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Optische Gitteruhr an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig

© PTB

Die Vermessung der Zeit: Uhrwerke für den nächsten Zeitstandard

Was Zeit ist, können Physiker nicht erklären. Mit optischen Atomuhren wollen die Forscher sie aber noch präziser messen.

Zeit sei, was man an der Uhr ablese, sagte Albert Einstein. Für den radikalen Denker, der Raum und Zeit zur vierdimensionalen Raumzeit verschmolz, ist das eine erstaunlich pragmatische Feststellung. Doch Einstein wusste, dass die Physik das Wesen der Zeit nicht beschreiben kann. Daran hat sich nichts geändert. Trotzdem lässt sich die Sekunde weitaus präziser vermessen als jede andere physikalische Einheit: Bis auf 16 Stellen hinter dem Komma genau schaffen es die derzeit besten Cäsium-Atomuhren. Sie setzen den internationalen Zeitstandard.

Etwa hundert Mal genauer soll die nächste Generation der Atomuhren laufen: Optische Uhren „ticken“ nicht mehr im Radiofrequenzbereich, sondern bei wesentlich flotteren Lichtfrequenzen. Deshalb können sie die Zeit präziser einteilen. „Würde eine solche Uhr seit Beginn des Universums stabil laufen, dann würde sie heute nur um eine Sekunde falsch gehen!“, sagt Ekkehard Peik. Der Physiker leitet den Bereich „Zeit und Frequenz“ an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Die Braunschweiger verbinden die Pflicht, als staatliche Behörde für möglichst genaue Maße zu sorgen, mit der Suche nach neuen Messtechniken.

Diese Forschung führt seit jeher an die Grenzen der Erkenntnis. Der legendäre britische Uhrenbauer John Harrison (1693–1776) löste mit seinen Schiffsuhren das Problem der Längengrad-Messung. Bis heute gilt: Je genauer eine Uhr ist, desto präziser kann man damit geografische Positionen bestimmen. Moderne GPS-Satelliten sind fliegende Atomuhren, die Zeitsignale senden. Aus ihren Laufzeitunterschieden errechnet jedes Navigationsgerät seine Position.

Das Pendel der Atomuhren schwingt in der Terahertz-Welt des sichtbaren Lichts

In den Braunschweiger Laboren ticken bereits mehrere optische Uhren. Noch sind es Experimente, noch läuft weltweit keine optische Uhr länger als einige Stunden oder Tage am Stück. Erst wenn sie über Jahre ein stabiles Signal geben, sind sie fit für einen neuen Zeitstandard. Auch Atomuhren haben Pendel und Uhrwerk. Generell gibt ein Pendel den Takt vor, bei Atomuhren schwingt es in den Elektronenhüllen einzelner Atome. Die Elektronen dürfen sich darin nur in Quantenzuständen aufhalten, die die Natur erlaubt. Diese sind mit den Sprossen einer Energieleiter vergleichbar.

Beim Sprung auf eine tiefere Sprosse senden Elektronen überschüssige Energie als ein Quant elektromagnetischer Strahlung aus. Umgekehrt nehmen sie beim Satz hinauf ein solches Quant auf. Bei etablierten Atomuhren entspricht der Sprossenabstand einer Mikrowellenstrahlung. Bei ihnen schwingt das Elektronenpendel im Strahlungsfeld „nur“ einige Milliarden Mal pro Sekunde, also im Gigahertz-Bereich. Optische Uhren hingegen nutzen höherfrequente Quantenübergänge: Ihr Pendel schwingt mehrere zehntausend Mal hochtouriger in der Terahertz-Welt des sichtbaren Lichts.

Wer solche Uhren bauen will, muss einzelne Atome festhalten können. Heute ist es Routine, Atome mit Laserlicht in ihrer Bewegung einzufrieren und in Fallen schwebend gefangen zu halten. Besonders gut funktioniert das mit elektrisch geladenen Atomen. Diese Ionen lassen sich willig in elektrischen Feldern fixieren. Eine der Braunschweiger Uhren kann monatelang ein einzelnes Ytterbium-Ion als Taktgeber speichern.

