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Die Einführungsveranstaltung für Erstsemester an der HU im Audimax.

© Mike Wolff

Das Semester beginnt: Erstsemester auf Campusrallye

Kinn an Vordermanns Schulter: Nervöse Studienanfänger nehmen ihre Unis in Besitz. Ein Stimmungsbild.

„Wer noch nicht weiß, wo er hin soll, geht einfach da lang“, ruft der junge Mann von der Fachschaft und deutet Richtung Audimax. Es sind die Tage der herumlotsenden Arme, für etwa 25 000 Erstsemester an den Berliner Universitäten beginnt das Studium mit Einführungstagen. Vor dem Info-Aufsteller an der Humboldt-Universität sammelt sich schnell eine Traube von Menschen und guckt, Kinn an Vordermanns Schulter, auf den Aushang „Raumänderung“. Ein noch so kurzes Gespräch wird früher oder später unterbrochen: „Wo geht es zum Café für internationale Studierende?“, „Du studierst auch Latein! Wann ist unsere Einführung?“ oder – verlegen – „Wo ist die nächste Toilette?“

Grüppchen von Campusrallyes durchstreifen das Gebäude, um die kleineren Rätsel der Uni-Welt aufzulösen. „Ach ja, sie zu verändern!“ ruft ein weiblicher Neuzugang mit Siebdruck-Beutel des Instituts für Sozialwissenschaften auf dem Weg zum Karl-Marx-Zitat im Foyer: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“

Es gibt „Universitätszeit“ plus, minus 15 Minuten und „normale Zeit“, und in sechs Semestern führen 180 Studienpunkte zum erfolgreichen Bachelor. Das lernt man in der allgemeinen Einführungsveranstaltung mit dem Titel „Wie beginne ich mein Studium?“. „Schnell“ könnte eine mögliche Antwort heißen. Noch vor dem ersten Vortrag hat man einen Beutel mit der Aufschrift „Wo|anders studieren. Dein Auslandssemester“ in der Hand. „Akklimatisieren Sie sich“, wird die Mitarbeiterin des Internationalen Büros den „Erstis“ wenig später sagen, „und dann schauen Sie, wo Sie hin wollen. Am besten nächste Woche.“

Die 21-jährige Signe ist vor zwei Jahren für ein Praktikum nach Berlin gekommen, jetzt studiert sie Volkswirtschaftslehre und nimmt im Audimax beim Fenster Platz. Mathe falle ihr leichter als Deutsch. In Deutschland gebe es mehr Jobs als im kleinen Dänemark, sagt sie. Sollte es wegen der Sprache nicht klappen, könne sie immer noch im Februar in Kopenhagen beginnen.

„Liebe Neu-Immatrikulierte“, sagt Petra Andrássy von der Studienberatung zur Begrüßung. An der Uni werde man sich von nun an selbst informieren müssen, es werde einen niemand mehr beim Händchen nehmen. „Das kann man lästig finden“, sagt Andrássy, „aber auch positiv sehen, als Ansporn zu einer neuen sozialen Kompetenz und zu Durchsetzungsfähigkeit.“ Sie weist darauf hin, dass Briefe von der Uni meist einen konkreten Menschen mit Telefonnummer und E-Mailadresse als Absender haben und gibt weitere Orientierungspunkte für das Studium. „Studien- und Prüfungsordnung, Studienverlauf angucken!“, notiert sich eine junge Frau.

Viele der Erstsemester seien zugleich an einer neuen Uni, in einer großen, neuen Stadt und in der ersten eigenen Wohnung, erzählt die Studienberaterin später. Manche hätten Probleme, sich von zu Hause zu lösen. Keiner solle zurückbleiben, nur weil er zu schüchtern sei, Fragen zu stellen, sagt sie, und ermutigt dazu, auch mehr Studiengruppen zu bilden.

Kevin Senger und Pascal Mafael kennen sich schon aus der Schule und sind an diesem Tag nicht mehr ins Audimax reingekommen. „Aus Solidarität“ hat sich Kevin, der Latein und Nordafrikanische Archäologie gewählt hat, dafür kurzerhand Pascals Einführung ins Pädagogikstudium angehört. Als Berliner seien die beiden mit den „Grundpfeilern des Sozialen“ bereits versorgt, sagt Kevin, zur „legendären“ Semesterparty gingen sie natürlich trotzdem.

Warum es mit dem Studienplatz geklappt hat oder nicht, scheint für den Einzelnen oft nicht ganz nachvollziehbar. Nina ist erst vor zwei Wochen in Rehabilitationswissenschaften nachgerückt. „Vielleicht weil ich mit dem zulassungsfreien Fach Mathe kombiniert habe?“, überlegt sie. Seit dem Abi lebt die 24-Jährige in Berlin, mittlerweile mit Mann und Kind. Drei Jahre hat sie sich ohne Erfolg für ein pädagogisches Studium beworben. Ihr Plan B wäre ein Fernstudium Wirtschaftswissenschaften gewesen. Es müsse ja endlich weitergehen, sagt sie.

Matthias Nünning aus dem Münsterland ist an der HU und TU im Losverfahren für Berufsschullehramt, zusätzlich ist er an der TU für Informatik eingeschrieben. Er stellt sich gerade an, um nachzufragen, wie seine Chancen beim Losen sind. Das Berliner Hochschulgesetz ermöglicht ihm, mit seiner Berufsausbildung auch ohne Abitur zu studieren. Zumindest das neue WG-Zimmer ist seit dem Wochenende bezogen. Auf eine Anzeige kämen mittlerweile 200 Antworten, manche Interessenten bekommen nicht mal Besichtigungstermine.

Matthias’ neuer Mitbewohner hatte nach 1,5 Minuten den ersten Interessenten am Telefon. Der warte übrigens nicht auf das Los, sondern versuche sich an der TU in das Studium Pädagogik einzuklagen. Christian Mayer vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der TU zieht gerade einen Rollkasten mit pinken Semesterkalendern von den Türen des dortigen Audimax weg. „Das Klima an der Uni hat sich verändert, seit sich die TU bei solchen Verhandlungen anwaltlich vertreten lässt.“

Nathalie und Dominik Thiede suchen mit einer Tüte voll Infomaterial in der Hand einen Raum auf dem Lageplan: „Es war schon stressig“, erinnert sich Nathalie an ihr Abi. Wegen der verkürzten Gymnasialzeit hat sie gleichzeitig mit ihrem älteren Bruder die Schule beendet. Nach dem langen Warten gehe es nun endlich mit „Kultur und Technik“ los. Den aktuellen, entscheidenden NC dafür kennt sie noch nicht, letztes Jahr lag der benötigte Notenschnitt bei 1,5. Das hat sie geschafft. Nathalie hätte auch nach Köln gehen können, wohnt aber gerne noch etwas bei ihren Eltern.

Die Erstsemester, sie fragen nach der Immatrikulation, nach Veranstaltungen, Instanzen und Wohnungsanzeigen, erzählt Wolfgang Schöne hinter der Glasscheibe der Pförtnerloge an der TU. „Neugierig und nervös“ seien sie, „wie das zu Erstsemestern passt.“ Manchmal kämen welche mit der ganzen Fragenliste einer Campusrallye zu ihm, sagt er, aber dann antworte er nicht. „Kühl, abgezockt und unerhört“, kommentiert einer seiner beiden Kollegen, sticht mit der Gabel in die Mittagswurst und identifiziert ein neues Problem: „Neunzig Prozent können nicht zuhören“, sagt er.

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