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Widerstand statt Protest? Ulrike Meinhof bei ihrer Festnahme 1972. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Debatte über Widerstand: Gewagter Vergleich von RAF und Weißer Rose

Der Asta der TU Berlin lässt über "Studierende als Staatsfeinde" in der NS-Zeit und in der BRD diskutieren. Das TU-Präsidium findet den Vergleich offenbar heikel.

Bei diesem Vergleich stockt manchem der Atem: Die Weiße Rose und die Rote Armee Fraktion als zwei Versionen studentischen Widerstandes? Parallelen zwischen beiden Organisationen scheint aber gerade der Asta der TU Berlin zu erkennen: „Wenn aus Studierenden Staatsfeinde werden – Weiße Rose, RAF und noch mehr“ lautete der Titel einer Podiumsdiskussion am vergangenen Mittwoch. Experten sollten über „studentischen Widerstand vom Nationalsozialismus bis heute“ sprechen.

Dem Präsidium der TU war der Vergleich offenbar zu heikel. Kurz vor der Veranstaltung hatte die Verwaltung dem Asta die Erlaubnis entzogen, die Debatte im repräsentativen Lichthof der Universität abzuhalten. Diesen Ort hatte sich der Asta gewünscht, weil die Mitglieder der Weißen Rose im Lichthof der Universität München ihre Flugblätter verteilt hatten. Das TU-Präsidium verlegte die Debatte jedoch in einen kleinen Hörsaal. Damit sei der Veranstaltung „Genüge getan“, sagte TU-Sprecherin Steffi Terp auf Anfrage und dementierte politische Erwägungen. Die Studierenden hätten sich einfach nicht an die abgemachte Buchlesung gehalten. Der Asta vermutet hinter dem Rückzug der TU einen anderen Grund: Journalisten und der Berliner Senat hätten das Präsidium unter Druck gesetzt, habe sich aus Gesprächen ergeben.

Die Frage, ob es zwischen dem Widerstand der Weißen Rose und dem Terror der RAF eine Verbindung geben könnte, wies das Podium kollektiv zurück. Karl-Heinz Dellwo, der 1975 als RAF-Mitglied bei der Geiselnahme in Stockholm beteiligt war, sprach von einer „müßigen und aberwitzigen Frage“. Selbst wenn es „Wiedererkennbarkeiten“ gebe, habe sich „die RAF nie auf die Weiße Rose berufen“.

Eine Gleichsetzung der beiden Bewegungen findet auch Christine Hikel, Historikerin an der Universität der Bundeswehr München, „nicht legitim“: „Es ist ein großer Unterschied, ob man in einer Diktatur oder einer Demokratie als Staatsfeind gilt“, sagt sie. Hikel hat ihre Doktorarbeit über die Erinnerung an die Weiße Rose geschrieben.

Tatsächlich sei während des Terrorismus in der BRD eine „Erinnerungslücke“ entstanden. Linke Intellektuelle, die die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus wach hielten, seien „an den Rand gedrängt“ worden. An der Universität München störten 1965 und 1968 kritische Studierende sogar die Gedenkfeier für die Weiße Rose und warfen Professoren vor, in der NS-Diktatur aktiv gewesen zu sein. „Das Gedenken an die Weiße Rose wird oft als Anlass genommen, die eigene politische Position an die Öffentlichkeit zu bringen“, sagt Hikel.

Den Begriff Widerstand empfiehlt Hikel vorsichtig zu nutzen. Er habe zunächst für Widerstand gegen das NS-Regime gestanden, werde aber seit den 1970er Jahren „inflationär benutzt“. Auch die RAF habe ihn für sich vereinnahmt: So habe das RAF-Mitglied Ulrike Meinhof den bewaffneten Widerstand deutlich von Protest abgegrenzt. Die studentische „Macht des Wortes“ sei für die RAF erschöpft gewesen: „Sie wurde gegen Waffen ausgetauscht.“ Die Flugblattaktionen der Weißen Rose hätte die RAF darum wohl eher nicht Widerstand, sondern entwertend Protest genannt.

Wie friedlich der Protest der Weißen Rose geblieben wäre, hätte sie andere Mittel gehabt, ist umstritten. Zwar war das Gründungsmitglied Alexander Schmorell überzeugter Pazifist. Aber dass die Studierenden zu passivem Widerstand aufriefen, lag auch daran, dass sie „keine reiche Auswahl an Mitteln“ hatten, wie es im dritten Flugblatt heißt. So rieten sie zur „Sabotage“. Sophie Scholl galt als besonders radikal. Sie entschärfte im Reichsarbeitsdienst Waffen und soll bereit gewesen sein, Hitler zu erschießen. Die Weiße Rose suchte zudem Zugang zum militärischen Widerstand.

Die Studentin Nellie Nickel, die die Veranstaltung mit organisiert hat, zeigte sich über den Verlauf zufrieden: „Wenn wir uns 70 Jahre nach der Weißen Rose überlegen, welche Bedeutung sie für unsere Leben in Deutschland heute hat, sollten wir auch Lektionen aus der Zeit der 68er und der RAF mit berücksichtigen“, erklärte sie. Es sei „fruchtbar“ und „sinnvoll“, „diese beiden Aspekte studentischer Staatsfeindschaft zusammenzuführen“. Wichtig sei aber: „Ein Vergleich ist keine Gleichsetzung!“

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