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Mit Ausdauer. Freiwillige Helfer bringen mitunter viel Zeit für die Hobby-Forschung auf und werden so zu echten Experten.

© picture alliance / dpa

Citizen Science: Die Forscher von nebenan

Von Astronomie bis Vogelkunde – immer mehr Menschen engagieren sich in ihrer Freizeit für Wissenschaft. Die Möglichkeiten des Internets sowie einfach zu benutzende Apps erleichtern die Mitarbeit spürbar.

Von Katrin Schulze

Frank Clemens ist wieder unterwegs. Jetzt, da es warm geworden ist, zieht es ihn nach draußen. Schmetterlinge beobachten. Das hat er schon als kleiner Junge getan. Der einzige Unterschied zu früher ist, dass Frank Clemens die Schmetterlinge inzwischen auch zählt, ihre Arten bestimmt und die gesammelten Daten an das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig übermittelt. „Die Natur war mir schon immer wichtig“, sagt er. Und: „Wir müssen verhindern, dass die seltenen Arten aussterben.“ Mit „wir“ meint Frank Clemens Wissenschaftler und Leute wie ihn, die Wissenschaft zum Hobby haben.

Weltweit sind Millionen von diesen Amateurforschern unterwegs. „Citizen Scientists“ werden sie genannt und unterstützen professionelle Forscher in vielen Disziplinen – ob Astronomie, Klimaforschung, Molekularbiologie oder eben Zoologie. Den Schmetterlingen widmet Clemens im Frühling und Sommer etwa zehn Stunden pro Woche. Damit ist er einer der aktivsten der rund 500 Freiwilligen, die zum Tagfalter-Monitoring beitragen. Ziel ist es, die Bestandsentwicklungen für einzelne Schmetterlingsarten und die daraus folgenden Auswirkungen auf die Umwelt zu untersuchen. Schließlich sollen daraus Empfehlungen für Landnutzungsstrategien abgeleitet werden.

„Ohne die vielen Bürgerwissenschaftler ginge es nicht“, sagt Elisabeth Kühn, die das Projekt im UFZ koordiniert. Besonders bemerkenswert findet sie die Akribie, mit der Leute wie Clemens auf Beobachtungstour gehen. „Oft ist ihre Expertise erstaunlich, fast so groß wie die der Profis.“ Obwohl die Freiwilligen kein naturwissenschaftliches Studium absolviert haben. Clemens zum Beispiel arbeitetet hauptberuflich als Maschinenbaumeister in Berlin, der Forschung hilft er nebenbei, ehrenamtlich. Doch an Fachliteratur zu Schmetterlingen hortet er zu Hause inzwischen so ziemlich alles, was es gibt.

Die Wissenschaft profitiert erheblich von Hobbyforschern, die mitunter Erstaunliches bewerkstelligen. So entschlüsselten sie schon mal ein komplexes Enzym des Aidsvirus über das Online-Computerspiel „Fold-it“. Dabei falten die Laien virtuelle Molekülbausteine so oft, dass diese neue Eigenschaften erhalten und ihre Aktivität erhöhen können. Ein Computer wäre mit den vielfältigen Möglichkeiten der Molekülstrukturen überfordert, viele geschickte und kreative Spieler sind es nicht. Und auch den Asteroid „2012 DA14“, der im Februar relativ nah an der Erde vorbeirauschte, entdeckte kein Profi, sondern ein spanischer Zahnarzt, der sich in seiner Freizeit mit Astronomie beschäftigt.

Neben der Natur- hat die Weltraumforschung wohl die meisten Anhänger. Mehr als 250 000 Bürger bearbeiten beim Projekt „Galaxy Zoo“ Bilder von Galaxien und klassifizieren sie nach Art und Form. Bei „Globe at night“ wiederum können Hobbyforscher über eine einfache Smartphone-App die Lichtverschmutzung ihrer Stadt messen. „Vielleicht haben diese Leute das Gefühl, die Erde etwas sicherer machen zu können“, sagt Detlef Koschny von der europäischen Raumfahrtagentur Esa. „Außerdem finden die meisten Spaß daran, etwas Sinnvolles zu tun.“ Forschen statt fernsehen: Auf dieses Motto setzt auch die Esa.

Im Rahmen eines Programms zur Weltraumlageerfassung entdecken Amateure regelmäßig erdnahe Objekte. Sie suchen auf Teleskopaufnahmen nach Objekten und helfen mit einer Software, mögliche Asteroiden zu identifizieren. Alles in ihrer Freizeit – tagsüber sind sie Bäcker, Ärzte oder Physiker. Koschny hält Citizen Science für eine „tolle Methode, die Expertise, die draußen vorhanden ist, zu nutzen“. Bezahlen könnte die Esa so viele Mitarbeiter jedenfalls nicht.

