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Trockengelegt. Der Aralsee, einst der viertgrößte Binnensee der Welt, hat einen Großteil seiner Fläche eingebüßt.

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Desertifikation: Wie wir eine wüste Zukunft schaffen

In vielen Gebieten der Erde verdorrt Land. Das hat auch mit dem Klimawandel zu tun. Der entscheidende Faktor ist jedoch ein anderer.

Mit den saftigen Weiden Schottlands können sich die Steppen Patagoniens nicht messen. Diese Lektion haben die argentinischen Bauern bitter lernen müssen. Seit langem nutzten sie die Steppen als Weideland. Im 20. Jahrhundert aber begannen sie dort, in Herden importierte Schafe grasen zu lassen. Die dünne Vegetationsdecke wurde von den Tieren förmlich vernichtet, Erosion setzte ein. Der Boden gab für die Pflanzen immer weniger her. Am Ende hatten die Schafe gar nichts mehr zu fressen, und die verarmten Besitzer mussten in die Städte abwandern. Auf großen Flächen war aus Steppe Wüste geworden.

Die Geschichte ist kein Einzelfall. In vielen Ländern der Erde kämpfen Menschen gegen wüstenartige Bedingungen, die sie selbst geschaffen haben – ob in afrikanischen Staaten südlich der Sahara, in Nordchina, rings um den zentralasiatischen Aralsee oder in Südspanien. Betroffen sind Regionen, in denen es von Natur aus nur so wenig regnet, dass die Vegetation gerade eben für Weidevieh und kärglichen Ackerbau reicht. Untaugliche Bewässerungsmethoden, Überweidung und der Anbau ungeeigneter Nutzpflanzen – Monokulturen aus Mais zum Beispiel – schädigen die Böden und lassen den Ertrag sinken, bis auf Dauer ganze Landstriche so sehr veröden, dass sie Wüsten ähneln. Desertifikation nennen Wissenschaftler das. Sie müssen der Entwicklung oft ohnmächtig zuschauen; gegen die gesellschaftlichen und ökonomischen Ursachen kommen sie nicht an. Armut, Mangelernährung oder gar Hungersnöte und Flüchtlingsströme können die Folge sein.

Um über Maßnahmen zu beraten, trafen sich Mitte Oktober die Mitgliedsländer der Konvention der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) in Changwon, Südkorea. Der 1994 beschlossene UNCCD-Vertrag ist inzwischen von 194 Ländern ratifiziert worden. Mit jedem Treffen der Teilnehmerstaaten wird deutlicher, wie vielschichtig die Schwierigkeiten sind, die mit dem Raubbau an Böden in Trockengebieten zusammenhängen. Die Desertifikation kann zum Beispiel nur wirksam bekämpft werden, wenn die Menschen vor Ort nicht durch Armut von der Mitarbeit abgehalten werden, wenn sie die nötigen Kenntnisse besitzen und wenn die Behörden und die Eigentümer der Böden mitspielen.

Schon mehr als zwei der sieben Milliarden Menschen auf der Erde leben in trockenen Regionen und verbrauchen so viel Wasser und Nahrung, dass es nicht ohne Folgen bleibt. Etwa in der Sahelzone, dem länglichen Streifen südlich der Sahara, der den Übergang zur Feuchtsavanne markiert. „Dort sind es vor allem die Ziegen, die zur Desertifikation beitragen“, sagt Roland Baumhauer, Professor für Physische Geografie an der Universität Würzburg. Er kennt das Gebiet von mehreren Forschungsreisen. Die viel zu großen Ziegenherden knabbern an den Pflanzen, bis der Boden kahl ist. Eigentlich, so Baumhauer, würden die empfindlichen Ökosysteme Zeit brauchen, um sich davon zu erholen. Die aber gäben ihnen die Ziegen nicht.

