zum Hauptinhalt
Gemüseprobe. Weiterhin werden hunderte Proben von Lebensmitteln, Menschen und aus der Umwelt auf den Ehec-Erreger O104 getestet. Wie weit verbreitet der Keim in der Bevölkerung ist, gehört zu den zahlreichen offenen Fragen.

© dapd

Ehec: 40 Tote und viele offene Fragen

Der Ehec-Ausbruch klingt offenbar ab. Doch auch die Genesenen scheiden die gefährlichen Erreger weiter aus.

In Sachen Ehec entspannt sich die Lage weiter. Der Scheitelpunkt der Erkrankungen sei wohl überschritten, sagte der Regierungssprecher Steffen Seibert gestern. Zugleich nahm der Frankfurter Gemüsehof, der nach einem Ehec-Fund auf einem Salat und in der Salatwaschanlage gesperrt worden war, den Betrieb wieder auf. „Unter anderem haben wir die gesamte Wasseranlage einer Desinfektion unterzogen, so dass diese sich nach behördlicher Überprüfung auf dem neuesten Stand der Trinkwasserverordnung befindet“, sagte der Geschäftsführer Steffen Gerlach. Bei dem Ehec-Keim, der auf dem Hof gefunden worden war, handelte es sich nicht um den besonders gefährlichen Typ O104.

EU-Gesundheitskommissar John Dalli gab außerdem bekannt, dass das russische Einfuhrverbot für Gemüse aus der EU schon bald aufgehoben werden soll. Die Bedingungen: Alle Gemüselieferungen müssen vorübergehend Zertifikate mit sich führen, die bescheinigen, dass die importierteWare nicht den gefährlichen Ehec-Typ trägt. Außerdem muss auch die Herkunft der Produkte darauf stehen. Zehn Tage nach der letzten Ehec-Erkrankung solle diese Vorschrift automatisch wegfallen, sagte ein EU-Sprecher.

Wann mit dieser letzten Erkrankung zu rechnen ist, ist allerdings eine der zahlreichen Fragen, die noch völlig offen sind. Mehr als 3600 Ehec-Fälle sind dem Robert-Koch-Institut (RKI) inzwischen gemeldet worden und immer noch kommt jeden Tag eine zweistellige Zahl an Fällen hinzu. „Die Herausforderung in den nächsten Tagen wird es sein, sehr genau zu schauen, ob es sich dabei um spät gemeldete Fälle handelt oder um Neuinfektionen“, sagt Klaus Stark, Leiter der Abteilung gastrointestinale Infektionen am RKI.

Mit einigen Neuinfektionen sei in jedem Fall zu rechnen, sagt Stark. Schließlich kann der Erreger durch Schmierinfektionen von einem Menschen auf andere übertragen werden, also zum Beispiel, wenn Menschen, die den Erreger ausscheiden, sich die Hände nicht richtig waschen. „Es sieht bisher nicht so aus, als wäre es zu sehr vielen solcher Infektionen gekommen“, sagt Stark. Die wenigen Fälle würden aber besonders intensiv geprüft. „Wir müssen sicherstellen, dass das wirklich alle Neuinfektionen erklärt und es nicht doch noch eine andere Quelle für diese Ansteckungen gibt.“ Im Grunde geht es den Forschern darum, für den neuen Erreger eine wichtige Kennzahl zu bestimmen: die Basisreproduktionszahl. Die gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter im Durchschnitt wiederum ansteckt und erlaubt es Epidemiologen den Verlauf eines Ausbruches besser vorherzusagen.

Eine andere Frage, die die RKI-Forscher beschäftigt, ist, wie viele Menschen, die inzwischen wieder gesund geworden sind, den Erreger weiterhin ausscheiden und wie lange. Erste Untersuchungen in Krankenhäusern hatten gezeigt, dass der Ehec-Keim O104 bei einigen genesenen Patienten weiter in Stuhlproben vorhanden war. Experten des RKI haben nun begonnen, im Kreis Lauenburg im Süden Schleswig-Holsteins Familien zu besuchen, in denen es Erkrankungsfälle gab. Anhand von Stuhlproben wird untersucht, ob die erkrankten Personen den Keim auch an andere Familienmitglieder weitergegeben haben. Mit ersten Ergebnissen ist in einigen Tagen zu rechnen.

Genetisch ist der Erreger inzwischen gut untersucht. So bestätigt der Münsteraner Forscher Helge Karch in einer Veröffentlichung im Fachblatt „Lancet Infectious Diseases“, was sich in den letzten Wochen angedeutet hatte: Es handelt sich bei dem Erreger um eine Mischung aus einem typischen Ehec-Erreger und einem zweiten Typ von Escherichia-coli-Bakterium, der als enteroaggregativ (Eaec) bezeichnet wird.

Diese Eaec-Erreger können sich im Darm besser festsetzen als Ehec-Erreger. So könnte es zu einer Freisetzung von mehr Gift kommen als in normalen Ehec-Infektionen was die hohe Zahl an schweren Fällen erklären könnte. Etwa jede fünfte Infektion hatte das lebensgefährliche hämolytisch-urämische Syndrom (Hus) verursacht. Normalerweise entwickelt sich diese Komplikation nur in jedem zehnten Fall. Das sei aber nur eine mögliche Erklärung sagte Karch dem Tagesspiegel.

Unklar ist auch noch, wann die Empfehlung, auf den Verzehr von Sprossen zu verzichten, zurückgenommen werden könnte. Noch erlaube die Situation keine Aufhebung der Verzehrsempfehlung, sagte eine Sprecherin des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Experten des Institut arbeiten zurzeit aber an einer Risikobewertung zum Thema Ehec und Lebensmittel, die in den nächsten Tagen veröffentlicht werden soll. Eines ist bereits klar: Selbst wenn die Warnung vor Sprossen aufgehoben wird, eine alte Empfehlung des BfR hat in jedem Fall weiter Bestand. Das Institut hatte schon im Juni 2010 empfohlen, Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, also zum Beispiel ältere Menschen oder Kinder, sollten wegen der hohen Keimbelastung auf den Verzehr von Sprossen am besten ganz verzichten. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false