zum Beispiel Viren töten oder Krebszellen am Wachsen hindern. Doch meist lassen sich nur winzige Mengen der Stoffe aus Tieren und Pflanzen gewinnen, so dass die Forscher darauf angewiesen sind, sie im Labor nachzubauen, um sie untersuchen zu können.

Ironischerweise nutzen die Forscher dafür Mittel, die der Natur offenbar nicht zur Verfügung stehen: Weder die Heck-Reaktion noch die Negishi- oder die Suzukireaktionen haben ein Vorbild in der Natur. Sie sind menschliche Abkürzungen durch den Raum der Kohlenstoffchemie.

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