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„Viel Rückhalt vom Senat“. Für ihre Schulpolitik musste Sandra Scheeres so manche Kritik einstecken. Große hochschulpolitische Versäumnisse muss sie sich aber nicht vorwerfen lassen. Das Foto zeigt Scheeres mit Michael Müller an der Charité.

© Bernd von Jutrczenk/ picture alliance / dpa

Der Berliner Senat und die Hochschulen: Wacker für die Wissenschaft

Bei ihrem Amtsantritt schlug Wissensschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) viel Skepsis entgegen. Tatsächlich sind die Unis mit ihr gut gefahren.

Die Bilanz von Berlins Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres? „Ihr Problem sind die Schultoiletten und heulende Lehrer im Lehrerzimmer“, sagt eine Beschäftigte einer großen Berliner Uni. „Bei den Hochschulen steht sie viel besser da.“

Tatsächlich ist über Scheeres’ Amtsführung wenig Negatives aus den Hochschulen zu erfahren. Dabei hatte die Nachricht, Scheeres (SPD) werde dem einflussreichen und erfahrenen Jürgen Zöllner (SPD) als Senatorin folgen, die Hochschulszene vor fünf Jahren ziemlich erschreckt. Scheeres war auf Jugend und Kitas spezialisiert, wie sollte sie da Berlins Hochschulen durch die Unwägbarkeiten der Exzellenzinitiative und der Finanzierung steuern? Nach Scheeres’ ersten Uni-Besuchen lästerten Professoren, sie habe sogar die Begrüßung vom Blatt ablesen müssen. Indes, schlecht sind die Hochschulen mit ihr nicht gefahren.

Die Staatssekretäre

Ist das vielleicht Scheeres’ Staatssekretären zu verdanken? Selbst wenn es so gewesen sein sollte, spräche es für Scheeres, „dass sie mit Knut Nevermann und mit Steffen Krach tüchtige Staatssekretäre hatte“, meint TU-Präsident Thomsen. Steffen Krach, der Nevermann Ende 2014 ablöste, pflegt außerdem einen engen Kontakt zu seinem politischen Ziehvater Jürgen Zöllner, der inzwischen Kuratoriumsvorsitzender der FU und Vorstand der Stiftung Charité ist. Schon durch Zöllners Einfluss ist Berlin auch unter Scheeres wissenschaftspolitisch strategiefähig geblieben. Allerdings kümmert sich die Senatsverwaltung auch um viele kleine Dinge, was TU-Präsident Thomsen kritisiert: „Sie betreibt zu viel Detailsteuerung, und wir befürchten, dass es noch mehr wird.“

Hochschulverträge

Ihre entscheidende Prüfung hat Scheeres bestanden. Mit dem keineswegs als Freund der Berliner Wissenschaft geltenden damaligen Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos für die SPD) handelte sie für die Jahre 2014 bis 2017 Zuschüsse für die Hochschulen aus, die die steigenden Kosten zumindest teilweise abfedern. „Die Verträge erfüllen nicht alle Wünsche der Hochschulen, aber mit Blick auf die Lage waren sie ganz gut“, sagt TU-Präsident Thomsen. „Sandra Scheeres hat sich dafür voll eingesetzt, das ist nicht selbstverständlich.“ „Die leichten Aufwüchse sind durch die Senatorin erstritten worden“, lobt auch FU-Präsident Peter-André Alt. „Erstmals nach 25 Jahren gibt es an der FU sogar einen maßvollen Aufwuchs bei den Professuren.“

Auch um die Finanzen der Charité musste Scheeres mit Nußbaum ringen: „Es hat mich beeindruckt, wie sie für die Charité kämpft“, sagt Günter Stock, Mitglied des Aufsichtsrats der Charité und Vorstandsvorsitzender der Einstein-Stiftung: „Durch sie ist die Charité in ruhiges Wasser gekommen, das muss man eindeutig auf ihre Haben-Seite legen.“

Allerdings sind die Hochschulen mit ihrer Grundfinanzierung nicht zufrieden. „An entscheidenden Stellen fehlt Geld, etwa für Tarifsteigerungen und Pensionskosten“, sagt Alt. Außerdem kritisieren die Hochschulen Fehlsteuerungen und zu strenge Sanktionen bei der leistungsbezogenen Mittelvergabe. Jedoch: „Es war die erste Legislaturperiode seit Langem, in der das Berliner Hochschulgesetz nicht reformiert wurde“, sagt Alt. „Ich schreibe es der Senatorin gut, dass sie uns die nötige Freiheit gelassen hat.“

Sanierungsstau

Als besonders dürftig galten jedenfalls die in den Hochschulverträgen vorgesehen Mittel für die Gebäudesanierung. Schließlich bezifferten die drei großen Unis ihren Sanierungsstau auf über eine Milliarde Euro. Als Durchbruch gilt es darum, dass der Senat im Januar 2015 für die Hochschulen ein „Bau- und Investitionsprogramm“ beschlossen hat: In zehn Jahren sollen ab 2017 insgesamt 1,2 Milliarden Euro verbaut werden. „Das wird einen spürbaren Unterschied machen“, sagt TU-Präsident Thomsen.

Jährlich 32 Millionen Euro davon stammen aus den früheren Bafög-Mitteln – in Berlin insgesamt 66 Millionen Euro –, die frei geworden sind, weil der Bund das Bafög nun alleine übernommen hat. Berlins Schulen bekommen 12 Millionen Euro. Das restliche Drittel soll für die steigenden Kosten von Hochschulen und Schulen aufgewendet werden.

