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Studierende der Humboldt-Uni starten im Januar 1991 mit Protestplakaten zu einem Marsch nach Leipzig. Die Abwicklung von Studiengängen und die Entlassung von Professoren erschienen ihnen willkürlich und ungerecht.

© picture-alliance/ZB

Die Wendezeit an der Humboldt-Universität: Geschah den Ostprofessoren Unrecht?

An der Humboldt-Universität diskutierten Ehemalige Recht und Unrecht in der Zeit nach dem Mauerfall. Der HU-Präsident beklagt, dass biografische Brüche bislang kaum beachtet wurden. In einem neuen Buch kommen erstmals Zeitzeugen zu Wort.

„Vor der Wende hatten wir das absolute Diktat einer Partei und einer Ideologie. Das war schlimm, ganz, ganz schlimm. Aber nach der Wende bekamen wir das absolute Diktat der Herrschaft des Geldes.“ Das sagt einer, der an der Humboldt-Universität zu DDR-Zeiten Professor war und auch nach der politischen Wende und der deutschen Wiedervereinigung im Amt blieb. Zu solchen Sätzen nicken und murmeln die Männer und Frauen im Senatssaal zustimmend, als dort am Dienstag über die „Ostprofessoren“ diskutiert wird.

Der Saal ist gefüllt mit teilweise festlich gekleideten und sichtlich erwartungsfrohen Ehemaligen im fortgeschrittenen Alter, an die 150 sind gekommen. Hier soll es um sie gehen, um Lebensentwürfe, die vor 25 Jahren oft radikal infrage gestellt wurden, um biografische Brüche, die bislang an der Universität kaum beachtet wurden. Als HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz die Gäste so begrüßt, braust Applaus auf.

Ihrer wechselvollen Geschichte hat sich die Humboldt-Universität zuletzt intensiv zu ihrem 200. Gründungsjubiläum im Jahr 2009 erinnert. Die Zeit des Übergangs von der größten Universität des SED-Staats zu einer demokratisch organisierten Universität im wiedervereinigten Deutschland wird ausführlich in der bis 2012 erschienenen mehrbändigen „Geschichte der Universität Unter den Linden“ behandelt. Zum Jubiläum hatte auch der Historiker Konrad Jarausch die „Transformation der Humboldt-Universität“ kritisch untersucht.

Da ging es um die universitären Personal- und Strukturkommissionen, die Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter auf ihre eventuelle SED- und Stasivergangenheit überprüften und die wissenschaftliche Qualität ihrer bisherigen Arbeit evaluierten. Und es ging um die Rolle der zahlreichen externen Gutachter und Beauftragten des Wissenschaftsrats und des Berliner Senats, die ausschlaggebend waren für Fortbestand oder Schließung der früheren Sektionen der Humboldt-Universität. Doch nicht nur das Wissenschaftssystem wurde umgebaut, auch individuelle Lebenswege standen zur Disposition. So mussten sich nach der Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990 alle noch an der HU tätigen Professoren Berufungsverfahren stellen.

Heinz-Elmar Tenorth lobt den "distanzierten Blick"

Die Zeitzeugen kommen jetzt in einem Buch des niederländischen Hochschulmanagers Adriaan in ’t Groen zu Wort, das soeben im Metropol-Verlag erschienen ist. „Jenseits der Utopie. Ostprofessoren der Humboldt-Universität und der Prozess der deutschen Einigung“ ist aus seiner Dissertation an der Universität Leiden entstanden, für die in ’t Groen vor gut zehn Jahren rund 30 Akteure befragt hat. Eine Pioniertat, wie im Senatssaal mehrfach betont wird. Der Bildungshistoriker und Geschichtsschreiber der HU, Heinz-Elmar Tenorth, lobt in seinem Vorwort den „distanzierten Blick“ in ’t Groens, der eine Würdigung dieser Biografien und ihrer Besonderheiten wohl erst möglich mache.

"Überlebende" nennt der Autor Professoren, die bleiben konnten

Distanziert bleibt in ’t Groen allerdings auch bei der Präsentation der Zeitzeugen. Er porträtiert nicht Einzelpersonen, sondern hat aus seinen Interviews drei „Archetypen der Wahrnehmung“ kondensiert. Für ihn gibt es zum einen „Überlebende“, die in der DDR-Zeit Professoren waren, politische Überprüfung und wissenschaftliche Evaluation überstanden hatten und erneut berufen wurden. Von 500 Professoren der alten HU waren das 134, von denen die überwiegende Mehrheit aus den ideologisch eher unbelasteten Naturwissenschaften stammten, etliche aus den Kulturwissenschaften und nur sehr wenige aus staatsnahen Fächern wie der Erziehungs- oder der Rechtswissenschaft. Zum anderen beschreibt in ’t Groen „Verlierer“, dazu zählt er jene 366 Professoren, die nach der Wende ihre Stelle verloren haben, sei es, weil sie etwa in der Sektion Marxismus-Leninismus gelehrt hatten, weil sie politisch belastet oder Stasi-Zuträger waren. Die dritte Gruppe sind die „Aufsteiger“, 85 Assistenten und Dozenten, die in den Umbruchsjahren zu Professoren berufen wurden.

