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Wissen: Energie Cottbus

Die Brandenburgische Technische Universität zeigt, dass ein Standort im Osten auch Vorteile bringen kann

Die BTU Cottbus ist eine kleine technische Universität in Ostdeutschland. Im Elitewettbewerb ging sie – wie die meisten ostdeutschen Hochschulen – bislang leer aus. In Forschungsrankings gehört sie zu den Schlusslichtern. Und auch international galt die Technische Universität bislang nicht gerade als Leuchtturm der deutschen Wissenschaft. Als der Cottbuser Professor für Energietechnologie Harald Schwarz kürzlich an die Universität von São Paulo reiste, rechnete er nicht damit, dass man ihm einen roten Teppich ausrollen würde. São Paulo ist mit 160 000 Studenten die größte Hochschule Brasiliens, die BTU (Brandenburgische Technische Universität) Cottbus hat gerade einmal 4644 Studierende.

Dennoch sei er mit offenen Armen empfangen worden, sagt Schwarz. Ebenso sei es ihm an den Universitäten von Schanghai, Peking und Taiwan ergangen. Denn Schwarz bringt eine begehrte Technologie mit – und ein Rezept für die Energiegewinnung, das den Gastländern schmeckt. Er kommt aus dem Braunkohlenrevier Brandenburg und hat eine Technik für ein CO2-freies Kraftwerk entwickelt, dessen Prototyp am Standort der Schwarzen Pumpe (nahe Senftenberg und Hoyerswerda) entsteht.

China muss allein in den nächsten 15 Jahren pro Monat 3000 Megawatt Kraftwerksleistung zusätzlich produzieren, wenn es seinen gigantischen Energiebedarf stillen will. Dabei setzt das Land vorwiegend auf Kohle. Wenn das Riesenreich nicht weiter die Luft verpesten will, braucht es CO2-freie Kohlekraftwerke. Großer Bahnhof also für den Technologieprofessor aus Brandenburg, der auch noch Know-how für die Integration erneuerbarer Energien in die Stromnetze im Gepäck hatte.

Im nächsten Wintersemester soll ein gemeinsamer Ingenieurstudiengang in Cottbus, Peking, Schanghai, Taiwan, São Paulo, Rio de Janeiro und Bela Horizonte (Brasilien) starten. Ausgewählte Studierende aus China, Brasilien sowie Deutschland sollen drei Semester lang in Cottbus im Master Energietechnik studieren. Im vierten Semester können sie in den Partnerländern in Zweigniederlassungen deutscher Hersteller oder Energieversorger ihre Masterarbeiten schreiben. So kommen auch deutsche Spitzenstudenten nach China, Brasilien oder Taiwan.

Solch eine große internationale Ausstrahlung war bei der Gründung der BTU Cottbus nicht vorhersehbar. Aber wie alle neuen Länder wollte auch Brandenburg nach der Wiedervereinigung mit Hochschulgründungen die regionale Wirtschaft ankurbeln. Heute scheint das Beispiel Cottbus zu zeigen: Eine kleine ostdeutsche Hochschule kann auch ohne Elitesiegel national und international punkten – wenn sie ihren Gründungsauftrag ernst nimmt. Das gelingt auch dem Maschinenbauer Bernd Viehweger, der mit anderen Professoren der BTU an dem Forschungszentrum für Leichtbauwerkstoffe „Panta Rhei“ beteiligt ist.

Dieses Forschungszentrum konzentriert sich auf neue Wege im Technologietransfer, um möglichst schnell auf die Wünsche von Firmen zu reagieren. Die Palette reicht von der Verwendung neuer Materialien für den Karosseriebau von Autos und Schienentriebwagen im Regionalverkehr für die Firma Bombardier bis zu leichteren Schneidemaschinen, die Käse und Fleisch in der Lebensmittelindustrie schneller in Scheiben portionieren. Im Kraftfahrzeugbau geht es in Kooperation mit Daimler, VW, BMW und Thyssen-Krupp darum, unter Verwendung von Magnesium leichtere und zugleich haltbarere Bleche zu konstruieren. So werden verschiedene Oberflächenstrukturen, die wie Noppen aussehen, erprobt und kostensparende Produktionsabläufe durchgespielt.

