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Wissen: Die Zukunft liegt in den Netzwerken

Die Strategie der TU Berlin schafft Spitzenforschung und neue Arbeitsplätze

Von Kristina R. Zerges

und Stefanie Terp

Berlin fehlt es vor allem an Geld. Geld einsparen ist an der Spree zu einer Kunst des Überlebens avanciert. Diese Kunst zu meistern, neben den Spareffekten neue wissenschaftliche Perspektiven zu eröffnen, ist ein Gebot der Stunde für die TU Berlin. „Gestalten statt Klagen, ist mein Motto", umschreibt Kurt Kutzler seine Intention. Der Mathematik-Professor ist Präsident der Hochschule und lenkt die größte technische Universität Deutschlands in schwieriger Zeit. Wie sieht der Weg der Universität in die Zukunft aus? Wie will sie sich erneuern, um für ihre Studierenden, Wissenschaftler und Partner aus der Wirtschaft weiterhin attraktiv zu bleiben?

Neben den Kontakten in die Industrie, zu den zahlreichen Ausgründungen und Alumni-Firmen ist vor allem die enge Verflechtung mit den Wissenschaftseinrichtungen der Stadt „ein Pfund, mit dem wir wuchern und noch verstärkt wuchern werden", unterstreicht der Präsident. Diese Kontakte stellen die Wissenschaftsstadt Berlin auf ein festes Fundament. Daran hat die Universität maßgeblich mit gebaut. Mehr als 20 Professorinnen und Professoren der TU bekleiden auch eine leitende Position in einer außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Mit ihrem enormen geistigen Potenzial an Studierenden und Wissenschaftlern geht die Hochschule so strategische Allianzen ein, um neben der wissenschaftlichen Kooperation auch die hervorragende Geräteausstattung dieser Institute mitnutzen zu können. Daraus entstehen die Synergien, die für einen optimalen Einsatz der Finanzen notwendig sind und die die neuesten Forschungsergebnisse mit der Lehre verbinden. „Unsere Partner brauchen von uns den jungen, wissenschaftlichen Nachwuchs. Einrichtungen wie die Institute der Fraunhofer-Gesellschaft haben wiederum modernste Geräte und Labore, mit denen wir unseren Studierenden und Mitarbeitern beste Bedingungen bieten können. Das ist unsere Art der doppelten Effizienz. Es ist sinnvoll, aus dem, was wir gemeinsam haben, noch mehr zu machen. Hinzu kommt, dass neben den Kosteneffekten auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse schnell in die Seminare gelangen. Daher ist die Vernetzung in Zeiten knapper Mittel für uns ein besonderes Gebot“, erklärt Kutzler.

Vor allem auf den aktuellen Wissenschaftsfeldern kooperiert die TU mit Spitzenforschungszentren der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Wissenschaftsgemeinschaft „Gottfried Wilhelm Leibniz“. Die Produktionstechnik, ein Rückgrat unserer Wirtschaftsentwicklung, gehört genauso dazu wie die Mikroelektronik, die Informations- und Kommunikationstechnik. An diesen Schnittstellen entstehen wissenschaftliche Leuchtturmprojekte, die mit ihrer Strahlkraft die besten Forscher aus dem In- und Ausland nach Berlin locken. Ein Aspekt, der auch für die Studienfachwahl der Gymnasiasten immer wichtiger wird.

Das erst kürzlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligte Forschungszentrum „Mathematik für Schlüsseltechnologien“, dessen Sprecherhochschule die TU ist, entwickelt sich in diese Richtung. 70 neue Arbeitsplätze, sechs zusätzliche Professuren und Nachwuchsgruppen werden bald besetzt. Durch diese Impulse wird Berlin zum Zentrum der angewandten Mathematik in Deutschland. Und die wird immer mehr zur Schlüsselwissenschaft. Denn ob es die neue Mobilfunktechnologie UMTS ist, der Finanzmarkt, die Planung eines Verkehrsnetzes oder Entwurf und Steuerung medizintechnischer Geräte – dahinter steckt immer ein großer Teil Mathematik.

