zum Hauptinhalt

Wissen: Ein Sucher, der sich selbst vernichtete

Ketzerische Fragen: Wäre Giordano Bruno heute ein guter Hochschul-Präsident oder eher ein Chaos-Forscher?

Am Bahnhof Potsdamer Platz steht zwischen Abgang und Unterwelt ein hölzerner Mann auf dem Kopf. Er wurde am 17. Februar 1600 auf dem römischen Campo dei Fiori verbrannt. Vor dem Schädel ist ein Zitat eingelassen: „Lachhaft zu sagen, außerhalb des Himmels sei nichts. Es gibt nicht eine einzige Welt, eine einzige Erde, eine einzige Sonne, sondern so viele Welten, wie wir leuchtende Funken über uns sehen.“ Über den Grenzüberschreiter und seine Art, Traditionen auf den Kopf zu stellen, hat jetzt das Max-Planck-Institut ein Kolloquium veranstaltet. In der Humboldt-Universität (HU) fragt eine Diskussion nach seiner Aktualität.

Zu Beginn liest Ulrich Matthes Verse des Dichters und Philosophen. „Ich trage den Stern und der Stern trägt mich selber. Ich trage den Himmel und der Himmel trägt mich. So kann ein Einzelner, auch möge er allein sein, siegen.“ Giordano Bruno, verklärt zum Inbild einer autonomen, weltumarmenden Zivilcourage.

Geboren 1548 bei Neapel, hat der Soldatensohn und Dominikaner, angeregt durch antike Naturphilosophie und das heliozentrische Weltbild des Kopernikus, im Jahrhundert der (Gegen-)Reformation seine Ideen entwickelt: Er behauptet die Unendlichkeit und Ewigkeit des Alls, was ein Jenseits und ein Jüngstes Gericht offenbar ausschließt, er verwirft die Gottessohnschaft Christi. Sein Universum unendlich vieler Welten besteht aus passiver Materie samt göttlicher Weltseele. In Verschiedenheiten der konkreten Welt sieht der Pantheist die Vielgestaltigkeit des einen Wesens ausgedrückt. Auf Stellensuche durchwandert er Europa, konvertiert zum Calvinismus, wird in Genf ebenso exkommuniziert wie von deutschen Lutheranern; bewirbt sich auf den Lehrstuhl in Padua, den Galilei erhält. Wird nach acht Kerkerjahren in der Engelsburg wegen Ketzerei hingerichtet.

Zum Disput über Bruno haben sich in der HU auch Laizisten eingefunden, die in Gelächter ausbrechen, als kirchliche Repräsentanten erwähnt werden, die eine Einladung nicht angenommen hatten. Mit seiner Stilisierung zum Feindbild der Hierarchie ist jedoch noch nicht klar, wer er genau gewesen sein soll: War Giordano Bruno ein Aufklärer?, fragt Moderator Christoph Markschies. Ein Hier-stehe- ich-und-kann-nicht-anders- Luther?

Für den Wissenschaftshistoriker Yehuda Elkanah aus Budapest ist er einer, der alle „Gegensätze umarmt“. Den Islamwissenschaftler Reinhard Schulze (Bern), der die Exekution eines muslimischen Ketzers im Orient ungefähr zur gleichen Zeit erwähnt, beeindruckt, wie im Fall Bruno Kritik und Institution sich gegenseitig radikalisieren. Der Renaissance-Philosophie-Experte Paul Richard Blum aus Baltimore sieht ihn als einen Sucher, der sich selbst vernichtete – und als „alter Scholastiker“ Konsequenzen eines Gedankens jeweils auf allen Gebieten durchgerechnet habe.

Welche Institution würde heute einen solchen Ausbrecher verkraften? Höchstens der Vatikan oder das Santa-Fé-Institut für Chaos und Komplexität, meint Elkanah. Blum erinnert daran, dass Bruno, der Bewerber um akademische Posten, paradoxerweise institutionell dachte und schlägt ihn als Unipräsidenten vor. Schulze unkt, keine Alma Mater würde Bruno heute rufen, er fände – in Teheran oder sonstwo – seinen Scheiterhaufen.

Das Opfer Bruno, der Kämpfer gegen Gedankentyrannei, ist die populäre Projektionsfläche. Am deutlichsten verfängt sich Michael Schmidt-Salomon in dieser Romantisierungsfalle. Als brillanter Poet würde Bruno heute freischaffend bleiben, sagt der Vorsitzende der Giordano- Bruno-Stiftung. Höchstens ein transdisziplinäres Team, das die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaft überwinde und mithilfe „rationaler Mystik“ den transzendenten Überschuss der Wissenschaft bearbeite, würde er leiten.

Rationale Mystik – ist das die schwarze Kiste für alle ungelösten Fragen?, frotzelt Markschies und lenkt zum Themenfeld „Recht und Grenzen der Vernunft“. Schmidt-Salomon spitzt zu: Gerade sei in Berlin ein Mitglied des Zentralrats der Ex-Muslime bewusstlos geschlagen worden. An der Spitze der freiheitsfeindlichen Religionen stehe heute der Islam. Keine Religion habe bislang die Aufklärung bewältigt, verteidigt der Islamwissenschaftler. Thomas Lackmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false