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Annette Schavan. Nachdem ihr der Doktortitel entzogen wurde, musste sie als Bildungsministerin zurücktreten.

© dpa

Die Ex-Ministerin und ihre Unterstützer: Schavanzentrisches Weltbild

Um die Doktorarbeit von Ex-Ministerin Schavan der Kritik zu entziehen, schlagen ihre Unterstützter immer neue Volten. Es bleibt die Frage, ob die Messlatte wieder in die korrekte Höhe zurückspringt, sobald es um eine andere Person geht.

Bevor die Planeten mit dem Segen der Wissenschaft ihre schlichten Umlaufbahnen um die Sonne ziehen durften, wollte das geozentrische Weltbild sie aberwitzige Wendungen vollführen lassen, um die Erde als Mittelpunkt des Sonnensystems sehen zu können.

Ein halbes Jahrtausend später verfechten viele einflussreiche deutsche Wissenschaftler ein ähnlich komplexes Weltbild der Wissenschaft, in dessen Zentrum die ehemalige Wissenschaftsministerin Annette Schavan steht. Ständig komplexere Bahnen muss die Wissenschaft einschlagen, damit Frau Schavan entweder nicht plagiiert hat, nur andere daran schuld sind oder jedenfalls der Entzug des Doktortitels falsch war.

Acht namhafte Wissenschaftler, darunter zwei ehemalige Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker und Wolfgang Frühwald, kritisierten im Juni 2012 in der Süddeutschen Zeitung die öffentliche Plagiatsdokumentation im Wege „digitaler Textvergleichung“ unter der Überschrift „Unwürdiges Spektakel“.  Gefragt seien hier die Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen. Es sei die „ureigene Sache und die Pflicht der jeweiligen Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler, die Einhaltung dieser Kriterien zu überwachen und zu beurteilen. Dabei ist eine komplexe Reihe von Umständen zu prüfen, die von formaler Korrektheit bis zu der Art und Weise reicht, in der die Quellen angegeben und der Bezug des Gedankens auf den bestehenden Stand der Forschung einsichtig gemacht werden“.

Sieben Monate später hat die zuständige Fakultät der Universität Düsseldorf genau diese Arbeit erledigt. Sie hat die Arbeit als formal inkorrekt bewertet, die Quellenangaben an 60 Stellen für unzulänglich, und hat festgestellt, dass bei der Wiedergabe des bestehenden Standes der Forschung nicht klar wurde, was von der Autorin Annette Schavan stammt und was aus der von ihr benutzten Literatur.

Nachdem Frau Schavan der Doktortitel entzogen wurde, konstatiert Winnacker, ebenfalls in der SZ, mit den Worten „jakobinisch“ und „Hetzjagd“, die Universitäten seien offensichtlich voreingenommen, jedenfalls überfordert. Plagiate in Qualifikationsschriften sollten deshalb künftig von einer zentralen Stelle untersucht werden. Ein schavanzentrischen Weltbild kann diesen dramatischen Sinneswandel erklären: man fordert jeweils das, von dem man meint, dass es Frau Schavan am meisten nützt.

Eine weitere 180-Grad-Wendung kann man bei den Maßstäben beobachten, die an Frau Schavans Doktorarbeit angelegt werden sollen. Zunächst hieß es aus dem Unterstützerkreis, damals habe man in den Erziehungswissenschaften nicht so genau zitiert, ungekennzeichnete Übernahmen seien akzeptiert worden, wenn das Werk eingangs in einer Fußnote genannt wird. Man dürfe Frau Schavan nur an diesen Maßstäben ihres damaligen wissenschaftlichen Umfeldes messen.

Dann taucht eine detaillierte Anleitung auf, veröffentlich von demselben Institut für Erziehungswissenschaft, an dem Frau Schavan promoviert hat, und aus dieser Zeit. In diesen zunächst vom Tagesspiegel und dann von der SZ reproduzierten Hinweisen steht ganz klar, dass alle Quellen jeweils im Kontext zu benennen sind, dass jede wörtliche Übernahme als Zitat zu kennzeichnen ist, dass man eigene Worte verwenden muss, wenn man zusammenfassend paraphrasieren will, und dass Plagiate zu Recht so manche Karriere ruiniert hätten.

An diesem damaligen Maßstab möchte man dann aber Frau Schavan lieber doch nicht messen. Diese didaktisch liebevoll gestaltete Anleitung sei nur ein „Heftchen“, viel zu technisch, meint Winnacker. Stattdessen brauche die Wissenschaft einfach mehr Vertrauen.

A propos Vertrauen: Der größte Fehler sei nicht Frau Schavans Umgang mit Quellen, sondern dass ihr Doktorvater ihr zu viel vertraut hat. Sie hätte erwarten können, dass jemand ihre Fehler „bemängelt und korrigiert“, ihr also nicht vertraut, sondern nachprüft, meint Winnacker. Hat also die Wissenschaft gleichzeitig zu viel und zu wenig Vertrauen? Das ist bei einem schavanzentrischen Weltbild kein Problem: beides nutzt der ehemaligen Wissenschaftsministerin.

