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Knochenfragmente auf dem FU-Campus.

© Polizei

Dahlemer Knochenfund: Weitere Grabungen an der FU sollen Aufklärung bringen

Michael Tsokos, der Leiter der Berliner Rechtsmedizin, regt weitere Grabungen an der FU an und verwahrt sich gegen "schäbigen Vorwurf" der FU

Michael Tsokos, der Leiter der Berliner Rechtsmedizin, hält es für möglich, dass der rätselhafte Knochenfund auf dem FU-Campus doch noch aufgeklärt werden kann. Die Knochen, die möglicherweise zu Opfern des KZ-Artzes Josef Mengele gehören, wurden, wie berichtet, im vergangenen Jahr eingeäschert, bevor sie genauer untersucht werden konnten. „Am Fundort liegen bestimmt noch mehr Knochen, das sagt mir meine Erfahrung, sagte Tsokos am Freitag vor Journalisten.

Mit einer DNA-Probe ließe sich ermitteln, ob die Toten verwandt waren

Tatsächlich zeigen Fotos von dem Fund ungezählte kleine Knochenfragmente. Die Polizei hatte in der Dahlemer Garystraße mit einem kleinen Bagger einen Graben ausheben lassen, die Erde gesiebt und die Knochreste in sieben Papiertüten zur Untersuchung an die Charité bringen lassen. Mit einer DNA-Probe könnten Experten etwa feststellen, ob ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Toten bestand, was ein Hinweis auf die Forschung an Zwillingen sein könnte, wie Mengele sie betrieb, sagte Tsokos. Auch Hinweise auf Mangelernährung und die Region, in der die Menschen gelebt haben, ließen sich mit einer DNA-Untersuchung ermitteln.

Michael Tsokos, Leiter der Berliner Rechtsmedizin.
Michael Tsokos, Leiter der Berliner Rechtsmedizin.

© dpa

Bauarbeiter hatten im Juli vergangenen Jahres die menschlichen Überreste bei Arbeiten an der Universitätsbibliothek der FU gefunden. Die Fläche grenzt unmittelbar an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, Eugenik und menschliche Erblehre an, das auch anatomische Proben von Menschenversuchen aus Auschwitz sammelte.

Die FU hat nun eine Expertengruppe gegründet

Die FU konnte auf Anfrage noch nicht sagen, ob sie im Boden nach weiteren Knochen suchen will. Sie richtet zur weiteren Aufklärung gerade eine Arbeitsgruppe mit Wissenschaftlern der FU ein, der auch Experten aus der Anatomie und der Archäologie angehörten. Auch habe die Max-Planck-Gesellschaft ihre Beteiligung angekündigt.

Tsokos ruft Holocaust-Experten auf, sich die Plastikmarken anzusehen

Tsokos ruft über die Medien Holocaust-Experten auf, sich an der Aufklärung zu beteiligen. Die zehn Plastikmarken, die bei den Knochen lagen und auf eine anatomische Sammlung verweisen, wurden im Dezember zusammen mit den Knochen im Krematorium Ruhleben in einem „Sammelsarg“ eingeäschert. Doch die Rechtsmediziner haben ein Foto. Journalisten durften es am Freitag nicht abfotografieren. Tsokos sagte, er wolle verhindern, dass „Spinner“, die sich nicht auskennen, ihre Ansichten in Umlauf bringen. Spezialisten sollten sich aber bei ihm melden.

Die FU informierte weder die Polizei, noch Tsokos noch die Öffentlichkeit

Tsokos verwahrt sich entschieden gegen die Darstellung der FU, wonach sein Institut von ihrem Verdacht, die Knochen könnten zu NS-Opfern gehören, informiert gewesen sein soll. Dieser Vorwurf sei „schäbig“, sagte Tsokos. Zu keinem Zeitpunkt habe die FU die Begriffe „Auschwitz, Mengele oder NS“ verwendet. Sie habe lediglich das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) erwähnt. „Ich wusste bis vor kurzem gar nicht, was das ist“, sagte Tsokos. Er habe das Institut seinem Namen nach in der Kaiserzeit verortet und keinen Zusammenhang zur NS-Zeit hergestellt. Für die Rechtsmediziner sind Funde alter Knochen Alltag. Tsokos belegte seine Darstellung, in dem er den Journalisten entsprechende Mails aus der Pressestelle der FU vorlegte.

Bei den Knochen gefunden. Das Foto, aufgenommen bei der Rechtsmedizin der Charité, zeigt die Ampulle, die das Betäubungsmittel Procain enthielt, und bei den Dahlemer Knochen lag. Die Forscher haben sie zur Veranschaulichung neben eine moderne Ampulle gestellt.
Bei den Knochen gefunden. Das Foto, aufgenommen bei der Rechtsmedizin der Charité, zeigt die Ampulle, die das Betäubungsmittel Procain enthielt, und bei den Dahlemer Knochen lag. Die Forscher haben sie zur Veranschaulichung neben eine moderne Ampulle gestellt.

© Anja Kühne

So erkundigte sich die FU ohne Angabe von Gründen am 8. Oktober bei den Rechtsmedizinern danach, wann die Einäscherung der Knochen anstehe. Tsokos’ Institut verwies die FU an die Senatsverwaltung, die das Signal zur Einäscherung gibt. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch nicht einmal einen „Einäscherungsplan“, die tatsächliche Einäscherung erfolgte erst am 16. Dezember. Hätte die FU ein ernsthaftes Interesse an der Untersuchung der Knochen gehabt, hätte sie den Gang der Dinge noch viele Wochen lang stoppen können. Wie berichtet, hatte die FU auch die Polizei nicht über ihren Verdacht unterrichtet, sondern bloß die Nähe des Fundes zum Kaiser-Wilhelm-Institut erwähnt. Auch die Öffentlichkeit hatte die FU nicht informiert. Nur die Max-Planck-Gesellschaft, die Rechtsnachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, war schon Anfang Juli eingeweiht, wie sie auf Anfrage bestätigt. Die FU besteht jedoch darauf, dass Tsokos' Institut Bescheid gewusst haben muss, da einer ihrer Sprecher in einem Telefonat auch explzit der Zusammenhang zur NS-Zeit verwiesen haben soll.

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