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Verirrungen und Entgleisungen. Die Gemeinde des Doms St. Peter und Paul in Brandenburg an der Havel ergab sich 1933 widerstandslos dem Ansturm der Deutschen Christen.

© Jens Wolf/picture-alliance/ZBZB

Der Dom in Brandenburg in der NS-Zeit: Loblieder auf Hitler

Der Dom in Brandenburg an der Havel feiert sein 850. Jubiläum. In der NS-Zeit öffnete die Gemeinde den Nazis die Türen. Schon 1933 ergab sie sich widerstandslos dem Ansturm der Deutschen Christen, aus deren Reihen sich fortan das Führungspersonal rekrutierte.

Die Stadt Brandenburg an der Havel grünt und blüht dank Bundesgartenschau. Und auch der Dom St. Peter und Paul darf sich einen ganzen Sommer lang im Glanz seiner 850-jährigen Geschichte sonnen – einer Geschichte, die gewiss ihre Glanzpunkte hatte, aber auch Entgleisungen und Verirrungen. 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und 25 Jahre nach der deutschen Vereinigung scheint die Zeit reif, um gründlicher nachzufragen: Was geschah eigentlich am Dom St. Peter und Paul, als Hitler kam?

Im März 1933 ziehen SA und SS zum Dom

Wenige Tage nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 zog eine Siegesparade der nationalen Koalition von NSDAP und Deutschnationalen durch die Hauptstraßen der Havelstadt. Vom Stadtzentrum marschierten Stahlhelm (Bund der Frontsoldaten), SA und SS bei dieser Gelegenheit auch zum Dombezirk, wo sie im Burghof Aufstellung nahmen.

Professor Dr. Ludwig Ziehen, Direktor des Domgymnasiums (Ritterakademie), unterbrach die Reifeprüfung und beantwortete die Heilrufe von SA, SS und Stahlhelm mit einer Ansprache, worin er der „Befreiung Brandenburgs durch die nationale Bewegung gedachte“ und allen dankte, die dazu beigetragen hatten. Zugleich drückte er die Hoffnung aus, dass von nun an die „stolzen nationalen Fahnen“ (Hakenkreuzfahne und Schwarz-Weiß-Rot) niemals mehr vom Brandenburger Rathaus verschwinden würden. Nach einem dreifachen „Sieg Heil!“ beendeten die Marschierer ihre politische Huldigung und kehrten in die Stadt zurück.

Ludwig Ziehen ist eine Schlüsselfigur

Wer die Verhältnisse am Dom zu Brandenburg während der Hitlerzeit verstehen will, muss sich mit der Schlüsselfigur Ludwig Ziehen befassen. Ziehen entstammte einer Familie des Bildungsbürgertums in Frankfurt am Main. Nach Studium der klassischen Philologie und Geschichte wurde er mit einer wissenschaftlich bedeutenden Untersuchung über „Leges Graecorum Sacrae“ (antiken Inschriften zu religiösen Gesetzen der Griechen) promoviert. Seit 1916 amtierte er als Direktor der Ritterakademie am Dom und gehörte qua Amt als Domherr auch dem Domkapitel an.

Ziehen profilierte sich von Beginn an als ein politischer Gegner der Weimarer Demokratie. Bereits 1923 begründete er in Brandenburg die „sozialnationale Vereinigung“, einen rechtsextremen politischen Klub. Spätestens seit dem Wahlerfolg der NSDAP von 1930 trat der Direktor der Ritterakademie in Brandenburg als politischer Wegbereiter der Hitlerpartei hervor. Offiziell schloss er sich zum 1. November 1932 der NSDAP an. Bei den Kommunalwahlen vom 12. März 1933 war er Spitzenkandidat der NSDAP-Liste.

Bildungsbürger. Ludwig Ziehen, Manager des Doms.
Bildungsbürger. Ludwig Ziehen, Manager des Doms.

© Domstiftsarchiv Brandenburg

Nicht ohne Beklemmung liest man heute Berichte über die konstituierende Sitzung des Stadtparlaments am 2. April 1933, auf der Ziehen zum Stadtverordnetenvorsteher gewählt wurde und das Wort führte. Auf Antrag der NSDAP wählte die nationale Koalition Hindenburg und Hitler zu Ehrenbürgern der Stadt. Spontan erhob sich daraufhin die Versammlung und sang das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied. Angehörige der SPD-Fraktion, die sich beim Absingen des Horst-Wessel-Lieds nicht erhoben hatten, wurden von SA-Ordnern aus dem Saal geführt und vor den Türen verprügelt.

Die Gemeinde ergibt sich den Deutschen Christen

Ludwig Ziehen war um 1933 eine prominente Figur des öffentlich-politischen Lebens der Stadt Brandenburg und zugleich der maßgebliche Manager im Dombezirk. Die zum Dom gehörige Kirchengemeinde war eine kleine Gemeinde von circa 1000 Seelen. Bei den letzten Kirchenwahlen vom Juli 1933 ergab sie sich widerstandslos dem Ansturm der „Deutschen Christen“ (DC), einer innerkirchlichen Parallelbewegung zur Hitlerpartei, die 80 Prozent der Mandate am Dom beanspruchte und künftig den Ton in der Gemeinde bestimmte.

