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Weite Wege.

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Wissen: Ein Stück heile Welt retten

Der demografische Wandel ist in den Schulen angekommen. Eltern wehren sich gegen Schließungen in ländlichen Gebieten.

Das Bild ist immer dasselbe: Volksschulen, groß wie eine Sparkassenfiliale, zwei Stockwerke hoch mit angrenzendem Pausenhof, hübschen Bäumen und vielleicht einer neuen Turnhalle werden mangels Schülern in ganz Deutschland geschlossen. Hunderte an der Zahl. Anfangs protestieren Eltern, Lehrer begehren auf, doch die Bezirksregierungen sind nicht zu erweichen. Schulen unter hundert Schülern werden geschlossen. Sie aufrechtzuerhalten, wäre zu teuer.

Die sinkenden Geburtenraten machen sich nun an den Grundschulen bemerkbar. Finden sich weniger als die vorgeschriebenen 18 Kinder für die Eingangsklasse, wird eine Grundschule geschlossen oder mit einer anderen zusammengelegt. Für die Kinder bedeutet dies oft lange Anfahrtszeiten. Eltern reagieren besorgt bis ängstlich darauf, dass schon Sechsjährige mit dem Schulbus in einen anderen Ort fahren müssen. Das ist im nordrhein-westfälischen Halberbracht der Fall. Die Schule wurde im letzten Schuljahr geschlossen, die Kinder werden mit dem Schulbus in den nächsten Ort gefahren. „Uns geht hier ein Stück heile Welt verloren“, sagt eine betroffene Mutter.

Der Schuldirektor sieht die Situation pragmatischer. „Ab einer bestimmten Anzahl macht der Unterricht keinen Sinn mehr“, sagt Josef Klöckener. Denn je weniger Lehrer, desto weniger Schüler gibt es an den Schulen. In Halberbracht gab es zwei fest angestellte Lehrerinnen und eine Aushilfslehrerin, und die auch nur, weil die Schulbehörde ein Auge zudrückte. „Da muss nur mal jemand krank werden“, sagt Klöckener, „dann ist kein geregelter Unterricht mehr möglich“.

Klöckener leitet eine weitere Grundschule in Bilstein. Auch die könnte schon nächsten Sommer geschlossen werden. Nur fünfzehn Kinder sind in der ersten Klasse. Um zu überleben, bliebe der Schule die Möglichkeit, einen Verbund mit einer Schule aus dem Nachbarort einzugehen. In diesem Fall sieht das Gesetz jedoch eine sogenannte Harmonisierung vor. Beide Schulen müssen dann dieselbe Anzahl an Schülern haben. Somit müssten auch hier Schüler pendeln. „Das ist für Ballungsräume geeignet und nicht für ländliche Gebiete“, kritisiert Klöckener. Statt der Schüler sollten die Lehrer zwischen zwei Schulen hin und her fahren.

Die Regierung sieht eine weitere Möglichkeit, Schulen aufrechtzuerhalten, darin, jahrgangsübergreifenden Unterricht zu geben. Erstklässler sitzen in den hinteren Reihen und lösen Rechenaufgaben, während Zweitklässler vorne mit dem Lehrer das Einmaleins üben. Davon will Klöckner aber nichts wissen. „Die Qualität des Unterrichts geht damit verloren.“

Insgesamt sank die Zahl der Grundschüler in Nordrhein-Westfalen in den letzten 30 Jahren um rund 37 Prozent, von über eine Million auf 660 000 Schüler. Bis zum Schuljahr 2019/20 sollen es noch mal rund 13 Prozent weniger werden, so die Prognose des Landesbetriebes für Information und Technik. Bochum hat in den vergangenen zehn Jahren ein Viertel der Grundschüler verloren, und die Schulbehörde wollte im letzten Jahr Schulen mit zu kleinen Klassen zusammenlegen. Die Stadtbezirke lehnten dies jedoch ab. In Oberhausen schätzt Schuldezernent Reinhard Frind, dass von 39 Grundschulen ein bis zwei Schulen schließen müssen. Bei den Grundschülern rechne man bis 2015 mit einem Minus von elf Eingangsklassen.

In Ostdeutschland ist die Situation noch dramatischer. In Sachsen-Anhalt hat sich die Zahl der Schulanfänger in den letzten zehn Jahren mehr als halbiert, von 147 000 auf 66 000 Schüler. Die Zahl der Grundschulen verringerte sich von 850 auf 509. Zum Schuljahr 2011 wurden fünf Grundschulen nicht weitergeführt. Trotz dieser Zahlen und Sparzwängen hat sich die Stadt Chemnitz wiederum dazu entschlossen, keine Grundschulen zu schließen. „Schulschließungen aus Geldnot“ sei das Bitterste, was es gebe, sagt Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig.

Ausschlaggebend für die Entscheidung, eine Schule zu erhalten, ist auch die gute Erreichbarkeit für die Kinder. Der Oberhausener Schuldezernent sagt: „Natürlich gilt für mich auch die Formel ‚kurze Beine, kurze Wege‘“.

In Bilstein wird es Direktor Klöckener zufolge einen „Riesenaufstand“ geben, sollte das Schulhaus geschlossen werden. „Niemand will hier die Schule schließen“, sagt er. Doch Lehrer seien auch nur Menschen, irgendwann sei „das Ende der Fahnenstange erreicht“. Der Verwaltungsaufwand für die Leitung zweier Grundschulen sei enorm, eine Klasse zu führen brauche viel Einsatz und Präsenz vor Ort. Was fehle, seien genügend Lehrer. Gudrun Weitzenbürger

Gudrun Weitzenbürger

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