"Man konnte doch aus der HU keinen wissenschaftlichen Zoo machen"

Die Kritik an rigorosen Entscheidungen der teilweise extern besetzten Struktur- und Berufungskommissionen, die in ’t Groen keineswegs als Erster formuliert, kann Richard Schröder kaum nachvollziehen. „Man konnte doch keinen wissenschaftlichen Zoo aus der Humboldt-Universität machen!“, ruft der ostdeutsche Theologe auf dem Podium im Senatssaal aus. Er vermisst im Buch den aus seiner Sicht in den frühen 90er Jahren vorherrschenden Typ des „Bäumchen, wechsle dich“. Wie auch die anderen ostdeutschen Universitäten sei die HU „an der Revolution nicht beteiligt“ gewesen. Die Politik sei quasi gezwungen worden, nach der Wiedervereinigung unter großem Zeitdruck „revolutionären Impulsen eine rechtsstaatliche Verfahrensweise zu geben“. Die Universität musste bei laufendem Betrieb umgebaut werden – auch unter Protest von Studierenden, die darauf beharrten, ideologiebelastete Studiengänge abschließen zu können.

Vertrauen in Institutionen hat stark gelitten

Von „massiven Zeitproblemen“ spricht auch Peer Pasternack, ehemaliger Staatssekretär in der Wissenschaftsverwaltung, der die Wendezeit als Hochschulforscher untersucht hat. Wegen der „ad hoc getroffenen, untergesetzlichen Entscheidungen und der großen Rolle des Zufalls“ habe unter den Betroffenen das Vertrauen in Institutionen und Verfahren stark gelitten.

Einigen im Senatssaal sind solche Aussagen zu schwach. Der Historiker Siegfried Prokop schimpft über die externen Experten, die die Umstrukturierung etwa als Planungsbeauftragte des Berliner Senats in die Hand nahmen: „Das war Besatzermentalität, das war Konterrevolution.“ Prokop ist eigentlich ein „Überlebender“, allerdings musste er sich seine Professur in der Zeitgeschichte beim Arbeitsgericht erkämpfen und wurde schließlich mit 60 Jahren in die Rente gedrängt, wie er sagt.

Für die meisten Mathematiker ging die Sache gut aus

„Es war ein emotionaler Kraftakt“, erinnert sich aber auch der Mathematiker Uwe Küchler. Als er sich auf seine Professur neu bewerben musste, sei es ihm nicht anders gegangen als den Kollegen in „ideologiegeprägten Fächern“. Für Küchler und die meisten seiner Kollegen aber ging die Sache gut aus, von 22 Professoren in der Mathematik wurden 18 positiv evaluiert, konnten weiterarbeiten.

Zaungast der Veranstaltung ist der Chemiker Joachim Sauer, zur Wendezeit Mitarbeiter am Institut für physikalische Chemie der DDR-Akademie. 1993 wurde er zum Professor an der HU berufen – ein „Aufsteiger“? Der Mann der Bundeskanzlerin sitzt aufmerksam in der ersten Reihe, äußert sich aber nicht.

HU-Präsident Olbertz jedenfalls zeigt sich kritisch, spricht über „zu schnelle Urteile manchmal auch durch selbst ernannte Richter“. 25 Jahre nach dem Mauerfall sei ein guter Moment zu fragen, welche Aspekte der friedlichen Revolution noch einer weiteren Bearbeitung bedürften. Welche Rolle Olbertz dabei spielen könnte, ist allerdings fraglich.

Erziehungswissenschaftler Olbertz und der Marxismus-Leninismus

Durch seinen Umgang mit seiner DDR-Vergangenheit hatte er sich in der Zeit seines Amtsantritts angreifbar gemacht. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und auch Richard Schröder warfen Olbertz damals vor, sich als Erziehungswissenschaftler der DDR-Führung angebiedert zu haben. Sowohl seine Dissertation als auch seine Habilitationsschrift seien dem Marxismus-Leninismus verpflichtet, Olbertz habe sich damit ideologisch vor der SED verbeugt. Gleichzeitig wurde ihm vorgeworfen, mit subtilen Formen des Widerstands gegen das DDR-System kokettiert zu haben.

Olbertz nannte Passagen in seinen Arbeiten „peinlich“ und gab „ein paar Zugeständnisse mit Worten“ zu, die er gemacht habe, „um Handlungsspielräume zu erringen“. Er habe aber nie behauptet, ein Widerstandskämpfer gewesen zu sein. Doch schon in seiner Inaugurationsrede und auch in den Jahren danach schwieg er über jene Zeit.

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