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Akademische Kontroverse: Deutsche Professorin: Wir schreiben genug Bücher

Christopher Young, Leiter der Germanistik in Cambridge hat im Tagesspiegel dargestellt, warum deutsche Geisteswissenschaftler seiner Meinung nach international nicht mitspielen. Die FU-Professorin Jutta Eming kontert: Deutsche Geisteswissenschaftler schreiben genug Bücher.

Anglo-amerikanische Geisteswissenschaftler schwitzen im Sommer über großen Monografien, mit denen sie regelmäßig neue Schneisen durch ihr Fach schlagen. Ihre deutschen Kollegen hingegen haben Zeit, frivol von Tagung zu Tagung zu tingeln. Schließlich erschöpft sich ihre Forschung darin, Projektanträge und Aufsätze zu verfassen. So hat es mein Kollege Christopher Young im Tagesspiegel vom 15. Juli dargestellt.

Dieses Bild ist falsch.

Ich habe noch nie erlebt, dass ein Kollege oder eine Kollegin aus Nordamerika eine Einladung zu einem mit deutschen Fördermitteln veranstalteten Kongress ausgeschlagen hätte, um sich lieber der Arbeit an der aktuellen Monografie zu widmen. Im Gegenteil – die meisten nordamerikanischen Kollegen nehmen eine Einladung gerne an und sind dankbar, dass sich dafür andere genau den Mühen der Antragstellung unterzogen haben, die Young kontraproduktiv findet. Zum einen erhalten sie von ihren Heimatuniversitäten nur begrenzt Reisemittel, zum anderen gibt es im Ausland sehr viel weniger Fördereinrichtungen. Allerdings stellen viele ausländische Kollegen ihren Vortrag dann nicht für den Kongressband zur Verfügung, sondern lassen ihn lieber in eine Monografie einfließen.

Youngs Vergleich der zwei akademischen Welten verschweigt auch, dass die Konzentration auf die Monografie um den Preis der Veröffentlichung von Artikeln erkauft wird. Das kann leicht dazu führen, dass die ausländischen Kollegen ein sehr eng gefasstes Forschungsfeld bearbeiten. Deutsche Professoren müssen dagegen durch Dissertation, Habilitation und inhaltlich in weiteren Gebieten gestreute Aufsätze nachweisen, ihr Fach „in der Breite“ vertreten zu können. In Nordamerika besteht dieser Anspruch nicht. Dies hat aber zur Folge, dass die Monografien dort in hohem Maße aufeinander aufbauen. Young zählt – zu Recht – C. Stephen Jaegers Buch „Origins of Courtliness“ zu den „großen Würfen“. Doch Jaegers jüngere Monografien, die um ähnliche Themen kreisen, aber keine vergleichbare Wirkung erzielt haben, nennt Young nicht. Anders als er suggeriert, wird nicht jede englischsprachige Monografie zu einem Meilenstein der Forschung.

Deutsche Anwärter auf Professuren haben meist zwei Bücher fertig geschrieben (Dissertations- und Habilitationsschrift), die aufwändigen Evaluierungsverfahren unterzogen worden sind. Natürlich wäre es wünschenswert, dass alle Habilitationen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt würden. Wer jedoch in den USA und Kanada zurzeit überhaupt das Glück hat, sich auf eine Professur mit Aussicht auf Dauerbeschäftigung bewerben zu können – überwiegend sind befristete Stellen ausgeschrieben, die eine kontinuierliche Forschungstätigkeit so gut wie ausschließen –, muss dafür in der Regel einen „Ph.D in hand“ vorweisen. Das entspricht einem Manuskript der Dissertation nach abgeschlossenem Promotionsverfahren. Keineswegs werden ein fertiges Buch und ein Verlagsvertrag für ein zweites erwartet, wie es Young zufolge in Großbritannien üblich ist. Wenn es zur Einstellung kommt, ist dieses Manuskript vielmehr in etwa fünf Jahren zu einem Buch umzuarbeiten und bei einem renommierten Verlag unterzubringen. Wird schließlich tenure, also die Entfristung des Vertrags gewährt, kommt dies fast immer der Beförderung zum Associate Professor gleich. Mit diesem Level geben sich dann viele Kollegen zufrieden: Sie möchten kein zweites Buch schreiben und/oder wollen sich der aufwändigen administrativen Arbeit, die auf Full Professors wartet, nicht aussetzen.

Die Behauptung, dass deutsche Professoren keine Monografien schreiben, wäre durch Verweise auf die Publikationslisten einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen leicht zu entkräften. Young sollte den Forschungsstand in seinem Fach aber gut genug kennen – auch in Bezug auf die Breite, in der deutsche Forschung im Ausland rezipiert wird.

Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass die erhöhten Anforderungen an Drittmitteleinwerbung in deutschen Universitäten einen Druck produzieren, der sich auf die Forschungstätigkeit auch negativ auswirken kann. Youngs Kritik der Verhältnisse wirkt jedoch teilweise so, als wäre sie aus Gesprächen mit deutschen Kollegen bei einem Glas Wein hervorgegangen. Es gehört zum deutschen – anders als zum anglo-amerikanischen – Gelehrten-Habitus, ständig über die eigene Arbeitsbelastung zu stöhnen. Aber Anekdoten sollten nicht mit Fakten über hiesige Arbeitsverhältnisse verwechselt werden. Ich glaube nicht, dass sich nüchtern besehen jemand zur von Young zitierten Aussage hinreißen ließe, dass hierzulande der Aufenthalt in Bibliotheken missbilligt wird. Das hohe Niveau der deutschen Forschung wäre kaum zu erzielen, wenn nicht schon Anträge gründlich in Bibliotheken recherchiert worden wären.

Christopher Young wird seinen Forschungsaufenthalt in Deutschland sicher nutzen können, um ein differenzierteres Bild über hiesige Arbeitsbedingungen zu gewinnen.

Die Autorin ist Professorin für Ältere deutsche Literatur und Sprache an der FU Berlin. Sie war von 2007 bis 2009 Assistant Professor in Medieval German Studies an der University of British Columbia in Vancouver/Kanada, und 2004 Max Kade Visiting Associate Professor an der Duke University und der University of North Carolina at Chapel Hill in den USA.

Jutta Eming

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