Die Ritterakademie (Domgymnasium mit Internat), eine traditionsreiche Eliteschule mit christlicher Grundprägung, nahm seit 1933 mehr und mehr den Charakter einer nationalsozialistischen Schule an. Anlässlich einer Feier zur Verabschiedung des langjährigen Direktors Ziehen im März 1934 verkündete dieser, der Geist des „Dritten Reiches“ stimme überein mit dem alten preußischen Geist der Pflichterfüllung und Hingabe an den Staat. Der scheidende Direktor schloss seine Rede mit einem „Sieg Heil!“ auf Vaterland und „Führer“. Abschließend erklangen das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied.

Lobgedichte auf Hitler in der Schulgemeinde

Ein Schlaglicht auf den vorherrschenden Schulgeist wirft die Schulfeier vom 30. Januar 1937 aus Anlass des vierten Jahrestags der Machtübernahme Hitlers. Die Feier begann mit dem Gemeinschaftsempfang der Rede des Propagandaministers Goebbels; sodann sang der Schulchor den Choral: „Bis hierher hat mich Gott gebracht“. Schulzöglinge trugen Gedichte von Reichsjugendführer Baldur von Schirach und ein Lobgedicht auf Hitler („Dem Führer“) des Nazi-Dichters Heinrich Anacker vor. Mit dem Absingen des Deutschland- und des Horst-Wessel-Lieds endete diese Schulfeier vom 30. Januar 1937.

Ein intensiver Briefwechsel Ziehens mit den auswärtigen Domherren erlaubt Einblicke in deren Gedankenwelt und Haltungen während der Kriegszeit. Drei Domherren waren prominente DC-Führungsfiguren, fast alle gehörten der Hitlerpartei an, mehrere schon lange vor 1933. Friedrich Peter, der immer noch den Bischofstitel führte, berichtete im September 1941 als „Hauptmann und Batteriechef“ vom russischen Kriegsgebiet. Er beklagte die Vernichtung religiöser Einrichtungen durch den Bolschewismus. Dagegen habe „der Führer“ wiederholt betont, dass dem Nationalsozialisten die religiösen Einrichtungen seines Volkes heilig sein müssten. So stehe es doch auch in seinem Buch „Mein Kampf“.

Der Domherr war vorher Kreisleiter der NSDAP

Intensiv gestaltete sich Ziehens Briefwechsel auch mit Domherr Karl Scholze, vormals Kreisleiter der NSDAP in Brandenburg (Havel). Am 1. Oktober 1941 berichtete Scholze: „Inzwischen sind wir in der Ukraine immer weiter vorgestoßen und bilden wohl jetzt die ostwärtigste Spitze der gesamten Front, vielleicht Finnland ausgenommen. Die Schlacht von Kiew haben wir in den Anfangstagen erlebt und drehten schon wieder sehr zeitig nach Osten ein (...). Wir hoffen nur, dass das Wetter uns gnädig ist und wir den Russen noch einmal vor Einbruch des Winters eine Vernichtungsschlacht liefern können. Die Vorsehung möge uns dazu leiten.“

Scholze gehörte wie Ziehen zu den politischen Pionieren der Hitlerpartei in der Stadt Brandenburg. Peinlich war für Ziehen im Herbst 1943 die Nachricht, dass Domherr Scholze aus der Kirche ausgetreten sei. Nach den Satzungen des Domkapitels erlosch damit auch dessen Domherrenwürde.

Mit der Kriegswende 1942–43 ist ein Stimmungswandel in diesen Briefgesprächen zu erkennen. Der bis dahin entbotene Hitlergruß trat zurück, man grüßte nun nur noch „herzlich“ oder „in alter Verbundenheit“. Bei einigen Schreiben Ziehens lässt sich auch Distanznahme, sogar kritische Haltung zum NS-Regime herauslesen. In einem Brief an Bischof Peter (Juni 1943) meinte Ziehen, die heutige Zeit sei keineswegs so herrlich, wie uns dies die Propaganda oft glauben machen wolle. Aber öffentliche Kritik sei ja nicht möglich. Wäre sie möglich, so würde „Vieles“, was heute in der Heimat und den „besetzten Gebieten“ geschehe, sofort unterbleiben.

Eine schwierige Zeit für den Dom Brandenburg

Gewiss, die NS-Zeit war eine schwierige Zeit für den Dom Brandenburg. Schwierig aber nicht nur deshalb, weil durch Staats- und Parteistellen in die Geschicke des Doms hineinregiert wurde. Die Partei war schon drin im Dombezirk, als Hitler 1933 an die Macht kam. Maßgebliche Persönlichkeiten am Dom wie der alles dominierende Manager des Dombezirks Ziehen traten entschieden für eine Synthese von Christentum, Geist des alten Preußentums und NS-Weltanschauung ein.

Sehr auffallend ist unter diesen Prämissen der eklatante Rückgang des geistlich-kirchlichen Lebens am Dom. Die geistigen und geistlichen Türen am Dom wurden 1933 zu wesentlichen Teilen von innen geöffnet – mit dem Resultat einer weitreichenden Nazifizierung der gesamten Einrichtung. Es ist Zeit, diese ernüchternde Bilanz 70 Jahre nach Kriegsende und 25 Jahre nach der deutschen Vereinigung zu ziehen.

- Der Autor ist Professor für Neuere Geschichte am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.

Manfred Gailus

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