zum Hauptinhalt
Das Maß des Möglichen. Statt gleich Vollzeit zu arbeiten, sollten die Betroffenen lieber mit vier bis sechs Stunden pro Tag einsteigen.

© picture alliance / dpa-tmn

Damit die Seele gesundet: Schneller zurück in den Job

Wer eine schwere psychische Erkrankung hinter sich hat, findet oft nicht mehr in den Beruf. Den Betroffenen helfen lange Vorbereitungskurse wenig, stattdessen sollten Therapie und Rehabilitation besser vernetzt sein.

Berufstätigkeit sichert nicht nur den Lebensunterhalt, sie strukturiert den Tag. Wenn alles gut läuft, wird sie zudem als sinnvoll empfunden. Und sie verschafft das Gefühl, dazuzugehören. Diese wohltätigen Wirkungen der Erwerbsarbeit werden derzeit vor allem im Kontext von Flucht und Asyl diskutiert. Geht es um Menschen mit seelischen Erkrankungen, herrscht allerdings vielerorts eine andere Ansicht: Ausbildung und Beruf könnten für ihre Tochter viel zu stressig werden, hörte Janine Berg-Peer jahrelang. In ihrem Blog berichtet die engagierte deutsche Repräsentantin des Zusammenschlusses europäischer Organisationen der Angehörigen psychisch Kranker von Ratschlägen, sich doch lieber zu entspannen – und ein wenig zu töpfern.

„Von dieser Meinung müssen wir weg“, sagt Steffi Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Universität Leipzig. Der Wunsch nach regulärer Arbeit sei für Menschen mit psychischen Erkrankungen zentral. Und nicht allein für sie: „Wenn man inklusiv denkt, ist der erste Arbeitsmarkt das Ziel.“ Die Psychiaterin stellte gestern auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde und der Gesundheitsstadt Berlin eine neue Studie ihres Teams zur Arbeitssituation von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen vor.

„Schwer“ können nach der Definition der Wissenschaftlerinnen alle seelischen Krankheiten werden, maßgeblich ist neben der Dauer das Maß der Beeinträchtigung. „Vorsichtigen Schätzungen zufolge sind das ein bis zwei Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 65 Jahren, also 500 000 bis eine Million Menschen“, berichtete Riedel-Heller.

Vor der großen Psychiatrie-Reform, die Mitte der 70er Jahre begann, habe sich die Frage kaum gestellt, da die meisten von ihnen langfristig stationär betreut wurden. Heute gebe es zwar eine Fülle von Angeboten für die berufliche Rehabilitation, doch es gelingt nur einer verschwindenden Minderheit, aus Werkstätten und ausgelagerten Arbeitstherapieplätzen den Weg zurück zum „normalen“ Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu finden. Psychische Krankheiten sind mit einem Anteil über 42 Prozent inzwischen der häufigste Grund dafür, dass Beschäftigte vorzeitig in Rente gehen.

Auch die Arbeitgeber brauchen Unterstützung

Die Forscherinnen weisen auch darauf hin, was den (Wieder-)Einstieg erleichtern und langfristig erfolgreich machen kann. So hat eine Arbeitsgruppe um Holger Hoffmann von der Universität Bern für den deutschsprachigen Raum gezeigt, dass es besser ist, ohne lange Vorbereitung in den Beruf zurückzukehren: In der Gruppe, die nach dem Motto „first place then train“ behandelt wurde, bekamen mehr Menschen einen Job, sie behielten ihn länger und mussten seltener wieder in die Klinik als in der anderen Gruppe, bei der das vermeintlich vorsichtige Motto galt: „first train then place“.

Wer eine schwere psychische Krankheit durchgemacht hat und noch unter den Folgen leidet, braucht allerdings einen „Job Coach“, der sich auf dem Arbeitsmarkt und in der Therapie auskennt. Sind sie schon wieder im Beruf, können sie seine Ratschläge möglicherweise eher annehmen. „Behandlung und berufliche Rehabilitation müssen enger zusammenrücken, sonst bleiben Leute auf der Strecke“, mahnte Riedel-Heller. Zudem müsse man Arbeitgeber unterstützen, wenn sie die Zusammenarbeit mit den psychisch weniger stabilen Mitarbeitern wagen. Und man dürfe sich nicht gleich am Leitbild des Vollbeschäftigten orientieren, sondern müsse vier bis sechs Stunden zum „Maß des Möglichen“ machen, ergänzte Ulf Fink, Vorsitzender von Gesundheitsstadt Berlin.

Als ehemalige Borderline-Patientin ermunterte die Psychologin Katrin Zeddies Betroffene, sich ihrer psychischen Krankheit nicht zu schämen. Beschäftigte und Arbeitgeber müssten die Dinge offener beim Namen nennen – schon bevor es zu einer beruflichen Krise kommt. „Ich persönlich habe gute Erfahrungen damit gemacht.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false