Werden die Ziegenherden nach ein paar feuchten Jahren mit grünendem Weideland größer, verkaufen die Nomaden überzählige Tiere nicht, denn das widerspräche der Tradition – es sind Statussymbole, von denen man sich nicht leicht trennt. Das ist auch in anderen Gegenden der Welt, etwa in der Mongolei, ein Problem. Die Entscheidung hat oft fatale Folgen: In Dürrejahren wird die Vegetation umso großflächiger vernichtet. Baumhauer erzählt von Experimenten der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die einzelne Gebiete eingezäunt habe. Dort seien nach drei bis vier Jahren die Pflanzen wieder da gewesen. Solche Experimente können sich die Bewohner jener Gegenden aber kaum leisten.

Die natürlichen Wüsten sind an der Desertifikation in der Regel nicht beteiligt. Weder die Sahara noch die Atacama würden größer werden, erklärt Baumhauer. Das Problem entstehe vielmehr durch menschliche Übernutzung innerhalb der halb trockenen Wüstensäume. Mit Satelliten verfolgen Forscher die Entwicklung seit Jahren. Die Instrumente im All registrieren, wie sich der Boden braun verfärbt, sobald die Vegetation stirbt. Doch es ist schwierig, aus den Messwerten das genaue Ausmaß der weltweiten Wüstenbildung zu errechnen - die Auswertung müsste an vielen Stellen vor Ort überprüft werden, weil die Anzeichen für Desertifikation so unterschiedlich sind.

Die Schätzungen gehen darum noch so weit auseinander, dass sich Fachleute bis heute ungern auf genaue Zahlen festnageln lassen möchten. Österreichische Forscher haben 2009 immerhin berichtet, weltweit sei eine Fläche von rund 12 Millionen Quadratkilometern, ein Gebiet größer als Europa, von Bodenverschlechterung in trockenen oder halb trockenen Regionen betroffen. Besonders stark ausgeprägt ist die Desertifikation südlich der Sahara und in Zentralasien.

Durch die Klimaerwärmung könnte sich das Problem weiter verschärfen. Doch bisher sind die genauen Folgen unklar. Es gibt zwar zahlreiche Simulationen mit Klimamodellen, aber die lassen sich bisher nicht präzise auf einzelne Regionen herunterbrechen. Sicher sind sich Forscher, dass Desertifikation das Land empfindlicher gegenüber Witterungsextremen macht. Von Dürren und Überschwemmungen kann sich der Boden dann nicht mehr so gut erholen, worunter der Ernteertrag leidet.

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Die Wüstenbildung verschärft viele soziale Krisen bis hin zum Krieg, wenn die Einwohner wegen Nahrungs- und Wassermangel zu Wanderschaft gezwungen sind. Nicht nur dadurch können die Auswirkungen der Desertifikation weit über die Region hinausgehen. Das geht aus einem Bericht des Magazins „Science“ von 2007 hervor: Im Norden Chinas und im Süden der Mongolei zum Beispiel ist durch die Entstehung neuer Wüsten die Häufigkeit der Staubstürme enorm gewachsen. Das spüren die Menschen nicht bloß in Peking, sondern sogar in der Hunderte Kilometer entfernten südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Laut dem landeseigenen Wetterdienst hat dort die Zahl der Tage mit hoher Staubbelastung von 23 in den 70er Jahren auf 96 im vergangenen Jahrzehnt zugenommen. Die Ursache war neben der zu großen Zahl von Weidetieren der verschwenderische Umgang mit Wasser und die Übernutzung von Ackerflächen in China. Flüsse trockneten aus, Steppen verdorrten. Nach einer Schätzung beträgt der ökonomische Schaden für China allein 650 Millionen Dollar pro Jahr.

Nicht überall wird die Verödung hauptsächlich durch Überweidung hervorgerufen. Beim Aralsee ist die Ursache vielmehr die landwirtschaftliche Bewässerung und die Verstädterung, die in Sowjetzeiten begann und bis heute anhält. In einem Projekt voller Größenwahn wurden riesige Wassermassen der Zuflüsse Amur-Darya und Syr-Darya umgeleitet, damit in den Sozialistischen Sowjetrepubliken Turkmenistans, Kasachstans und Usbekistans Baumwolle und Reis angebaut werden konnten. Dort blühte die Landwirtschaft auf, der Aralsee aber schrumpfte so stark zusammen, dass nur ein paar kleine, stark versalzene Seen übrig blieben. Die Fischerei brach zusammen; die neue Salzwüste Aral-Kum entstand.