Laserlicht friert die Atome knapp über dem absoluten Nullpunkt ein

Das alternative Uhrwerk, an dem die Braunschweiger feilen, heißt optische Gitteruhr. Diese Uhren nutzen viele tausend Atome zugleich als Pendel. So entsteht ein stärkeres, stabileres Signal. Allerdings kann man nur elektrisch neutrale Atome zu Tausenden oder Millionen in einer Wolke einsperren. Ionen stoßen sich dafür gegenseitig elektrisch zu stark ab. Da neutrale Atome wesentlich schwächer auf elektromagnetische Kräfte reagieren, lassen sie sich viel schwerer gefangen halten. Das gelingt einer Falle, die mit einem Gitter aus überlagertem Laserlicht arbeitet. Es fixiert die einzelnen Atome wie ein Eierkarton die Eier. Allerdings sind die Haltekräfte so schwach, dass die Atome dazu schon von selbst fast stillstehen müssen. Laserlicht muss sie dazu auf wenige Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt einfrieren.

Zum rasenden Elektronenpendel gehört ein passendes Uhrwerk. Es muss einerseits das Pendel am Laufen halten, was hier ein Laser übernimmt. Seine zweite Aufgabe ist das Übersetzen der Pendelschwingungen in eine lesbare Uhrzeit. Allerdings ist keine Elektronik schnell genug, um die Terahertztouren des Lichts zu zählen. Also muss das Uhrwerk sie in langsamere Gigahertz-Schwingungen untersetzen. Eine praktikable Lösung dafür ist der „Frequenzkamm“, den der Münchner Physiker Theordor Hänsch erfand und dafür 2005 den Nobelpreis erhielt. Der Kamm funktioniert wie ein präzises Getriebe aus Laserlicht und ermöglichte den Bau optischer Uhren.

Die feinere Zeiteinteilung bringt aber erst dann auch eine präzisere Zeitmessung , wenn optische Uhren stabil ticken. Doch wie überprüft man die Stabilität einer Uhr, die sich zu den bisher besten Zeitmessern wie ein Ferrari zu einer Schnecke verhält? Man nimmt dazu einen zweiten Chronoferrari. Ein Team um Forscher vom amerikanischen Nationalen Institut für Standards und Technologie ließ deshalb zwei optische Gitteruhren gegeneinander laufen. In einer siebenstündigen Messung waren beide so stabil, dass sie bis auf 18 Stellen hinter dem Komma genau gleich tickten.

Im Moment helfen optische Atomuhren der Grundlagenforschung

Für einen zukünftigen, stabilen Zeitstandard muss man optische Uhren weltweit miteinander verschalten. Forscher der PTB arbeiten derzeit mit französischen Kollegen daran, erstmals zwei optische Uhren in Paris und Braunschweig über das Glasfaser-Telekommunikationsnetz zu paaren. Eine der Schwierigkeiten dabei ist die Verzögerung durch die Lichtlaufzeit im Netz. Peik kann noch nicht sagen, wann es einen neuen Zeitstandard geben wird, zumal die etablierten Atomuhren sehr gut sind. Auch wenn optische Uhren noch in den Kinderschuhen stecken, sind sie für die Grundlagenforschung wichtig. „Wir wissen wenig über die Zeit“, sagt der Physiker.

Sollten sie sich als Standard etablieren, käme Einstein ins Spiel. Nach seiner Allgemeinen Relativitätstheorie tickt eine Uhr umso langsamer, je tiefer sie im Schwerefeld der Erde steckt. Dieser Effekt ist winzig. Trotzdem würde er schon eine optische Uhr gegen eine zweite merklich verstellen, die nur einen Zentimeter höher steht.

Roland Wengenmayr

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