Die beiden anderen Berliner Universitäten sind an dem Zentrum ebenso beteiligt wie das Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik und das Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik. „Dieses mathematische Netzwerk wird weit über die Grenzen Europas wahr genommen", ergänzt der Leiter des Zentrums, Martin Groetschel. Der Mathematiker ist Vizepräsident des Konrad-Zuse-Zentrums und TU-Professor. Er kann auf eine solide Finanzierung bauen, denn die DFG wird jährlich fünf Millionen Euro geben – zunächst für vier Jahre, mit möglicher Verlängerung auf zwölf. „Wir selbst haben eine Million Euro investiert und räumen eine komplette Etage unseres Mathematikgebäudes", erklärt Kutzler den Beitrag der TU. „Greift man auf die Ergebnisse der Grundlagenforschung aus den Universitäten zurück und verzahnt diese mit der anwendungsorientierten Auftragsforschung der Fraunhofer-Institute, so ist das die beste Erfolgsgarantie", betont auch Hans-Ulrich Wiese, der 24 Jahre lang im Vorstand der Fraunhofer-Gesellschaft gearbeitet hat. „Es ist nicht nur der Wissenstransfer, sondern es sind ebenso die Studierenden, die für uns interessant sind", fügt der TU-Absolvent hinzu. Oft in räumlicher Nähe kann das im Hörsaal erworbene Wissen mit der Praxisanwendung in sechs mit der TU kooperierenden Fraunhofer-Instituten ergänzt werden. Dies geschieht in einem Umfeld, das neben dem Experimentieren an modernsten Geräten auch die Mitarbeit an aktuellen Forschungsaufträgen aus der Wirtschaft zulässt.

So ermöglichen die Schnittstellen von TU und außeruniversitären Forschungseinrichtungen eine problemorientierte Ausbildung und einen schnellen Berufseinstieg. Wiese: „Dieses Netzwerk schafft neben Arbeitsplätzen auch neue Ausbildungsstellen sowie Anreize für die Ansiedlung innovativer Unternehmen. Sollte die Berliner Politik mit der Sparschere dieses Geflecht zerschneiden, dann sehe ich eine langfristige Gefahr für den gesamten Standort. Das betrifft auch Überlegungen, neue Unternehmen oder Fraunhofer-Institute an der Spree anzusiedeln und deren Kapazität mittel- oder langfristig aufrecht zu halten.“

Jede weitere Kürzung am niedrigen Budget der Hochschule würde einen unmittelbaren Abbau von hochqualifizierten und langfristigen Arbeitsplätzen nach sich ziehen. „Wir sind eine Einrichtung, die anwendbares Wissen und damit auch Jobs schafft", unterstreicht Kutzler den Stellenwert der Hochschule für die Stadt. Es fließt nicht nur Geld des Landes in Arbeitsplätze an der TU, diese kann durch Drittmittel auch viele Mitarbeiterstellen aus ihrer Forschung heraus einrichten. Mit Staatszuschüssen finanziert sie beispielsweise 800 befristete Stellen für ihre Nachwuchswissenschaftler. „Erstmals ist es uns jetzt gelungen, die gleiche Stellenzahl mit eingeworbenem Geld zu schaffen. Aus einem vom Land bezahlten Arbeitsplatz machen wir teilweise zwei", zählt der Präsident auf.

Es ist nicht nur ein Imagegewinn, wenn junge Forscher mit exzellenten Entwicklungschancen nach Berlin kommen. Viele von ihnen sind als Ingenieur- und Naturwissenschaftler an neuen Entwicklungen beteiligt und melden Patente an. Andere, wie es die Existenzgründer zeigen, gehen mit neuen Ideen auf den Markt. Beispiele hierfür sind ein Hochtemperatur-Drucksenor für Automotoren genauso wie die neue Logistiksoftware der 4flow AG, die schnelle Entscheidungswege und Kosteneinsparungen ermöglicht, oder ISDN-Produkte wie die Fritz!Card von der AVM Computersysteme Vertriebs GmbH. Der weltweit führende Hersteller von ISDN-PC-Controllern und -Anwendungen wurde 1986 in Berlin durch den TU-Alumnus Johannes Nill gegründet. „Die Wissenskette nimmt ihren Anfang in unseren Hörsälen und endet oft mit neuen Arbeitsplätzen und Produkten ‚made in Berlin’“, so Kutzler.

Der Bereich Fahrzeugelektronik könnte dafür ein gutes Beispiel werden. Die TU plant einen Schwerpunkt zu dem zukunftsträchtigen Thema; denn sie hat Informatiker, Verkehrs- und Elektrotechniker. Große Autokonzerne und die Flugzeugindustrie könnten einsteigen. Das sind vom Berliner Senat geforderte Allianzen, die den Standort stärken und bereits Früchte tragen. Mit den Wissensfeldern Wasser, Verkehr und Biotechnologie ist es der Hochschule bereits gelungen, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und Kompetenzen mit denen der Wirtschaft zu verbinden.

Schrumpfen jedoch die Studienplätze und damit die Absolventenzahlen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften und entscheiden sich Spitzenwissenschaftler wegen der Finanzlage des Landes für andere Universitäten, so bröckelt dieses Fundament. „Wir müssen in das Netzwerk des Wissens, Geräteparks und Labore investieren, damit das Interesse großer Unternehmen am Standort erhalten bleibt und Spin offs aus unserer Mitte heraus entstehen. Nur dann wird der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin eine erfolgreiche Zukunft haben“, resümiert der TU-Präsident.

Kristina R. Zerges, Stefanie Terp

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