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Mit Mers infizierte Lungenbläschen.

© American Thoraic Society

Das neue Coronavirus Mers: Angriff auf die Lungenbläschen

Seit mehr als einem Jahr ist bekannt, dass Mers auf der Arabischen Halbinsel Menschen krank macht. Deutsche Forscher helfen dabei, das Virus etwas besser zu verstehen.

Die saudischen Ärzte waren ratlos. Ihrem 60-jährigen Patienten ging es immer schlechter, die Nieren hatten versagt, die Lungen waren entzündet. Irgendein Virus machte ihm zu schaffen. „Können Sie helfen?“, fragten sie im Juni 2012 den Virologen Ali Mohamed Zaki vom Dr.-Soliman-Fakeeh-Krankenhaus in Jeddah und schickten ihm eine Speichelprobe. Doch der Experte konnte nichts finden und bat Kollegen vom Erasmus Medical Center in Rotterdam um ihre Meinung. „Ein neues Coronavirus!“, war ihr Ergebnis.

In Saudi-Arabien verhallte die Nachricht ungehört. Mitte September 2012 riss Zaki der Geduldsfaden: Er alarmierte Promed, die Datenbank der Internationalen Gesellschaft für Infektionskrankheiten, und damit Experten weltweit. Sein Labor werde „gern mit anderen zusammenarbeiten, um das Virus zu untersuchen“. Es kam nicht dazu. Das Krankenhaus löste umgehend seinen Vertrag auf. Der Ägypter musste Saudi-Arabien verlassen.

„Das ist ein Held der Wissenschaft“, sagt Christian Drosten von der Uni Bonn. Weil Zaki seine Karriere aufs Spiel setzte, weiß die Fachwelt von dem neuen Virus. Bisher hat Mers (kurz für: Atemwegssyndrom aus dem Nahen Osten) 136 Menschen krank gemacht und 58 von ihnen getötet. Die Forschung geht nur schleppend voran, auch weil die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien kompliziert ist. Fast alle internationalen Labore arbeiten deshalb mit dem Virus, das in Rotterdam isoliert wurde – auch in Deutschland.

Diagnostik

Nur neun Tage nachdem das neue Coronavirus bekannt wurde, traf am Uniklinikum Bonn ein Päckchen aus Rotterdam ein. Die Forscher legten sofort los. Am 28. September hatte das Team um Christian Drosten bereits einen ersten Test erarbeitet, der zuverlässig Viruserbgut in einer Probe nachweisen kann. Die zweite Version wird seit Dezember 2012 von der Weltgesundheitsorganisation als Standardtest empfohlen. In Deutschland ist Drostens Labor seit Oktober 2013 gleichzeitig Konsiliarlabor für Coronaviren.

Wenn ein Patient Symptome hat, die auf Mers hindeuten, schafft dieser Test Sicherheit. Hat jedoch das Immunsystem das Virus längst besiegt, so gibt es auch kein Virenerbgut mehr. Stattdessen kann man – mit zwei anderen Tests aus Bonn – Antikörper im Blut finden. Mit ihnen kann man unter anderem die Frage klären, ob sich das Virus unbemerkt in der Bevölkerung verbreiten konnte.

In der Klinik

Dass Mers-Kranke auch in Deutschland Hilfe suchen, zeigte sich bereits 2012. Ende November wurde ein Patient aus Katar in eine Lungenklinik in Essen verlegt – und wurde wieder gesund. Weniger Glück hatte ein 73-jähriger Krebspatient aus Abu Dhabi im Februar 2013. Zehn Tage nach den ersten Symptomen kam er in München an und wurde sofort auf einer Intensivstation des Klinikums Schwabing isoliert. Die Ärzte um Clemens Wendtner konnten nichts mehr für den Mann tun, er starb nach einer Woche an einem septischen Schock.

Für die Forschung war der Fall dennoch wichtig. Drosten und seine Kollegen verglichen alle bereits bekannten Erbgutsequenzen und errechneten, dass Mers seit Mitte 2011 Menschen krank macht. Außerdem analysierten die Bonner und Münchner Forscher erstmals, in welchen menschlichen Sekreten das Virus vorkommt. In Abstrichen aus Mund und Nase konnten sie kaum etwas entdecken, im Blut gar nichts, schrieben sie im Fachblatt „Lancet“. Im Stuhl schrammten die Ergebnisse knapp an der Nachweisgrenze entlang, im Urin war etwas mehr zu finden. Die Viren schienen sich vor allem tief in der Lunge zu vermehren. „Das ist auch für die Diagnostik wichtig“, sagt Wendtner.

