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Edwin Redslob: Ein Idealist mit Grauzonen

Eine Berliner Diskussion über Edwin Redslob, den Mitbegründer der Freien Universität und des Tagesspiegels.

„Ein bisschen goethisch“ habe er ausgesehen, erzählt Karol Kubicki, emeritierter Medizinprofessor und Ex-Student der Freien Universität mit der Matrikelnummer eins, über Edwin Redslob. Im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2010 erinnerte sich Kubicki in seiner Universität gemeinsam mit dem Berliner Kunsthistoriker Christian Welzbacher an Redslob, „einen unverbesserlichen Idealisten“. Edwin Redslob, Jahrgang 1884, Reichskunstwart der Weimarer Republik und nach 1945 West-Berliner Multiaktivist – unter anderem als Mitbegründer von Tagesspiegel, FU, Freier Volksbühne und Berlin-Museum – ist heute nur noch wenigen bekannt. Auch wenn Welzbacher, dessen lesenswerte Redslob-Biografie (Verlag Matthes & Seitz, 29,80 Euro) 2009 erschien, Anfang des Jahres eine heftige Debatte in deutschen und französischen Feuilletons ausgelöst hat.

In der „Zeit“ widersprach Welzbacher dem Dokumentarfilmer und Publizisten Claude Lanzmann. In seiner in Frankreich zum Buch des Jahres gewählten Autobiografie, die im September in deutscher Übersetzung bei Rowohlt erscheinen wird, beschreibt Lanzmann, der 1949 Dozent an der FU gewesen war, die neugegründete Universität als braunen Sumpf. Er behauptet, mit einem Artikel in der kommunistischen Ost-„Berliner Zeitung“ 1950 Redslobs Entlassung bewirkt zu haben. Welzbachers Richtigstellung und seine Aufforderung an den Verlag, die deutsche Ausgabe der Lanzmann-Memoiren kommentiert herauszugeben, wirkten wie ein Affront: Eine moralische Autorität wie Lanzmann sollte sich von einem Nachgeborenen korrigieren lassen?

Welzbachers eigenem Buch kam die Aufregung eher zugute. Um die Lanzmann-Debatte ging es nun jedoch bei der Diskussion an der FU nur noch am Rande. Stattdessen versuchten sich der Historiker Welzbacher und der Zeitzeuge Kubicki an einem Charakterbild von Redslob, dessen Amtszeit als FU-Rektor Ende 1950 tatsächlich endete, weil der begnadete Netzwerker Freunde und Verwandte zu freigiebig mit Posten versorgt hatte.

Redslob war als Reichskunstwart der Weimarer Republik für die Gestaltung der Staatswappen – die von der Bundesrepublik teilweise übernommen wurden – und Briefmarken ebenso zuständig wie für die Staatsbegräbnisse von Walther Rathenau, Gustav Stresemann und Friedrich Ebert. 1933 bei vollen Bezügen aus dem Amt „beurlaubt“, wandelte er sich zum erfolgreichen Publizisten und Autor, der mit populären Sachbuchtiteln wie „Die Welt vor hundert Jahren“ oder „Des Reiches Strasse“ gut verdiente.

Die Nachkriegsjahrzehnte in Berlin wurden für Redslob zur zweiten Chance. 1949 erklärte er in einem Fragebogen, Kontakte zum Kreisauer Kreis gehabt zu haben, für Welzbacher eine „Selbststilisierung zum Widerstandskämpfer“. Bei der Errichtung der Gedenkstätte für die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 im Bendlerblock schaltete sich Redslob in die Diskussion ein und entwarf die noch heute gültige Inschrift. Das Denkmal wurde für Redslob, so Welzbacher, „zum Mittel, sich persönlich in den Kontext des Widerstands zu stellen“ – obwohl sich seine aktive Beteiligung an oppositionellen Zirkeln aus den Quellen nicht nachweisen lasse.

Wie immer, wenn man der historischen Realität auf den Grund geht, wird das Bild differenzierter, offenbart selbst die Biografie eines verdienstvollen Menschen schwer auflösbare Grauzonen. Ob jemand wie Edwin Redslob, der zeitlebens für „die Versöhnung von Demokratie, Humanismus und künstlerischer Moderne“ (Welzbacher) antrat, auch eine opportunistische Seite haben darf, ist – siehe Jan-Hendrik Olbertz, künftiger Präsident der Humboldt-Universität – eine hochaktuelle Frage.

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