Zum selben „Heftchen“ meint der Präsident der Hamburger Akademie der Wissenschaften, Heimo Reinitzer: Die Anleitung zeige doch, dass „das korrekte Zitieren noch nicht selbstverständlich war“. Sie sei ein Nachweis dafür, dass die Maßstäbe noch nicht galten, die im Heft dargelegt werden.  Plagiieren wird also unmöglich. Bringt man Studierenden nicht anständiges Zitieren bei, können sie nichts dafür, weil sie die Regeln nicht kennen. Bringt man es ihnen bei, zeigt man damit, dass diese Regeln selbst in der 8. Auflage von 1978 noch gar nicht befolgt werden, deshalb können sie ebenfalls nicht dafür.

Ob wohl auch für die Regeln der Hamburger Akademie gilt, dass die Existenz einer Regel zugleich ihre mangelnde Verbindlichkeit beweist? Für ein schavanzentrisches Weltbild ist diese Frage natürlich irrelevant.

Schavan zuliebe werden die Maßstäbe immer weiter abgesenkt

Die deutsche Wissenschaft bekommt zwei weitere Kurskorrekturen verpasst, um die Schavansche Arbeit der Kritik zu entziehen. Die Maßstäbe für gute wissenschaftliche Praxis setzt man so weit herunter, bis man meint, dass ihre Arbeit mit Ach und Krach noch darüber hinwegkommt. Für ein Entziehungsverfahren setzt man dagegen die Latte so hoch, dass die Universität Düsseldorf (und auch alle anderen Universitäten künftig) wohl kaum noch darüber hinwegspringen können.

Für das Absenken wissenschaftlicher Maßstäbe hat sich in besonderem Maß ein  Beitrag von Wolfgang Frühwald in der SZ eingesetzt. Er gibt darin etwa 90% von allen wissenschaftlichen Texten zur Plünderung frei. Nur Kernthesen und Kernaussagen einer wissenschaftlichen Arbeit seien plagiatsfähig. Zusammenstellung des Forschungsstandes? Kann man offensichtlich abschreiben. Die Früchte jahrelange Archivarbeit? Kopieren, was das Zeug hält. Erschließung fremdsprachiger Literatur, möglicherweise unter Erlernung einer schwierigen Sprache? Immer nur zu. Empirische Untersuchungen, Versuchsaufbauten, Fragebögen? Darf man alles ohne Quellenhinweis verwenden, solange man nicht die Kernthesen oder Kernaussagen übernimmt.

So würde Deutschland zum  Paradies der Plagiatoren. Nur widerspricht das diametral den DFG-Maßstäben zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, die unter der Präsidentschaft von – ganz genau – Wolfgang Frühwald erstellt wurden. Aber mit einem schavanzentrischen Weltbild erklärt sich auch dieser Widerspruch.

Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern legen die Messlatte für Entziehungsverfahren in geradezu schwindelnde Höhen. So meint Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, es dürfe keinesfalls ein Doktortitel entzogen werden, ohne dass gleich zwei weitere externe Gutachten hinzugezogen werden. Merkwürdigerweise sieht keine Promotionsordnung an der Humboldt-Universität dafür auch nur ein externes Gutachten vor. Außerdem wären „Textvergleiche zu anderen wissenschaftlichen Abhandlungen mit ähnlicher Thematik aus der fraglichen Zeit notwendig gewesen“. Auch das steht in keiner dieser Promotionsordnungen.

Die Plagiatsdokumentation im Fall Schavan dürfte übrigens gut ein halbes Jahr Arbeitszeit gekostet haben, wenn man die umfangreichen Dokumentationen im VroniPlag Wiki, auf schavanplag.wordpress.com und im Gutachten des Düsseldorfer Professors Stefan Rohrbacher zusammenzählt. Will man das mit drei weiteren, zufällig ausgewählten Dissertationen aus derselben Zeit vergleichen, müsste man die natürlich genauso gründlich untersuchen. Macht zwei Jahre Arbeitszeit für die Rücknahme eines Doktortitels. Mit einem solchen Arbeitsaufwand wurde in Deutschland wohl noch kein Doktortitel entzogen. Auch das ist mit einem schavanzentrischen Weltbild kein Problem: dann kann der Titel eben wegen Personalmangels nicht entzogen werden.

Es bleibt die Frage, ob beide Messlatten wieder in die jeweils korrekte Höhe zurückspringen, sobald es um eine andere Person geht. Immerhin schreiben wir mittlerweile das 21. Jahrhundert, in dem die Erde nicht im Mittelpunkt des Sonnensystems steht, und selbst eine von vielen als kompetent, engagiert und erfolgreich empfundene ehemalige Wissenschaftsministerin nicht im Mittelpunkt der Wissenschaft stehen sollte.

- Der ist Professor für Recht, Wirtschaft und Politik Großbritanniens am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitarbeiter im VroniPlag Wiki.

Gerhard Dannemann

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