Im Sommer heizt sich das stark verkleinerte Wasservolumen jetzt viel mehr auf als früher. Die hohen Wassertemperaturen führten zu starker Verdunstung, erklärt Karsten Kotte vom Institut für Geowissenschaften an der Universität Heidelberg. Dadurch müsse viel mehr Süßwasser zugeführt werden als früher, um den See wieder zu füllen. Vom trocken gefallenen Seegrund könne der Wind das salzhaltige Material abtragen. Der salzhaltige Staub werde Hunderte von Kilometern verfrachtet und führe dort zur Versalzung von wervollem Ackerland. Außerdem löse der Staub Erkrankungen der Atemwege aus und senke so die Lebenserwartung der Bevölkerung.

Doch es gab in jüngster Zeit auch gute Nachrichten. Mithilfe der Vereinten Nationen sind Dämme gebaut worden, um wenigstens den Nordteil des Sees zu retten. Inzwischen ist der Salzgehalt dort so weit gesunken, dass wieder Fische ausgesetzt werden konnten. Vielleicht könnten in Zukunft auch andere Teilbereiche des ehemaligen Aralsees wiederbelebt werden, sagt Kotte. Der östliche Teil sei wohl verloren.

Was kann gegen die Wüstenbildung unternommen werden, wo sie von Überweidung und landwirtschaftlicher Übernutzung verursacht wird? Ein Patentrezept gegen das höchst verwickelte Problem hat niemand. Immerhin verzeichnet das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP mehrere lokale Erfolgsgeschichten, etwa in China, Indien und der Sahelzone, wo durch Schutzmaßnahmen kleine Gebiete wieder ergrünt sind: In Mauretanien konnte demnach durch Befestigungen auf Dünen und andere Barrieren die Winderosion verringert werden. Im Norden Senegals wurde die traditionelle Tokeur-Methode zur Landbewirtschaftung wieder eingeführt, bei der für Ziegen ungenießbare Pflanzen die Felder schützen. Und im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh konnte durch Aufforstung und die Pflanzung von speziellen Gräsern die Bodenerosion gestoppt und der Grundwasserspiegel angehoben werden.

Auf der Ebene der Vereinten Nationen wurde in jüngster Zeit erwogen, ein wissenschaftliches Beratungsgremium nach dem Vorbild des UN-Klimarats IPCC zu schaffen. Das Gremium würde Politikern der UNCCD-Vertragsstaaten Empfehlungen geben, welche Maßnahmen am wirksamsten beim Kampf gegen neue Wüsten helfen. Doch die Wissenschaftler Kotte und Baumhauer beurteilen Sinn und Zweck eines solchen Gremiums skeptisch. „Die Erfahrung zeigt, dass sich Politiker an die Ratschläge nicht halten und dass die Gelder für Hilfsprogramme oft versickern“, sagt Baumhauer. Auch Kotte warnt davor, zu große Hoffnung in ein solches Gremium zu setzen. Er plädiert vielmehr dafür, die oft mühevolle Zusammenarbeit mit den Einwohnern zu intensivieren. Ein Gremium auf UN-Ebene würde gewiss helfen, die Anstrengungen zu koordinieren, aber anders als vielleicht in der Klimaforschung werde man echte Fortschritte bei Fragen der Wüstenausbreitung nur auf regionaler und nationaler Ebene erreichen.

Laut Baumhauer ließe sich die Wüstenentstehung nur dann wirksam und dauerhaft eindämmen, wenn die Bevölkerungsdichte in den betroffenen Regionen sänke und die Nutzung der Böden an ihre Leistungsfähigkeit angepasst würde. Von daher gebe es eine Entwicklung, die er mit Blick auf die Übernutzung der Böden durchaus positiv beurteile: dass die Menschen in trockenen Ländern vermehrt aus den Wüstenrändern wegzögen – hinein in die boomenden Groß- und Megastädte. Doch selbst das sei nur eine kurzfristige Lösung, schließlich müsse auch die Stadtbevölkerung von irgendwoher versorgt werden.

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