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© p-a/imagestateI

Datenerfassung: Alte Schiffsbücher helfen Klimaforschern

Die Messungen der Kapitäne schließen die Datenlücken in den bisherigen Modellen.

Am 30. Januar 1788 befahl Kapitän Bligh, die Luken der „Bounty“ zu öffnen und durchzulüften. Das Schiff lag auf dem Weg zum Kap Hoorn in einer der Flauten, die zur unglücklichen Verlängerung der Reise und letztlich zur „Meuterei auf der Bounty“ führte. „Dann wies ich alle Mann an, ihre schmutzigen Kleider zu waschen“, schrieb Bligh im Logbuch neben die Spalten, in denen er stündlich Windrichtung und Windstärke eintrug. In die Spalte für die Geschwindigkeit des Schiffes machte er eine große Klammer und eine Null. Unten rechts trug er wie jeden Mittag die Lufttemperatur ein: 81 Grad Fahrenheit – 27 Grad Celsius.

Historiker und die Marinerichter, die sich später mit der Meuterei befassten, werden mit der Eintragung wenig angefangen haben. Aber zusammen mit Millionen ähnlicher Wetterdaten aus Tausenden von Schiffslogbüchern wurden diese Wettermessungen nun digitalisiert und sind Teil immer weiter wachsender Datenbanken, mit denen das Wetter der Vergangenheit rekonstruiert wird. Diese Informationen nutzen vor allem Klimaforscher, aber auch Fichereiwissenschaftler und Versicherer.

Nebenbei hat das Digitalisierungsprojekt „Colonial Registers and Royal Navy Logbooks“ (Corral), das die Wetterdaten aus den alten Folianten extrahiert, interessante Logbücher der „Bounty“, von Kapitän Cooks Schiffen „Discovery“ und „Resolution“ oder der „Beagle“, mit der Charles Darwin in die Südsee reiste, ins Internet gestellt.

An der Universität von Colorado werden die mühselig im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen transkribierten Daten in große Computer eingegeben, mit denen vergangene Klimaereignisse mit immer größerer Genauigkeit nachgebildet werden. „Vierdimensional, mit einer räumlichen Genauigkeit von 50 Kilometern und in Sechs-Stunden-Abständen“, schwärmt Robin Allan vom Hadley Klimazentrum. Für das frühe 20. Jahrhundert ist die Datengenauigkeit schon so groß, dass in den Rekonstruktionen Zyklone und Dürreperioden entdeckt wurden.

Nicht nur Klimaforscher, auch Agrartechniker, Landwirte, die Fischereiwissenschaft und Versicherer interessieren sich dafür. „Wenn man einen Damm bauen will und Klimadaten über 150 oder gar 200 Jahre hat, lässt sich das Vorhaben genauer einschätzen als mit einem Datensatz von 50 Jahren.“ Mit Hilfe der historischen Wetterdaten können Klimamodelle verfeinert werden. Extreme Wetterereignisse wie der „Long Island Express“, ein Hurrikan, der 1938 an der amerikanischen Ostküste 800 Menschen tötete, wurden bereits detailliert rekonstruiert.

Die Wettermessungen kommen von Missionsstationen in Afrika, von Leuchtturmwärtern, aber vor allem aus weltweit über 100 000 Schiffslogbüchern. „Das ist eine unglaubliche Ressource“, sagt der Geografiehistoriker Dennis Wheeler von der britischen Universität Sunderland, der das Corral-Projekt leitet. Wichtig ist, dass auch Wetterdaten von den Ozeanen dabei sind. „Die Meere stellen 75 Prozent der Erdoberfläche und die Winddaten von dort sind unverfälscht. Windmessungen in einem Bergtal auf dem Festland sagen nämlich wenig über die vorherrschenden Windströmungen aus.“

Noch im schlimmsten Sturm machten die Kapitäne ihre Wettereintragungen, denn von ihrer Gewissenhaftigkeit hing die Sicherheit der Schiffe ab. Von 1731 an waren Logbücher Vorschrift. Die Daten sind präzise, ab 1780 wurde mit Instrumenten gemessen, auch der Luftdruck. Holländische Indienfahrer hatten Logbücher ebenso wie Spanier und Portugiesen, die nach Südamerika segelten oder die englischen Dreimaster, die Anfang des 19. Jahrhunderts im Eismeer nach der Nordwestpassage suchten.

Klimaforscher rekonstruieren aus diesen Logbüchern das Polareis, etwa in der „kleinen Eiszeit“, die auf die mittelalterliche Wärmeperiode folgte und ein Spezialgebiet Wheelers ist. Mithilfe der Logbuchdaten identifizierte er die 1680er und 1690er Jahre als „die wahrscheinlich kältesten der letzten 1000 Jahre“. Der Wissenschaftler entdeckte auch einen Anstieg von Sommerstürmen in den zwei Jahrzehnten nach 1820 und zeigte, dass 1842 ein Wirbelsturm aus dem Nordatlantik statt nach Westen nach Nordosten über Südspanien zog – wie der Wirbelsturm Vince im Jahr 2005, der als typisches Phänomen des modernen Klimawandels definiert wurde. Matthias Thibaut

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