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Wissen: Die Bändigung der Gefühle

Meditation hilft gegen Stress – und verändert das Gehirn

Nicht reden, nicht schreiben, nicht lesen, keinen Augenkontakt, keinen Körperkontakt, keine Musik hören, keinen Sport treiben – nur ewiges Sitzen. Von morgens um halb fünf bis abends um neun. Unterbrochen nur von Essenspausen. Das ist mein Leben für zehn lange Tage. Ich bin einer von etwa 80 Menschen, die sich freiwillig dieser Tortur unterziehen. In der Hoffnung auf erleuchtende Momente oder es nur irgendwie durchzustehen.

Die ersten drei Tage sollen wir uns darauf konzentrieren, wie die Luft aus unserer Nase rein- und rausströmt. Anapana heißt diese Meditationsart. In guten Momenten schaffe ich das eine Minute lang. Dann ist mein Geist davongewandert. Tiefgründige Gedanken? Fehlanzeige. Die sind auch nicht wichtig, sagt der Meditationslehrer. Einfach den Atem wahrnehmen und Gleichmut üben gegenüber angenehmen und unangenehmen Empfindungen.

Auch wenn Meditation in den vergangen Jahren beliebter wurde, haftet ihr immer noch der Hauch des Esoterischen an: Das machen indische Yogis, tibetanische Mönche oder deutsche Althippies. Stimmt, aber man kann Meditation auch streng wissenschaftlich betrachten, so wie Ulrich Ott vom Bender Institute for Neuroimaging an der Universität Gießen. „Meditation wird als Geistesschulung angesehen“, sagt er, als Methode, seine Konzentration zu schärfen, seinen Körper besser wahrzunehmen und gelassener auf Empfindungen zu reagieren. Ott meditiert selber regelmäßig und erforscht, wie sich Meditation auf Struktur und Funktion unseres Gehirns auswirkt. Er lässt Probanden in einem Kernspintomografen meditieren. Dabei wird die Aktivität im Gehirn indirekt über die Durchblutung erfasst. Ein dreidimensionales Bild entsteht. Das laute, monotone Brummen in der Röhre lenke erfahrene Meditierende nicht ab, sagt Ott.

In den ersten Tagen braucht es nicht einmal Außenreize, um mich abzulenken. Ich bin genug damit beschäftigt, meine Gedanken zu bändigen. Ab dem vierten Tag sollen wir unsere Aufmerksamkeit über handtellergroße Bereiche unseres Körpers bewegen, darauf achten, was man genau dort und genau in diesem Moment fühlt. Vipassana heißt diese Technik.

„Parallel zu dem psychischen Erleben gibt es Veränderungen im Gehirn“, sagt Ott. Am Gießener Institut hat man Personen, die seit mindestens acht Jahren täglich Vipassana praktizieren, und Personen, die nicht meditieren, gebeten, ihre Aufmerksamkeit abwechselnd für eine Minute auf den Atem zu richten und dann für 30 Sekunden Kopfrechenaufgaben zu lösen. Die Meditierenden konnten ihre Aufmerksamkeit deutlich besser auf den Atem fokussieren. Ott und seine Kollegen konnten bei den Meditierenden eine deutlich höhere Aktivität im sogenannten anterioren cingulären Cortex feststellen. Diesem Hirnareal wird eine wichtige Rolle bei der Aufmerksamkeitssteuerung zugeschrieben.

