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Wissen: Die Uni bin ich

„School Spirit“ oder kritische Distanz? Vor dem 200. Jubiläum denken HU-Angehörige über ihr Selbstverständnis nach

Der Historiker Torsten Kahlert hat das Gefühl, an einer besonderen Universität studiert zu haben. „Eine Uni mit diesem super Namen, in historischen Gebäuden und mitten in der Stadt, das ist selten in Europa“, sagt der 30-Jährige, der gerade sein Geschichtsstudium abgeschlossen hat. Heute bereut er es, sich während des Studiums nicht mehr in der Universität engagiert zu haben. Möglichkeiten dazu, sagt er, gäbe es genug – in der Uni-Politik, den Fachschaften oder der Studentenzeitung. Erst dadurch entstehe ein Bewusstsein dafür, wo man überhaupt studiere – „und das schafft Verbundenheit“.

Wie steht es mit dem Wir-Gefühl an der Humboldt-Universität? Identifizieren sich Studierende und Lehrende mit ihrer Hochschule? Mit der Testfrage, welche Bedeutung das Jahr 2010 für die Humboldt-Universität hat, ist man bei Torsten Kahlert an der richtigen Adresse. Er ist an der Organisation der Jubiläumsfeier 2010 beteiligt. Ansonsten – weitgehend Fehlanzeige. Die wenigsten, die an diesem sonnigen Tag im Innenhof der HU sitzen, wissen etwas zu sagen. Dass die Universität dann 200 Jahre alt wird, ist bei vielen noch nicht angekommen. Ist es schlecht bestellt um das Verhältnis zwischen Universität und denen, die sie täglich lebendig werden lassen?

„Schon als Kind bin ich am Hauptgebäude vorbeigelaufen und dachte mir, dass es cool wäre, hier zu studieren“, erzählt Michael Mattern, 25 Jahre alt und Jurastudent. Sich mit der Uni zu identifizieren, das falle ihm trotzdem schwer. Dafür sei sie zu groß und zu abstrakt. Aber das könne noch werden, nach dem Studium. „Wo man studiert hat, gilt als Qualitätsmerkmal, und es prägt einen für das ganze Leben, deshalb ergibt sich vielleicht eine Bindung, wenn man fertig ist“, sagt Mattern. So kann er sich auch vorstellen, später für die Uni zu spenden.

Die Frage nach der Identifikation und nach dem Verhältnis zur Universität erschöpft sich also nicht in einem einfachen Ja oder Nein und dem Wissen um das Gründungsjahr. Sie beantwortet sich im universitären Alltag ebenso, wie jenseits von Hörsaal, Bibliothek oder Labor – und zeigt sich nicht zuletzt im Engagement der Ehemaligen.

Erzwingen könne man Identifikation ohnehin nicht, sagt Heike Zappe, Leiterin des Referats für Öffentlichkeitsarbeit; aber Angebote könne man machen. „Das Engagement in den Fakultäten, für die Universität und die Teilnahme an Veranstaltungen wie dem Humboldt-Ball – das ist gelebte Universität.“ Dominik Perler, Professor für Philosophie und Leibniz-Preisträger, sieht es ähnlich. Ein Gefühl der Zugehörigkeit zu entwickeln und sich innerhalb der Universität zu engagieren, sei essentiell. Denn nur wenn man an der Gestaltung der Uni mitwirke, könne man ein „gesundes Selbstbewusstsein entwickeln“. Das würde die Hochschule interessant und attraktiv machen. Nicht umsonst ziehe die HU „namhafte Wissenschaftler und hervorragende Studierende“ an.

Von Seiten der Uni wird immer mehr dafür getan, den Studierenden ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, wo sie studieren. So gibt es bei der Eröffnungsfeier des Akademischen Jahres wieder eine symbolische Eintragung von einigen Studienanfängern in die Matrikel – ein Buch, in das sich früher jeder zu Beginn des Studiums eintrug. Die neuen Studierenden erhalten ein Buch über die Geschichte der HU. Die Texte sind von Studenten in einem Seminar erarbeitet worden. Außerdem gibt es Überlegungen, den jährlich stattfindenden Ball mit einer zentralen Abschlussfeier aller Absolventen zu verknüpfen.

