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Frevert

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Emotionsforschung: Macht der Gefühle

"Geschichte der Gefühle": Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung eröffnet ein neues Gebiet.

Am 22. Dezember 1989 tanzt Ute Frevert voller Freude durch das soeben geöffnete Brandenburger Tor. Ihr damals fünfjähriger Sohn ist peinlich berührt. Alle schreiten dem historischen Anlass angemessen von West- nach Ost-Berlin. Nur seine Mutter fällt aus der Rolle. Gefühle sind entwicklungsgeschichtlich interessant, sagt Frevert heute: „Kinder drücken Gefühle anders aus.“ Vielleicht begann an jenem verregneten Berliner Nachmittag ihr Weg zu einem neuen Forschungsbereich, den sie jetzt als Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ins Leben gerufen hat. Die „Geschichte der Gefühle“ wird Frevert mit einem großen Team von Wissenschaftlerinnen und Nachwuchsforschern erkunden.

Warum wird gerade an einem Institut für Bildungsforschung über Gefühle geforscht? Haben Gefühle überhaupt eine Geschichte? Als die 53-jährige Historikerin ihr Projekt am Dienstagabend vorstellt, beantwortet sie diese Fragen, die ihr seit Monaten immer wieder gestellt werden, gleich selber. Nicht zum ersten Mal glaubt sie Zweifel zerstreuen zu müssen. Ihr künftiges Forschungsgebiet umriss sie erstmals 1996 in Bielefeld, als sie einen Festvortrag zur Emeritierung des großen Sozialhistorikers Hans-Ulrich Wehler hielt, sagt Frevert dem Tagesspiegel. In Bielefeld hatte Frevert schon studiert, wurde sie promoviert und habilitierte sie sich. Sie wird Professorin an der Freien Universität Berlin und in Konstanz, bevor sie 1997 nach Bielefeld zurückkehrt. Im Jahr darauf erhält sie den hochdotierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und gründet mit dem Preisgeld eine Arbeitsgruppe zur „Geschichte des Vertrauens“. Bei der Wehler-Verabschiedung aber weht ihr noch ein eisiger Wind entgegen. „Die Kollegen sind mir an die Gurgel gesprungen“, sagt Frevert. Ideologiefreie Geschichtsschreibung und Gefühle, das schien sich auszuschließen.

Für Frevert sind Gefühle „geschichtsträchtig und geschichtsmächtig“ – das ist die These, die sie am Max-Planck-Institut belegen will. Im Projekt „Emotion und Macht“ erforscht Frevert „Ehre und Schande: Die Sprache von Krieg, Sieg und Niederlage in der Moderne“ – und den Nationalstolz. Im Bereich „Emotion und Körper“ beschäftigen sich Nachwuchsforscher mit der „Angst der Soldaten“ im russisch-deutschen Vergleich und der „Liebe und Angst der Homosexuellen“ auf dem westdeutschen Land 1960 bis 1995.

Was Bildungsforschung und Gefühle miteinander zu tun haben, liegt auf der Hand – legt man Herders und Humboldts Begriff der „allgemeinen Menschenbildung“ zugrunde. Das Projekt „Bildung als Emotionsgeschichte. Der pädagogische Eros 1800 bis 1950“ ist klassische Bildungsforschung. „Zivilgesellschaft, Zivilität und die Kontrolle von Emotionen“, ein Forschungsvorhaben zu indischen Muslimen seit dem 18. Jahrhundert dagegen hinterfragt koloniale Strategien der Volkserziehung. Indien ist – unter der Leitung von Margrit Pernau – ein Schwerpunkt des Forschungsbereichs.

In Berlin rennt Frevert heute offene Türen ein. Für die Geschichtswissenschaft mag die Emotionsforschung noch immer ein provokantes Thema sein. In den Kulturwissenschaften aber weiß man seit Jahren: Selbst der Begriff hat eine Geschichte – vom Affekt zum Gefühl, von der Antike bis in die Gegenwart. Frevert entdeckt in Berlin ein weites Feld der Emotionsforschung – von Sigrid Weigels Zentrum für Literaturforschung bis zu Winfried Menninghaus’ im Exzellenzwettbewerb bewilligtem Cluster „Languages of Emotion“. Konkurrenz? Nein, sagt Frevert. Aus Yale, wo sie 2003 bis 2007 Deutsche Geschichte lehrte, bringe sie ein anderes Gefühl für Kollegen mit, die an verwandten Themen arbeiten: Freude auf viele Anknüpfungspunkte.

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