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Das geht auf die Haut: Elektrohaut misst Herzschlag ohne Kabelgewirr

Mit hauchdünnen Haft-Tattoos können Hirnströme oder der Herzschlag gemessen werden. Die Forschungen stehen noch am Anfang, aber es gibt noch zahlreiche andere Anwendungsmöglichkeiten für die flexible Elektronik.

Augenklappe, grimmiges Gesicht, wildes Haar. Auf den ersten Blick sieht der Seeräuber aus wie ein gewöhnliches Tattoo. Tatsächlich ist es eine Art Abziehbild, hinter dem sich ein flexibles Sensormodul verbirgt, das permanent wichtige Körperfunktionen misst. Entwickelt wurde dieses Haft-Tattoo, das viel dünner als ein Blatt Papier und so groß wie eine Briefmarke ist, von einem internationalen Forscherteam. Neben flexiblen Stromleitern integrierten die Wissenschaftler Sensoren für Herzschlag und Hirnströme, Leuchtdioden, ein Funkmodul und sogar winzige Solarzellen für die Stromgewinnung. Zusätzlich kann das Modul über elektromagnetische Wellen – ähnlich wie bei Funketiketten für teure Produkte – mit Energie versorgt werden. Damit sind die Entwickler dem Traum einer „tragbaren Elektronik“ wieder ein Stück näher gekommen. Ihren Prototyp, der bis zu 24 Stunden auf der Haut kleben bleibt, präsentieren die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Science“ (Band 333, Seite 830).

„Diese Technologie kann Sie mit der Cyberwelt und der physischen Welt über einen sehr natürlichen Weg verbinden“, sagt Todd Coleman von der Universität Illinois in Urbana-Champaign. Soweit ist es allerdings noch nicht, die Wissenschaftler stehen noch relativ weit am Anfang. Immerhin ist es ihnen gelungen, mehrere elektronische Bauteile ohne eine stabile Leiterplatte miteinander zu verbinden.

Dazu deponierte Coleman zusammen mit Kollegen aus Singapur und China flexible Leiterbahnen schlangenförmig auf einer hauchdünnen, transparenten Unterlage aus Polyester. Zusätzlich druckten sie die zahlreichen, elektronischen Komponenten auf diesen Träger. Wasserdicht gekapselt konnten sie das Haft-Tattoo mit Hilfe eines wasserlöslichen Films aus Polyvinylalkohol auf die Haut von Testpersonen setzen. Dort blieb das Modul dank schwacher Adhäsionskräfte bis zu 24 Stunden lang haften. Klebstoff oder ein Haftgel waren nicht erforderlich. Im Praxistest zeigte sich dieses elektronische Tattoo sehr stabil, berichten die Wissenschaftler. Trotz der vielen Bewegungen und Spannungen der Haut blieben alle Komponenten intakt.

Zur Stromversorgung dienten eine integrierten Solarzelle sowie und eine Induktionsspule. Je nach Position des elektronischen Haft-Tattoos auf der Haut habe das „E-Pflaster“ Herzschlag und Hirnströme zuverlässig gemessen, berichtet das Forscherteam. Da diese Daten per Funk direkt auf einen Computer gesendet werden können, eigne sich die Technik zur komfortablen Dauerüberwachung von Risikopatienten. Diese spüren das hauchdünne Haft-Tattoo kaum und brauchen auch keine Rücksicht auf dessen Stabilität nehmen. „Der beste Weg, um neuronale Signale in natürlicher Umgebung aufzuzeichnen, sind solche Module, die unsichtbar für den Nutzer sind“, sagt Coleman.

Mit dem gleichen Sensor, der die Herzfrequenz registriert, können auch rhythmische Bewegungen der Haut elektronisch wahrgenommen werden. Um das zu belegen, haben die Forscher das Haft-Tattoo einem Probanden auf den Hals nahe des Kehlkopfs gesetzt. Allein über die Bewegungen konnte das Modul mit einer speziellen Analysesoftware einige gesprochene Wörter erkennen, berichten die Wissenschaftler. Sogar die Aktionen in einem Videospiel kontrollierte eine Testperson mit einer Trefferrate von über 90 Prozent, nachdem die Bewegungsdaten Funk an einen Computer übermittelt wurden. Mit noch empfindlicheren Sensoren ist es sogar vorstellbar, dass Patienten mit Stimmproblemen über einen kleinen Computer und Lautsprecher wieder hörbar an Gesprächen teilnehmen könnten.

„Dieses Konzept einer elektronischen Haut wurde zuerst für Anwendungen in der Robotik entwickelt“, schreibt Zhenqiang Ma von der Universität Wisconsin in einem begleitenden Kommentar. Indem solche Module mit Drucksensoren versehen werden, könnten sie aber auch Prothesen wie künstlichen Armen und Beinen eine Art Tastsinn verleihen. Weitere Vorteile für die Untersuchung von Patienten liegen auch für Ma auf der Hand: Das Haft-Tattoo könne leicht auf die Haut gesetzt und wieder abgezogen werden. Ein Wirrwarr von Kabeln und Elektroden wie bei bisher üblichen Messungen beispielsweise der Hirnströme könnten damit überflüssig werden.

„All diese Arbeiten stehen noch ganz am Anfang“, betont John Rogers, der die Arbeitsgruppe in Urbana-Champaign leitet. In Zukunft könnten mit empfindlicheren Sensoren die medizinischen Anwendungsgebiete der elektronischen Haut deutlich erweitert werden. Für die Stromversorgung denkt Rogers auch an die Integration von winzigen Akkus und piezoelektrischen Mini-Kraftwerken etwa aus Zinkoxid-Nanodrähten, die Strom allein aus mechanischen Bewegungen gewinnen können.

Aber es gibt noch zahlreiche andere Anwendungsmöglichkeiten für die flexible Elektronik. So haben Forscher vom Berliner Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration sowie der der TU Berlin bereits Prototypen für eine elektronische Verbandseinlage entwickelt, die Druck und Feuchtigkeit in einem Verband messen kann. Damit soll die Wundheilung besser überwacht werden. Weitere Ideen sind ein Strampelanzug, der die kontinuierliche Atembewegung erfasst und vor plötzlichem Kindstod warnen soll, oder eine Schuheinlage für Diabetiker, die die Druckbelastung und Abnutzung der Fußsohle misst.

Auch jenseits der Medizin sieht John Rogers großes Potenzial für die Technik, etwa bei der Entwicklung „intelligenter Kleidung“.

Prinzipiell sei es möglich, in Zukunft neben Leuchtdioden auch kleine, flexible Monitore, Lautsprecher und Mobilfunkmodule in die Haut-Elektronik zu integrieren. Damit wäre ein hauchdünnes Smartphone denkbar, das sich die Nutzer einfach auf ihre Handfläche oder Unterarm kleben. Einen Vorteil hätte es: Man würde es wohl kaum verlegen oder verlieren.

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