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Cemile Giousouf (36) ist Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion und Mitglied im Bildungsausschuss des Bundestages.

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Einflussnahme auf türkische Bildungseinrichtungen: „Schlechte Stimmung an den Unis“

"Universitäten sind nicht der richtige Ort für politische Machtdemonstrationen", meint die Integrationsbeauftragte der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion Cemile Giousouf im Tagesspiegel-Interview.

Das deutsch-türkische Wissenschaftsjahr geht zu Ende. Wie wichtig ist die Türkei Ihrer Wahrnehmung nach für deutsche Unis?

Deutschland und die Türkei haben seit Jahrzehnten im Wissenschaftsbereich enge Beziehungen, gerade auch wegen der vielen Türkischstämmigen hierzulande. Mehr als 60 Hochschulen haben sich im Rahmen des Wissenschaftsjahres an einem Ideenwettbewerb für neue deutsch-türkische Initiativen beteiligt. Das zeugt von einer großen Offenheit. In den letzten Jahren ist ein Paradigmenwechsel zu spüren. Hochschulen wollen kulturelle und sprachliche Kompetenzen von Migranten nutzen. Man denke etwa an den deutsch-türkischen Jura-Studiengang an der Kölner Universität.

Studien zeigen aber, dass Akademiker mit Migrationsgeschichte im Herkunftsland ihrer Eltern und Großeltern oft bessere Karrierechancen sehen als in Deutschland. Viele erleben Hochschulen zuweilen als Orte der Diskriminierung.

Und sie erleben den Arbeitsmarkt als diskriminierend, weil sie bei gleichen Abschlüssen nicht die gleichen Chancen erhalten. Wir sehen das mit großem Bedauern. Wenn wir uns anschauen, wie viele Professoren mit Zuwanderungsgeschichte wir haben, ist da noch viel Luft nach oben. Auch die Informationspolitik der Hochschulen muss Studierende aus einem Nicht-Akademikerhaushalt stärker im Blick haben. Unser Interesse ist es, das junge Menschen, die hier ausgebildet werden, auch hier bleiben. Studien zeigen allerdings auch, dass viele Rückkehrer bald wieder nach Deutschland zurückkommen, im Schnitt nach zwei Jahren. Sie kommen in der Türkei nicht so zurecht, wie sie sich das vorgestellt haben.

In diesem Jahr wurde nach einer langen Gründungsphase endlich die Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul offiziell eröffnet. Die TDU will eine wichtige Stimme der Zivilgesellschaft in der Türkei sein. Wie kann sie das erreichen?

Gerade in jüngster Zeit sind zivilgesellschaftliche Organisationen in der Türkei immer zahlreicher und bedeutender geworden. Diese können im Austausch mit Studierenden und Wissenschaftlern neue Themen setzen. Natürlich spielen politische Themen eine wichtig Rolle: Menschenrechte, Minderheitenrechte, ethnische Fragen. Es gibt aber auch andere Themen wie Umwelt- und Klimaschutz. Das sind Zukunftsfragen, die uns partnerschaftlich etwas angehen.

Welche Rolle spielen die Hochschulen im öffentlichen Diskurs der Türkei?

Die mischen sich ein, das ist auch eine wesentliche Aufgabe von Hochschulen. In Gesprächen mit Forschern hört man allerdings auch immer wieder, dass an den Unis eine schlechte Stimmung herrscht. Viele wurden aus dem Boden gestampft, viele werden von regierungsnahen Rektoren geführt. Es entsteht der Eindruck, die Regierung wünsche eine immer stärkere Kontrolle von Forschung und Lehre. Gerade erst wurde ein Gesetzentwurf präsentiert, der der Regierung die Möglichkeit gibt, stärker auf Privathochschulen Einfluss zu nehmen. Allgemein gilt: Universitäten sind nicht der richtige Ort für politische Machtdemonstrationen. Sie sind aber sehr wohl der richtige Ort für freie Meinungsäußerung.

Gegner von Präsident Erdogan befürchten, er wolle das Bildungssystem islamisieren. Teilen Sie die Befürchtungen?

Man muss das differenziert sehen. Dass das Kopftuchverbot an Hochschulen aufgehoben wurde, wurde von einer großen Mehrheit der Bevölkerung befürwortet. Das Verbot wurde auch als diskriminierend empfunden, weil es viele junge Frauen vom Studium ausschloss. Derzeit werden aber auch Vorschläge der regierungsnahen Türkischen Bildungsgewerkschaft Egitim-Bir-Sen diskutiert. Sie will getrennte Schulklassen und religiöse Unterrichtseinheiten in Schulen und Kindergärten. Die Umsetzung ist unwahrscheinlich – aber dass solche Vorschläge überhaupt auf den Tisch kommen, finde ich schon höchst problematisch. Die Demokratiefähigkeit der Hochschulen müssen wir daran messen, wie frei Studierende und Wissenschaftler wirklich lernen und forschen können.

Die Fragen stellte Tilmann Warnecke.

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