zum Hauptinhalt
Gut studiert. Die Absolventen Harvards gründen Clubs auf der ganzen Welt. Der Berliner Club verhilft deutschen Studenten zu einem Stipendium an der US-Uni (hier der Campus).Foto: AFP

© AFP

Wissen: Ein Ami im Trabi, ein Nazi im Flieger

Kuriose Geschichten und Nähe zur Weltpolitik: Seit hundert Jahren gibt es einen Club Harvards in Berlin.

In hundert Jahren Club-Geschichte, da kommen schon ein paar kuriose Lebensläufe zusammen. Eine solche Kuriosität sitzt bei der 100-Jahr-Feier des Harvard Club of Berlin gut gelaunt auf dem Podium: Stephen Wechsler aka Victor Grossmann, wohl der einzige Amerikaner, der einen Abschluss in Harvard und einen in Karl-Marx-Stadt gemacht hat und jahrzehntelang mit dem Trabi durch die DDR gekurvt ist. Von allen Harvard-Absolventen, die im Festsaal des Wissenschaftszentrums sitzen, hat der 84-Jährige die interessanteste Lebensgeschichte und kann am herzhaftesten darüber lachen.

Als Student in Harvard trat Wechsler 1945 der Kommunistischen Partei bei, verschwieg diese Mitgliedschaft aber beim Eintritt in die US-Army. „Ich war gemütlich in Bad Tölz stationiert, da bekam ich einen Brief vom Pentagon: Sie hatten herausbekommen, dass ich Mitglied der Kommunistischen Partei war. Es war die McCarthy-Ära, mir drohten fünf Jahre Haft. Da habe ich mich abgesetzt“, erzählt der freundliche Herr mit dem weißen Schnurrbart. In Linz schwamm er über die Donau und gelangte nach einigen Abenteuern in die DDR, wo er unter dem Namen Victor Grossmann bis zur Wende blieb und als Journalist arbeitete. In seiner Wohnung an der Karl-Marx-Allee wohnt er heute noch, an seinen berühmten Studienort kehrte er erst 1999 zurück, als seine Klasse 50-jähriges Jubiläum feierte.

Harvard hat viele berühmte Absolventen, angefangen mit US-Präsidenten wie Kennedy und Obama bis hin zum Jungmilliardär Mark Zuckerberg, der sein Studium allerdings nicht abschloss. Wer auch nur zeitweilig an der amerikanischen Elite-Uni bei Boston studiert hat, bleibt ihr verbunden: Allein in Deutschland gibt es fünf Harvard Clubs. Der Berliner Club kann auf eine besonders lange Geschichte zurückblicken. Vor hundert Jahren, so erzählt es Club-Vorstand Tobias Pusch bei der Jubiläumsfeier, trafen sich 18 deutsche Harvard-Absolventen im Hotel de Rome und gründeten den „Harvard Club of Berlin“, damals ein reiner Männerverein, der in schweren Ledersesseln und Zigarre paffend über internationale Politik sinnierte. Immer war der Club eng den Botschaften und der Diplomatie verbunden. Bedingt durch den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg war der Club nur 60 Jahre lang aktiv, seine Mission bis heute: die Kontakte unter den Ex-Harvard-Studenten lebendig zu halten, zur internationalen Verständigung beizutragen und deutschen Studenten mit Stipendien zu einem Studium in Harvard zu verhelfen.

Zum Jubiläum ist ein Buch erschienen. „The Harvard Club of Berlin: One Hundred Years of History“ (Kadmos Verlag) erzählt die Geschichte des Clubs und stellt einzelne Mitglieder vor. Darunter auch die zweifelhafte Gestalt Ernst Hanfstängel, genannt „Putzi“. Der war ein strammer Nationalsozialist, ein Freund und Berater Hitlers, bis Goebbels gegen ihn intrigierte. Auch das eine kuriose Geschichte: Goebbels ließ Hanfstängel mitteilen, er solle in Staaken in ein Flugzeug steigen und erst während des Flugs einen Brief mit einem besonderen Auftrag Hitlers öffnen. Darin stand, das Flugzeug fliege nach Spanien, Hanfstängel solle dort mit dem Fallschirm abspringen, um als Agent zu arbeiten. Hanfstängel glaubte sich nach stundenlangem Flug über Spanien, das Flugzeug kreiste aber nur im Brandenburger Luftraum. Er weigerte sich zu springen – und als das Flugzeug wieder auf märkischem Sand landete, hatte Goebbels wie gewünscht seinen Beweis gegenüber Hitler, dass „Putzi“ nicht zu trauen war. Hanfstängel wusste nun, dass er in Gefahr war, floh aus Deutschland und diente später den Amerikanern als Berater.

Der Harvard Club of Berlin hat heute 120 Mitglieder, davon die Hälfte Frauen, und organisiert unter anderem „Harvard Leadership Dinners“, zu denen auch Schüler aus benachteiligten Verhältnissen eingeladen werden. Dass der Club nun im Wissenschaftszentrum Berlin feierte, ist dessen Chefin Jutta Allmendinger zu verdanken, die in Harvard ihr PhD erworben hat. In ihrer Festansprache sagte Allmendinger, die deutsche Bildungspolitik könne einiges von Harvard lernen. So wünscht sie sich ein College-ähnliches Studium generale für alle Studenten: „Sie kommen heute jünger und weniger reif an die Uni als früher und wissen noch gar nicht, wo sie hinwollen.“ Ein breites Studium mit Einblicken in mehrere, auch geisteswissenschaftliche Disziplinen öffne ihren Horizont. Und einen breiten Horizont brauchen heutzutage alle, nicht nur Harvard-Absolventen. Dorothee Nolte

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false