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Dirigierender Arzt. Zwei Semester lang studierte Stefan Willich Musik. Dann entschied er, dass er für eine große Musikerkarriere nicht gut genug sei – und schwenkte auf Medizin um. Hier dirigiert er das von ihm gegründete „World Doctors Orchestra“.

© Uwe Steinert

Der neue Rektor der Hanns-Eisler-Hochschule: Der Arzt macht die Musik

Bisher erforscht Stefan Willich, wie man Krankheiten vorbeugen kann. Künftig leitet er die Berliner Hanns-Eisler-Musikhochschule.

Klassische Musik unterstützt die Volksgesundheit. Wenn sich diese These wissenschaftlich untermauern ließe, wären die Orchester und Musiktheater der Republik mit einem Schlag alle ihre Finanzsorgen los. Kinder sollen klüger werden, wenn sie ein Instrument erlernen, hoffen die Eltern. Sie sollen ihre Sozialkompetenz schulen, wenn sie gemeinsam in einem Ensemble spielen. Es gibt diverse Arten der Musiktherapie, werdende Mütter beschallen ihre Babybäuche mit Mozart, Zahnarztpatienten sollen durch eine Klassik-Geräuschkulisse weniger schmerzempfindlich werden, weil bewusstes Hören Botenstoffe wie Dopamin freisetzt. Vieles in diesem Bereich aber ist noch These, Spekulation.

Eine groß angelegte, nationale Studie zum Thema „Musik und Gesundheit“ – das würde Stefan Willich gleich doppelt reizen. In seiner Funktion als Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité einerseits. Und andererseits in seiner neuen Rolle als Rektor der „Hanns Eisler“-Musikhochschule. Am 1. April wird der Mediziner offiziell in sein neues Amt eingeführt. Zum ersten Mal wurde der Posten nicht hausintern besetzt, zum ersten Mal „opfert“ sich nicht einer der Professoren, um für ein paar Jahre die Geschäfte der Ausbildungsstätte zu führen, die Gremienarbeit voranzutreiben. Angesichts der immer komplexeren Aufgaben, denen sich ein Rektor zu stellen hat, fühlte man sich jetzt reif für einen Externen.

Dass die Wahl auf Willich fiel, verwundert nur diejenigen, die den 53-jährigen Universalisten noch nicht kennen. Klassik spielte in seinem Leben nämlich von Anfang an eine große Rolle. Das Düsseldorfer Elternhaus ist bildungsbürgerlich geprägt, der Vater spielt Cello, die Mutter ist begeisterte Laienchorsängerin und nimmt den Sohn mit zu den Proben, wo er bis zum Stimmbruch die Gruppe der Altistinnen verstärkt. Früh entdeckt er seine Liebe zur Geige und hätte die Musik fast zu seinem Beruf gemacht. Doch nach zwei Semestern in Stuttgart gesteht er sich ein, dass ihm die ganz große Teufelsgeigerkarriere à la Paganini wohl verwehrt bleiben wird. „Mich beschlich die Angst vor einer mittelmäßigen beruflichen Situation“, gibt er heute zu. „Jahrzehntelang in der Provinz in einem Stadttheater zu spielen, das hätte zu viel Frust bedeutet.“

Also entscheidet er sich ganz rational für die Medizinerlaufbahn. Wenn er seinen privaten Traum schon nicht verwirklichen kann, dann will er wenigstens „etwas wirklich Wichtiges für alle Menschen tun“. Und genau das versucht Stefan Willich nun seit 1995 am Berliner Universitätskrankenhaus Charité. Er leitet eine Abteilung, die sich mit der Verbesserung präventivmedizinischer Strategien befasst, nicht nur in Bezug auf die Charité, sondern auch in globalen Zusammenhängen. Mit alternativmedizinischen Verfahren wie Akupunktur und Homöopathie setzt sich Willich ebenfalls auseinander und ist von ihrer positiven Wirkung überzeugt – eine Einschätzung, die ihm auch Kritik von anderen Wissenschaftlern eingetragen hat.

Parallel dazu aber hat er in seiner Freizeit die Musik weiter gepflegt, 2007 sogar ein „World Doctors Orchestra“ gegründet, in dem Mediziner aus aller Herren Länder gemeinsam Meisterwerke des sinfonischen Repertoires erarbeiten. Unter der Stabführung von Professor Willich. Seine Ärzteorchester-Initiative will er auch als Plädoyer verstanden wissen, „eine von nationalen Grenzen, politischen und wirtschaftlichen Interessen unabhängige medizinische Versorgung der gesamten Weltbevölkerung zu realisieren“. Die Einnahmen der Konzerte gehen komplett an karitative Projekte.

Auch in seiner neuen Funktion wird Willich das „World Doctors Orchestra“ weiter leiten – als reine Privatangelegenheit selbstverständlich. Die Stelle an der Charité kann er während der kommenden vier Jahre ruhen lassen. Kommt die Rede auf die Lehrkräfte an seiner neuen Hochschule, gerät er ins Schwärmen: „Hier arbeiten so viele wunderbare Künstler, viele davon sind echte Stars!“ Und schmunzelnd fügt er hinzu: „Als erste Amtshandlung werde ich darum durchs Haus streifen und mir einige Autogramme holen, die ich immer schon haben wollte!“ Danach will er „einige Wochen Diagnostik“ betreiben. „Ich kenne mich zwar in der Gremienarbeit gut aus, doch jetzt trete ich ja einem neue Stamm bei. Und da hat jeder seine eigenen Riten, seine eigene Sprache.“

Sobald er die beherrscht, steht die Umsetzung des Fünf-Punkte-Programms an, mit dem Willich sich bei der Findungskommission gegen 30 Mitbewerber durchsetzte. Da gilt es, durch kluge Besetzungspolitik die künstlerische Exzellenz des Hauses weiter auszubauen. Da geht es um praxisorientierte Angebote für die Studierenden von der präventivmedizinischen Fortbildung bis hin zu Kursen in Selbstvermarktung. Dann ist da natürlich die internationale Vernetzung des Hauses mit anderen Spitzeninstitutionen – und das weite Feld der Drittmitteleinwerbung und Sponsorenakquise. Vor allem aber möchte Willich die Öffentlichkeitswirkung der Eisler-Hochschule verbessern, allen Berlinern zeigen, was hier Großartiges passiert, sie einladen, sich die Vortragsabende der Instrumental- und Gesangsklasse anzuhören: „Wir sind Steuergeldempfänger. Und also solche müssen wir immer wieder aufs Neue unsere Wertigkeit für die Gesellschaft nachweisen.“

Zwischen Musikern und Medizinern gibt es in den Augen von Stefan Willich jede Menge Parallelen: Das beginnt mit einer langen, harten und entbehrungsreichen Ausbildung, die in einen Beruf mündet, bei dem man ein enormes Fachwissen benötigt, das sich im Alltag aber nie schematisch anwenden lässt. So wie die bekannteste Partitur immer wieder neu befragt werden muss, stellt sich auch der Arzt auf jeden Patienten individuell ein. Als Belohnung für die Plackerei winkt die Dankbarkeit der Menschen, die sich nach dem Besuch von Praxis oder Konzertsaal besser fühlen. Gesünder eben.

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