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Zugang für alle. Die Schriftrollen von Qumran wurden digitalisiert und können heute im Internet von jedem erforscht werden – ein Beispiel für Digital Humanities.

© picture alliance / dpa

Digital Humanities: Drang ins Digitale

Berliner Institutionen diskutieren über die Zukunft der digitalen Geisteswissenschaften. Die Freie Universität plant ein interdisziplinäres Zentrum zu diesem Thema.

„Ich weiß zwar nicht genau, was Digital Humanities sind. Aber wir wollen auf jeden Fall dazugehören, wenn es dabei um Geld geht.“ Kichern im Henry-Ford-Bau der Freien Universität (FU) Berlin. Ins Pokerface der Professoren auf dem Podium schiebt sich ein Grinsen. Klar, ein Hofnarren-Scherz nur, mit dem Reinhard Förtsch vom Deutschen Archäologischen Institut sein Statement zum Thema „Welche Zukunft gibt es für die Digital Humanities in Berlin?“ eingeleitet hatte. Recht hat er trotzdem: Die Digital Humanities, was sich etwa mit „digitale Geisteswissenschaften“ übersetzen lässt, sind das nächste große Ding in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik – und ohne viel Geld nicht zu haben.

In einem Workshop, organisiert vom Berliner „Einstein-Zirkel Digital Humanities“, zeigten die hiesigen Forscher, wohin der Weg führen könnte. Gut 60 Poster erläuterten aktuelle Forschungsprojekte, in denen klassische geisteswissenschaftliche Themen – etwa die Edition eines Werkes oder ein historisches Ereignis – mit digitalen Werkzeugen und Big Data (große Datenmengen) neu erschlossen werden. In der anschließenden Podiumsdiskussion mit sechs Vertretern der großen Berliner Wissenschaftsinstitutionen ging es dann ans Eingemachte.

FU-Präsident Alt kündigt ein neues Zentrum an

Während alle Institutionen stolz mit ihren digitalen Vorzeigeprojekten aufwarteten, setzte sich die FU mit einem konkreten Vorschlag an die Spitze der Diskussion. Deren Präsident, Peter-André Alt, kündigte ein interdisziplinäres Zentrum für Digital Humanities an, das derzeit in Planung sei. Ob für Projekte in Archäologie, Literaturwissenschaft oder Kunstgeschichte, hier solle Technik gebündelt, Geld akquiriert und Personal angestellt werden. Eine eigene Professur plane man nicht, doch sollen Ausbildung und Lehre auf dem Gebiet der digitalen Geisteswissenschaften „eine tragende Säule des Projekts“ werden. Peter Frensch, Vizepräsident für Forschung an der Humboldt-Universität, versuchte, die Konkurrenzsituation in einen Vorteil zu münzen: Man wolle entspannt abwarten, wie sich das Zentrum an der FU entwickelt und dann überlegen, ob man nachzieht oder nicht.

Als Streitpunkt stellte sich die Frage nach der Zentralisierung heraus. Kein Wunder, an ihr entzünden sich die Verteilungskämpfe für Drittmittel, etwa von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder dem Bundesforschungsministerium. „Synergie lautet das Gebot der Stunde“, sagte etwa Günther Schauerte von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Frensch zeigte sich skeptisch: „Digitale Tools und Methoden greifen eher lokal.“ Natürlich lebten die Digital Humanities auch von der institutionen- und länderübergreifenden Vernetzung. Zugleich verfolge aber jedes Projekt spezifische Fragestellungen, was eine echte Zentralisierung erschwere.

Wie geht es weiter, wenn die Förderung ausläuft?

Weitere Probleme sind Nachhaltigkeit und Personal. Dringend müsse die langfristige Sicherung und Betreuung der digitalen Projekte durch qualifizierte Wissenschaftler ermöglicht werden, sagte Wolf-Hagen Krauth von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, wo Projekte häufig eine Laufzeit von bis zu 25 Jahren haben. 2024 etwa laufe die Förderung für ein digitales Wörterbuch der deutschen Sprache aus. „Dann haben wir zwar eine wunderbare Forschungsinfrastruktur und viel Know-how, aber keinen einzigen Euro, um dies zu erhalten.“ Die Institutionen gerieten hier in einen Zustand der „ständigen Überforderung“, sagte Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Die Stabilisierung laufender Projekte sei keine „bloße Serviceleistung“, die mit einer zusätzlichen IT-Stelle gelöst werden könne, warnte er.

Einigkeit herrschte über die Fortschritte. Um die Jahrtausendwende hätte es noch eine „unglaubliche Heterogenität an Lösungen“ gegeben, erinnerte Krauth. Manches digitale Werkzeug sei doppelt entwickelt worden, sogar im gleichen Haus. Nun säßen immerhin alle zusammen, man profitiere vom gemeinsamen Standort. Und Alt mahnte sogleich, Berlin solle auch auf dem Gebiet der Digital Humanities „seine Vorreiterrolle im Land verankern“.

Allein, dass auf dem Podium sechs Männer saßen und, ganz unter sich, über die Zukunft verhandelten – das hatte doch auch etwas ziemlich Gestriges.

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