Schäden in der Lunge

Wie schnell der Münchner Patient starb, wundert die Lungenmediziner Stefan Hippenstiel und Andreas Hocke von der Berliner Charité nicht. Sie haben mit einem Spezialmikroskop beobachtet, welche Schäden Mers in den Lungenbläschen anrichtet. Es vermehrt sich dort ebenso stark wie die Vogelgrippe H5N1, die Patienten schwer erkranken lässt. Doch während die Vogelgrippe nur einen Zelltyp dazu nutzt, der fünf Prozent des Lungenbläschengewebes bildet, befällt Mers praktisch alle Zellen. „Das flößt Respekt ein und erklärt, warum die Patienten kaum noch Luft bekommen“, sagt Hippenstiel. „Schließlich sind das die Zellen, mit denen wir atmen.“ Ihre Ergebnisse haben sie jetzt im Fachblatt „American Journal of Respiratory and Critical Care“ veröffentlicht.

Die Forscher bekommen aus Berliner Kliniken regelmäßig Lungengewebe, das bei Operationen entfernt werden musste. In dünne Scheiben geschnitten kann es mit verschiedenen Erregern infiziert werden – wie dieses Mal in einem Labor der Sicherheitsstufe drei am Robert-Koch-Institut (RKI). „Uns fehlen bisher Autopsien von Mers-Patienten. Außerdem gibt es kein gutes Tiermodell“, sagt Thorsten Wolff vom RKI. „Diese Lücke füllt das Lungenmodell der Charité-Kollegen sehr gut. Wir konnten sogar sehen, wie das Virus aus einer Zelle kommt.“

Vorbeugen und behandeln

Bisher gibt es weder Medikamente noch eine Impfung gegen Mers. Die Ärzte können den Körper der Infizierten nur so gut wie möglich unterstützen, aber nichts gegen das Virus selbst tun. Rolf Hilgenfeld und seine Kollegen von der Universität Lübeck arbeiten deshalb an antiviralen Wirkstoffen. Und Forscher um Stefan Pöhlmann vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen haben im Frühjahr zwei Enzyme entdeckt, die das Virus braucht, um in die Zelle einzudringen. „Das könnte ein Ansatzpunkt für Therapeutika sein“, sagt Pöhlmann.

Friedemann Weber von der Universität Marburg dagegen experimentiert mit einem bereits existierenden Wirkstoff: Interferon. „Der körpereigene Botenstoff programmiert die Zelle auf Virenalarm um“, sagt er. „Die gute Nachricht ist: In der Zellkultur funktioniert das mit Mers sehr gut.“ Allerdings hat Interferon schwere Nebenwirkungen. Und ein Immunsystem, das bereits überreagiert, sollte nicht zusätzlich mit Interferon angeheizt werden. Der Zeitpunkt der Behandlung wäre also entscheidend.

Noch besser wäre es, einen Impfstoff zu haben, meint Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er hat das Impfvirus MVA, das seit Jahrzehnten verwendet wird, so verändert, dass es dem Immunsystem Oberflächeneiweiße von Mers zeigt. Mäuse, die die Impfung bekamen, bildeten die richtigen Antikörper. Wie Sutter zusammen mit Stephan Becker von der Universität Marburg zeigte, neutralisieren diese Antikörper tatsächlich Mers. Der Haken: Mers macht Mäuse nicht krank. Mit diesen Tieren kann man deshalb nicht zeigen, dass die Impfung eine Infektion verhindert. Das einzige Tier, das zumindest milde Symptome bekommt, sind Makaken. „Und mit Affen experimentiert keiner gern“, sagt Becker. „Wir suchen gerade nach einem anderen Tiermodell.“

Saudischer Mann mit Kamel.
Mysteriös. Noch immer ist unklar, bei welchem Tier sich immer wieder Menschen anstecken. Einiges deutet auf Kamele hin.

© picture alliance / dpa

Quelle im Tierreich

Drosten vermutet, dass Mers längst eine Epidemie unter Menschen ist. Bisher ist der Übertragungsweg allerdings genauso unklar wie die tierische Ansteckungsquelle. Ein Verdacht erhärtet sich: Fledermäuse sind der natürliche Wirt von Mers-Vorgängern. Drostens Team und südafrikanische Forscher fanden im Kot einer Fledermaus der Art Neoromicia cf. zuluensis Virenerbgut, das Mers extrem ähnlich ist. Ein Einzelbefund, sagt Drosten: „Wir können noch nicht sagen, dass Mers aus Afrika stammt.“ Doch auch andere Viren haben von dort ihren Weg in den Nahen Osten gefunden. Möglicherweise nutzte das Virus Zuchttiere wie Rinder oder Kamele als Zwischenwirt und wurde so in die Region exportiert. Im Oman zum Beispiel haben sie bei 50 von 50 Dromedaren Antikörper gegen Mers gefunden. „Das ist vergleichbar mit der Situation nach einer Grippe-Pandemie: Man findet kein Virus, wohl aber die Antikörper“, sagt Drosten. Der endgültige Beweis steht aus. Und es ist unklar, seit wann und in welchem Ausmaß Saudi-Arabien Tiere testet.

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