Feierliche Verabschiedungen lassen an die USA mit ihren Elite-Hochschulen denken. An einer von diesen, in Stanford, hat die 22-jährige Arden Pennell ihren Bachelor gemacht. Jetzt studiert sie an der HU. Die Rahmenbedingen für eine starke Bindung an die Uni seien auch hier gegeben, sagt sie: die Tradition, die Lage mitten in der Hauptstadt und die bekannten Professoren. Aber im Gegensatz zur Elite-Uni in Kalifornien vermisst sie bei hiesigen Studenten den „Enthusiasmus“ für ihre Hochschule. Ihr Vorschlag: Jedem eine Bewerbung der HU für den Exzellenzwettbewerb in die Hand zu drücken. „Das Besondere, hier zu studieren, wäre damit jedem klar.“

Amerikanische Verhältnisse in puncto „School Spirit“? Die vermisst Stefan Beck, Juniorprofessor am Institut für Europäische Ethnologie, überhaupt nicht. In Berkeley, wo er ein halbes Jahr arbeitete, sei es ihm unangenehm gewesen, wie von Seiten der Uni ein Zugehörigkeitsgefühl systematisch hergestellt wurde. „Diese Belagerung schafft Alternativlosigkeit.“ Für Beck drückt sich Identifikation in einem kritischen Verhältnis zur Uni aus.

Um einen kritischen Umgang mit der Geschichte der Universität und ein Nachdenken über ihre Tradition soll es bei den Planungen zum Jubiläumsjahr 2010 gehen. „Die Diskussion darüber, mit welchen Zielen und Hauptprojekten wir feiern, kann eine noch größere Identifikation schaffen“, sagt Britta Behm, Verantwortliche für die Konzeption. Wie gefeiert wird, verrät sie noch nicht. Wichtig ist ihr, Studierende, Lehrende und Mitarbeiter in die Planungen einzubeziehen. Man müsse sich klar werden, was für eine Universität man in Zukunft sein möchte und an welche Traditionen man anknüpft. „Die Humboldtsche Universität war immerhin ein Modell, an dem man sich weltweit orientiert hat.“

Ganz im Sinne des Gründers Wilhelm von Humboldt sei es auch heute noch die Verpflichtung zur Einheit von Forschung und Lehre, die den besonderen Geist ausmache. Das sagt einer, der es wissen muss: Günter Tembrock, 88 Jahre alt und dienstältester Mitarbeiter der Universität. 1937 immatrikuliert, war er bis 1983 Professor am Institut für Biologie. Noch immer hält er Vorlesungen und forscht. „Die Weitergabe von Wissen und die Frage, wie man es anwendet, sind auch heute noch zentral.“ Die Professoren müssten so gute Lehrer sein, dass die „Studenten zu den Vorlesungen rennen“. Gerade in Zeiten neuer Abschlüsse sei dieses Erbe wichtig. Wissenschaft müsse den „großen Blick“ bewahren und dürfe nicht nur der „praxisnahen Spezialisierung“ dienen. Ein Erbe, dem sich Professoren und Studenten gleichermaßen verpflichtet fühlen können.

Für Nikolaus Ernsting ist es der Geist der Nachwendejahre, der prägend für die Universität ist. „1993 war eine ganz besondere Situation“, erzählt der Chemiker. „Im Institut für Physikalische Chemie haben wir gearbeitet, während rundherum die Bauarbeiten liefen.“ Von der Pionierstimmung, der besonderen Motivation und der Improvisation hätte auch seine Forschung profitiert. „Der Leibniz-Preis, den meine Kollege Klaus Rademann und ich 1998 für die Forschungen erhielten, ist teilweise aus dieser Situation heraus zu verstehen.“ Aber dieser Geist, so Ernsting, müsse gepflegt werden – „man darf das nicht auf ein Ruhekissen legen“.

Im Moment scheint das Verhältnis zwischen Universität und ihren Angehörigen aber eher putzmunter als verschlafen. Und spätestens 2010 wird jeder wissen, was es zu feiern gibt.

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