Tatsächlich sind es oft die von Bürgerwissenschaftlern erbrachten Datenmengen, die für die Forscher interessant sind. Je mehr Freiwillige bei der Vogelzählung vom 9. bis 12. Mai mitmachen, desto mehr erfährt der Naturschutzbund über die heimische Vogelwelt. Je mehr Menschen nach Tagfaltern suchen, desto zuverlässiger kann das UFZ etwas über Bestände herausfinden und mögliche Folgen ableiten.

Schon im 19. Jahrhundert setzten Wissenschaftler bei der Erhebung von Vogelarten auf Beobachtungen von Laien.

Jeder Schmetterlingszähler ist auf mindestens einem Gebiet von 50 mal 5 Metern unterwegs. Frank Clemens hat gleich zwei Reviere, eines in Wensickendorf bei Oranienburg und eines in Französisch-Buchholz. Anfang April hat er nur Überwinterer angetroffen, also vor allem Zitronenfalter und Tagpfauenaugen. Seit kurzem aber sausen auch die ersten frisch geschlüpften Falter durch die Luft. „Wer jetzt rausgeht, kann eine Menge sehen“, sagt Clemens. „Beispielsweise den Aurora-Falter, das Landkärtchen oder den Faulbaum-Bläuling.“ Ergebnisse wie diese übermittelt Clemens regelmäßig im Web an das UFZ. Überhaupt ist die Gemeinde der Bürgerwissenschaftler vor allem durch die Möglichkeiten des Internets zuletzt stetig gewachsen.

Das Prinzip an sich ist alt. Schon im 19. Jahrhundert setzten Wissenschaftler bei der Erhebung von Baumbeständen oder Vogelarten auf Beobachtungen von Laien. Aber was heißt schon Laien? Elisabeth Kühn, die Profi-Forscherin, bezeichnet Menschen wie Clemens als „Hobby-Experten“, so gut kennen sie sich aus.

Kein Wunder, seit er zwölf Jahre alt ist, begeistert sich Clemens für Schmetterlinge. Zuerst sammelte er sie nur, dann wollte er sich aktiv an der Forschung beteiligen – auch um etwas gegen den Artenschwund zu unternehmen. „Früher hatten wir in der Region 100 Tagfalterarten, jetzt sind es nur noch 60“, sagt er. Dank seiner Expertise ist er im Tagfalterprojekt mittlerweile Landeskoordinator für Berlin und Brandenburg, berät und unterstützt etwa 25 Aktive im Alter zwischen 20 und 82. „Alles Naturbegeisterte, die ihren Teil zur Wissenschaft beitragen möchten und das sehr akribisch machen“, wie er sagt.

Müssen die Profis sich da nicht um ihren Berufsstand sorgen, wenn auf einmal jeder mitforscht? Die meisten glauben das nicht. Sie sehen die Einbindung der Bürgerwissenschaftler eher als Bereicherung ihrer Forschung, die Hauptarbeit und Auswertung übernehmen sie ohnehin selbst. Die ganz seltenen Arten von Schmetterlingen finden in der Regel auch weiterhin nur die hauptberuflichen Experten. Sie prüfen die Daten der Amateure außerdem auf Plausibilität. „Es ist auf jeden Fall eine wissenschaftliche Führung nötig“, sagt Detlef Koschny von der Esa. „Wichtig ist, dass es vernünftig kontrolliert wird und die wissenschaftlichen Standards eingehalten werden.“

Nur sehr selten kommt es vor, dass das Hobby zum Beruf wird. Bei Heinz-Bernd Eggenstein zum Beispiel. Zunächst war er nur einer von vielen bei „Einstein@home“. Dort stellen Freiwillige Kapazitäten ihres Rechners zur Verfügung, um – hoffentlich – zu beweisen, was Albert Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie behauptete: dass in den Messdaten spezieller Detektoren Hinweise auf Gravitationswellen zu finden sind. Eggenstein machte mit, bot zudem immer wieder seine Hilfe bei Softwareproblemen an und bekam schließlich ein Angebot vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Dort, in seinem neuen Job kann er Sachen, wie er sagt, „jetzt auch mal komplett zu Ende überlegen“.

Andere wie Frank Clemens sind froh, dass sie wenigstens einen kleinen Anteil leisten können zur Wissenschaft. Und ganz nebenbei einen neuen Sinn für ihre Umgebung bekommen.

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