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Wissen: Der Urmensch mit der Feuermähne

Auch Neandertaler hatten rote Haare und Sommersprossen. Das zeigt die Erbgutanalyse

Rote Haare haben etwas Abenteuerliches an sich. Ihnen haftet das Flair der wilden Nordvölker an. Erik der Rote, berüchtigter Anführer der Wikinger, hieß so wegen der Farbe seines Schopfes. Er war nicht zimperlich. Als Nachbarn mit ihm um Weideflächen stritten, erschlug er sie kurzerhand. Gemälde zeigen ihn mit struppigem Bart, wettergegerbtem Gesicht und stolzem Blick.

Ähnlich grimmig könnten die Neandertaler ausgesehen haben – jene muskelbepackten Urmenschen, die Europa und Asien einige hunderttausend Jahre lang bewohnten, bevor sie vor etwa 30 000 Jahren ausstarben. Auch unter ihnen gab es Rothaarige. Das berichten Forscher aus Deutschland, Spanien und Italien jetzt vorab in „Science online“.

Die Wissenschaftler gewannen winzige Mengen Erbsubstanz (DNS) aus den Knochen von zwei Neandertalern und untersuchten sie. Dabei zeigte sich, dass ein bestimmtes Gen bei den Urmenschen in einer Variante vorkam, die bei modernen Menschen nicht auftritt. Es handelt sich um das MC1R-Gen, das die Farbe von Haut und Haaren beeinflusst.

„Dieses Gen steuert die Produktion der körpereigenen Farbstoffe Eumelanin und Pheomelanin“, sagt Holger Römpler, einer der beteiligten Forscher, der am Institut für Biochemie der Uni Leipzig arbeitet. Eumelanin ist dunkel, Pheomelanin ist gelblich-rötlich. Die spezielle Variante des MC1R-Gens beim Neandertaler hätte wahrscheinlich dazu geführt, so Römpler, dass dessen Haut wenig dunkles und viel helles Pigment produzierte. Das hieße, dass die Urmenschen blass waren und rötliche Haare hatten – ähnlich wie die heutigen Isländer oder Schotten.

„Allerdings wissen wir nicht, wie verbreitet dieses Gen damals war“, sagt Michael Hofreiter vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Statistische Berechnungen hätten ergeben, dass mindestens jeder zehnte Neandertaler die Erbanlage in sich trug. Wie viele von ihnen tatsächlich rothaarig waren, weiß man nicht. Beim modernen Menschen sind es etwa zwei Prozent. Rote Haare, fahle Haut und viele Sommersprossen sind nicht bloß äußerliche Attribute. Dass sie bei Nordländern oft vorkommen, hat einen Grund. „Es handelt sich wohl um eine Anpassung an das Leben in sonnenarmen Gebieten“, sagt Hofreiter. Das ultraviolette Licht der Sonne fördert die Bildung von Vitamin-D3 in der Haut. Dieses Vitamin ist wichtig: Gibt es zu wenig davon im Körper, werden die Knochen brüchig.

Je mehr dunkle Pigmente die Haut enthält, umso besser schirmt sie die ultravioletten Strahlen ab und umso weniger Vitamin-D3 wird gebildet. Für die Bewohner des dämmrigen Nordens ist helle Haut vorteilhaft. Sie lässt viel UV-Licht durch und erlaubt dem Körper, die wenigen Sonnenstrahlen optimal zu nutzen. Das könnte der Grund sein, warum auch die Neandertaler rotschöpfig und bleichgesichtig durch die Gegend stapften. Denn sie lebten im kalten, dunklen Europa und froren sich durch lange Winternächte.

Erbmaterial von Neandertalern zu untersuchen, ist schwierig. Erstens ist kaum noch etwas von den Urmenschen übrig außer ein paar steinalte Knochen und Zähne. „Aus den Überresten von längst ausgestorbenen Spezies kann man nur kurze DNS-Bruchstücke herausholen, die Erbstruktur als Ganzes ist längst zerfallen“, erklärt Römpler.

Zweitens, und das ist das größere Problem, sind alle Knochenfunde von Urmenschen mit moderner DNS verunreinigt. Schon wenn ein Präparator den Knochen berührt, hinterlässt er dort ein paar Hautzellen von sich. Seine DNS klebt dann an dem Fossil und ist bei späteren Untersuchungen kaum von dem Erbmaterial des Urmenschen zu unterscheiden.

Könnte die spezielle Version des MC1R-Gens, die jetzt im Genom von Neandertalern entdeckt wurde, auch eine Verunreinigung sein? Könnte sie aus dem Erbgut eines modernen Menschen stammen? Das ist nicht völlig auszuschließen – allerdings halten es die beteiligten Forscher für sehr unwahrscheinlich. Denn diese besondere Genvariante scheint bei modernen Menschen nicht vorzukommen.

Die Forscher prüften das Erbmaterial von mehreren tausend Personen; kein Einziger davon trug die fragliche Version des Gens in sich. Auch im Erbgut von heutigen Tieren war sie nicht anzutreffen. „Wenn man zudem bedenkt, dass wir die spezielle Erbanlage bei zwei verschiedenen Neandertaler-Fossilien gefunden haben und den Fund in drei Labors bestätigen konnten, bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, dass sie aus dem Neandertaler-Genom stammt“, sagt Hofreiter.

Unterdessen arbeiten die Wissenschaftler daran, weitere Teile der Neandertaler-DNS zu entschlüsseln. „In einigen Jahren wird wahrscheinlich das komplette Genom entziffert sein“, sagt Römpler. Die Leipziger MPI-Forscher um Svante Pääbo sind auf diesem Gebiet weltweit führend.

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