Exzellenzinitiative

In dem extrem scharfen Wettbewerb konnte sich die FU im Jahr 2012 auf dem Exzellenzolymp behaupten. Und endlich schaffte es auch die Humboldt-Universität hinauf. Diese Erfolge gehen sicher nicht auf Scheeres zurück. Aber wären die Unis gescheitert, hätte man sie dafür wohl verantwortlich gemacht.

Einstein-Stiftung

Negatives Aufsehen erregte Berlins Umgang mit seiner Einstein-Stiftung. Die renommierten Wissenschaftler Gerhard Casper und Helmut Schwarz traten aus dem Stiftungsrat zurück, weil Einsteins Etat drastisch gekürzt werden sollte: von fast 13 Millionen auf 2,5 Millionen Euro.

Die Einstein-Stiftung stammt aus Jürgen Zöllners Amtszeit. Sie soll Berlins Unis bei der Spitzenforschung unterstützen. Die Attacke auf Zöllners Prestigeprojekt ging von seinem Widersacher aus: Finanzsenator Nußbaum hatte bei den Haushaltsverhandlungen im Jahr 2013 sogar eine Nulldiät für Einstein verlangt. Nach Protesten wurden für das Jahr 2015 rund 4,9 Millionen Euro bewilligt. Und seit 2015 bekommt Einstein jedes Jahr rund 7,8 Millionen Euro. Neu ist ein erfolgsabhängiger Zuschuss: Berlin belohnt jeden von Privaten eingeworbenen Euro mit 50 Cent: „Das ist innovativ, mutig und hilfreich“, lobt Stock. Überhaupt gebe es ein „gutes Miteinander“ zwischen Einstein und Scheeres’ Haus.

Professorenbesoldung

Der Senat verärgerte die Professorinnen und Professoren, als er im Jahr 2014 eine kostenneutrale Reform ihrer Besoldung anstrebte. Die Reform war nötig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Grundbezüge der W2-Professoren in Hessen als zu niedrig beurteilt hatte. Berlin wollte seine ebenfalls niedrigen Grundgehälter nun aufbessern, indem es die Leistungszulagen der Professoren zur Erhöhung des Grundgehalts einsetzt. Nach Proteststürmen der Professoren rang das Land sich aber zu einer spürbaren Gehaltserhöhung durch. Mit seiner W-2-Besoldung von 5144 Euro ist Berlin nun nicht mehr Schlusslicht, wenn auch elf Länder mehr zahlen. Bei W3 liegt Berlin mit 5900 Euro im Mittelfeld.

Lehrerbildung

Berlins Lehrerstudium wurde unter Scheeres gründlich und schnell reformiert – ihr Vorgänger hatte die Weichen bereits gestellt. So gibt es seit dem Start vor einem Jahr ein Praxissemester, Pflichtkurse in Deutsch als Zweitsprache und in Inklusion. Außerdem studieren Grundschulpädagogen Mathe und Deutsch so intensiv wie nie zuvor. „Die Reform ist ein wirklich großer Fortschritt“, sagt Detlef Pech, an der Humboldt-Universität Professor für Sachunterrichtsdidaktik und Direktor der Professional School of Education.

Seit Monaten steht Scheeres aber massiv in der Kritik, weil sie erst vor Kurzem erkannt hat, dass Berlin viel zu wenige Lehrkräfte ausbildet, besonders für die Grundschule. Auch Scheeres’ Vorgänger hätten das schon sehen müssen, meint Pech: „Das war schon vor zehn Jahren absehbar.“ Die Versäumnisse belasten nun die Unis. Sie müssen aus dem Stand deutlich mehr Studierende aufnehmen als früher. Waren an der Humboldt-Uni bislang insgesamt etwa 300 Studierende im Grundschullehramt immatrikuliert, werden es im Jahr 2019 voraussichtlich 1500 sein, sagt Pech. Vom Land kommen dafür Mittel für neue Stellen, auch für Professuren. Doch der zusätzliche Verwaltungsaufwand, etwa bei der Zulassung, wird nicht abgefedert, auch nicht die Anmietung neuer Seminarräume, was in Berlin-Mitte besonders schwierig ist. Pech befürchtet auch, dass der Senat den absehbaren Mangel an Lehrkräften für die Oberschulen ignoriert: „Die Grundschulkinder werden ja größer. Aber was ist der Plan für die Sekundarstufe?“, fragt er.

Digitalisierung

Erstaunlich offen und schnell reagierte der Senat auf den Vorschlag von Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner, 100 IT-Professuren in Berlin zu schaffen. Präsident Christian Thomsen sagt, inspiriert von Turners Idee habe er kurz darauf den Regierenden Bürgermeister angerufen: „Michael Müller hat sofort gesagt: ,Ja, das machen wir.‘ “ Zunächst sollen 50 Professuren, ganz überwiegend Juniorprofessuren, entstehen.

Flüchtlinge

Als klar wurde, dass unter den Flüchtlingen auch viele Studieninteressierte sind, finanzierte Scheeres kurzfristig Uni-Programme zur Studienvorbereitung: „Scheeres hat in der Flüchtlingskrise viel Gespür gezeigt“, sagt Thomsen. „Ihrem persönlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass die TU schon im Herbst eine erste Flüchtlingsklasse einrichten konnte.“

Fazit

„Wir empfinden viel Rückhalt von der Senatsverwaltung für Wissenschaft, aber auch vom Regierenden Bürgermeister“, sagt TU-Präsident Thomsen. FU-Präsident Alt meint: „Unterm Strich war es eine gute Phase für Berlins Wissenschaft.“ Und Günter Stock sagt: „Die Unkenrufe bei Scheeres’ Amtsantritt sind – jedenfalls soweit ich das überblicken kann – unberechtigt gewesen.“

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