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Wissen: Doppeldecker der Urwelt

Die Vorfahren der Vögel könnten auch ihre Hinterbeine zum Fliegen genutzt haben.

Ein Albatros segelt elegant über den Wellen, ein Sperling flattert in die nächste Hecke und eine Eule fliegt lautlos durch die Nacht: So verschieden heutige Vögel sind, sie fliegen alle mithilfe zweier Flügel. Das muss nicht immer so gewesen sein, schreiben Xiaoting Zheng und Xing Xu von der Linyi-Universität in der chinesischen Provinz Shandong und ihre Kollegen in der Fachzeitschrift „Science“. Sie präsentieren Fossilien von urtümlichen Vögeln, die vor 120 Millionen Jahren Federn an den Hinterbeinen hatten. Möglicherweise nutzten sie diese als Flügel.

Flatterten Vögel also in der Urzeit mit vier Flügeln durch die Luft? Theoretisch könnten Schwungfedern an den Hinterbeinen vorteilhaft gewesen sein, sagt der Evolutionsbiologe Gerald Mayr vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main: „Nutzt ein Tier zusätzlich seine Hinterbeine als Flügel, vergrößert es die Tragfläche und kann so weiter gleiten.“ Gerade als sich der Vogelflug entwickelt hat, könnten selbst geringe Verbesserungen der Flugeigenschaften für das Überleben sehr wichtig gewesen sein.

Bis heute schwirren Insekten wie Libellen auf vier Flügeln durch die Luft. Und auch in der nächsten Verwandtschaft der Vögel gab es Vierflügler: Ein „Microraptor“ genannter Dinosaurier hatte vor 120 Millionen Jahren ebenfalls Schwungfedern an Armen und Beinen. Damit flog – oder besser: glitt – er vielleicht wie einst der Doppeldecker der Gebrüder Wright durch die Luft, vermuten einige Forscher.

Die vier Flügel des Microraptors und anderer nahe verwandter Dinosaurier beweisen allerdings nicht, dass auch die Urvögel eine ähnliche Flugausstattung hatten. Denn bei den Vögeln selbst war bisher niemand fündig geworden.

Genau das holen die chinesischen Forscher jetzt nach: Sie präsentieren Hinterflügel an elf Fossilien echter Urvögel. Alle elf Tiere lebten vor rund 120 Millionen Jahren im heutigen China, und alle hatten Federn an den Hinterbeinen. Als sie das Fliegen lernten, hatten sie noch ein zusätzliches Flügelpaar, vermuten die Forscher. Später sei diese Eigenschaft verloren gegangen.

Allerdings gibt es unter den gefundenen Federn große Unterschiede. Nur die beiden Exemplare der Urvogel-Art Sapeornis haben Federn an den Hinterbeinen, die kräftigen, langen Schwungfedern ähneln. Allen anderen Exemplaren wuchsen dort kleinere Federn. Ob diese wirklich die Gleiteigenschaften verbesserten oder eher die Beine wärmten und dem Tier als Schmuck dienten, ist unklar. Für Gerald Mayr sehen manche dieser Federn nicht wie typische Schwungfedern aus. Schließlich gibt es bis heute Vögel mit Federn an den Beinen, die mit dem Fliegen wenig zu tun haben: Bei Raufußhühnern wärmen diese Federn, bei Eulen verringern sie mögliche Fluggeräusche.

Selbst wenn lange Schwungfedern an den Hinterbeinen die Gleiteigenschaften verbesserten, waren die frühen Vögel keine perfekten Flieger. Sie mussten weiter laufen und klettern – und dabei könnten solche Schwungfedern eher hinderlich gewesen sein. Außerdem waren die Federn an den Hinterbeinen bei der Art Sapeornis symmetrisch geformt, schreiben die Forscher. Die Schwungfedern heutiger Vögel sowie des Microraptor-Dinos sind dagegen wegen der besseren Flugeigenschaften asymmetrisch, sagt Mayr: „Weil die Außenfahne der Feder gegen den Wind gestellt wird, ist sie schmaler als die Innenfahne, um ein Flattern der Federkante zu verhindern.“

Der Urvogel Archaeopteryx passt ebenfalls nicht zu der These, die ersten Vögel wären auf vier Flügeln unterwegs gewesen. Er ist mit rund 150 Millionen Jahren nicht nur deutlich älter als die chinesischen Fossilien, sondern auch urtümlicher. „Von Schwungfedern an den Hinterbeinen findet sich bei diesem Urvogel keine Spur“, sagt der Archaeopteryx-Experte Mayr. Vorerst bleibt deshalb wohl die Frage, ob sich die ersten Vögel sich auf zwei oder vier Flügeln in die Luft schwangen, ein Rätsel. Roland Knauer

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