Eine der meistbeachteten Studien über die veränderte Hirnfunktion wurde an tibetanischen Meditierenden durchgeführt. Per Elektroenzephalografie (EEG) wurden ihre Hirnströme gemessen. Dabei werden Elektroden auf der Kopfhaut angebracht und Spannungsschwankungen gemessen. Als die Tibeter während der Meditation ein Gefühl von Liebe und Mitgefühl erzeugten, hat das EEG eine außergewöhnlich hohe Amplitude der Hirnströme aufgezeichnet. Gammawellen, die in einem Frequenzbereich von 25 bis 100 Hertz liegen, traten in vielen Gehirnarealen synchron auf – normalerweise finden sie sich nur zeitlich und räumlich beschränkt. In einer im Dezember veröffentlichen Studie wurden bei erfahrenen Vipassana-Meditierenden ähnliche Werte festgestellt. Für Meditationsforscher deutet diese Auffälligkeit auf eine Erfahrung von Einheit hin. Dabei verschwinden die wahrgenommen Grenzen zwischen dem Selbst und der Umwelt. „Als wenn alle Wahrnehmungsfilter weg wären und man unmittelbar in der Gegenwart ist“, beschreibt Ott diesen Zustand.

Davon bin ich weit entfernt. Ab dem fünften Tag gibt es drei Stunden täglich, an denen man seine Augen nicht öffnen und sich nicht bewegen soll. Egal, wie bequem man denkt zu sitzen, wenn man die Position nicht ändert, kommen unweigerlich Schmerzen auf. In den Knien, im Rücken, am Hintern. Jede Minute dauert ewig. Die Schmerzen werden größer, ich fange an zu schwitzen. Gleichmut? Ebenfalls Fehlanzeige.

Auch die Struktur des Gehirns, das Volumen und die Dichte, ändern sich durch Meditation. Ott konnte bei erfahrenen Meditierenden einen vergrößerten Inselcortex feststellen. In diesem Bereich der Großhirnrinde werden chemische oder physische Signale aus unserem Körper empfangen und in Emotionen wie Liebe, Hass, Verlangen, Abneigung oder Schmerz umgesetzt. Wenn wir den Inselcortex trainieren, sollten wir also auch Kontrolle über unsere Emotionen gewinnen.

Tatsächlich kann ich das gegen Ende der zehn Tage beobachten. Die Schmerzen in meinen Knien und meinem Rücken bleiben, aber ich reagiere anders auf sie, verstärke sie nicht, indem ich ihnen Abneigung entgegenbringe. Sie haben alles Unangenehme verloren. Diese Technik wird inzwischen auch in der Schmerztherapie eingesetzt, etwa am Schmerzzentrum der Uniklinik Freiburg.

Daneben gibt es eine Reihe anderer positiver Wirkungen, die der Meditation zugeschrieben werden. Man kann Stress effektiv bekämpfen und viele Menschen hören durch Meditation auf zu rauchen oder zu trinken. Nicht weil man es sich vornimmt, sondern weil man viel sensibler gegenüber Körperempfindung wird, sagt Ott. Dadurch werde deutlich, was Alkohol oder Tabak im Körper anstellen.

Ein Problem der Meditationsforschung ist, dass meist eine Gruppe von Meditierenden mit Nicht-Meditierenden verglichen wird. Deshalb kann man nicht ausschließen, dass die jeweiligen Unterschiede schon vor der Meditation da waren, man also überhaupt meditiert, weil das Gehirn anders geschaffen ist.

Ich habe große Zweifel, ob ich für die Meditation gemacht bin. Der Lehrer sagt, dass Zweifel das größte Hindernis seien, um in der Meditation fortzuschreiten, was meine Zweifel noch wachsen lässt. Trotzdem erreiche ich an einem Abend einen Zustand, den ich mit Worten schwer beschreiben kann. Es fühlt sich leicht und unglaublich gut an. Ott sagt, man müsse den naiven Realismus, dass nur ist, was wir sehen, ablegen, um solche Erfahrungen zu machen. „Nur wenn man sich von seinen intuitiven Annahmen distanzieren kann, wird man offen für alternative Sichtweisen.“ Das gelte auch für veränderte Bewusstseinszustände. „Wer diese nicht selbst erlebt hat, kann sich nur schwer vorstellen, dass die Welt auch ganz anders erfahren werden kann.“

Daniel Etter

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