Die Maschinenbauer von „Panta Rhei“ haben auch ein Leichtbauverfahren mit Aluminiumschaum entwickelt. Zwischen zwei Aluminiumplatten wird eine dünne Schicht des Leichtmetalls mit Titanhydroxid eingefügt, das bei einer Temperatur von 600 Grad wie Hefe in einem Brotteig wirkt und den Aluminiumschaum ausbildet. Durch diese neue, crasherprobte Technik kann das Gewicht von Fahrzeugkarosserien um 20 Prozent gemindert werden.

Im Umweltbereich setzt die BTU Cottbus darauf, regionale Besonderheiten in der angewandten Forschung zu nutzen. Alter Tagebau, in dem der Abbau der Braunkohle aufgegeben wurde, wird rekultiviert. Jetzt hat man ein solches Gelände allein für die Forschung abgesperrt. Im Quellgebiet Hühnerwasser bei Welzow-Süd wollen 40 Umwelt- und Naturwissenschaftler der TU Cottbus, der TU München und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich erforschen, wie sich Lebensräume und Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen in einer neu entstehenden Landschaft entwickeln. Das Projekt hat der TU Cottbus im Juli 2007 den ersten transregionalen Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingebracht – finanziert mit 5,5 Millionen Euro für die ersten vier Jahre.

„Wer sich in Zukunft mit der Energieversorgung beschäftigen will, muss nach Cottbus gehen, wegen des einzigartigen Laborangebots“, sagt BTU-Präsident Walther Zimmerli. Deswegen habe er das Angebot angenommen, in Cottbus Universitätspräsident zu werden, sagt der Philosoph und Technologie-Experte, der seit März vergangenen Jahres im Amt ist. Er sieht die TU Cottbus als ideales Experimentierfeld für Reformen – gerade wegen ihrer geringen Größe. Zimmerli kommt von der Auto- Uni des Volkswagenkonzerns in Wolfsburg und hat dort für VW eine akademische Weiterbildungseinrichtung aufgebaut. Analoges plant Zimmerli auch in Cottbus: „Die Universitäten sind nicht mehr nur für die Altersgruppe von 18 bis 25 Jahre zuständig, sondern für die 18- bis 80-Jährigen. Es geht um lebenslanges Lernen.“ Weiterbildungsangebote seien eine bildungspolitische Notwendigkeit in Zeiten, da die Bevölkerungszahlen zurückgehen – und eine zusätzliche Einnahmequelle für die Universität.

Den alten Traum von einer philosophischen Fakultät an einer Technischen Universität hat schon der Wissenschaftsrat kurz nach der Gründung der BTU Cottbus begraben. Zimmerli wird ihn in dieser Form nicht aufleben lassen. Aber Cottbus hat genug Professoren, die für die Einrichtung einer kulturwissenschaftlichen Querschnittsfakultät geeignet wären. Die große Nachfrage der Studierenden nach dem neuen Studiengang Kultur und Technik sei jedenfalls ermutigend.

Ein großer Sprung nach vorn wäre die Aufnahme der BTU in die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Dazu fehlt es auch noch an einer genügend großen Zahl von Doktoranden. Eine zweite Graduiertenschule, die die Thematik des Sonderforschungsbereichs aufgreift, soll helfen.

Über 6000 Studenten wollte die Universität einmal ausbilden. So stand es in der Gründungsdenkschrift von 1992. Zur Zeit sind es 4640. Wenn der Studentenberg mit einem Anstieg der Studienanfängerzahlen um 20 Prozent kommt, könnte Cottbus 1000 Studenten mehr aufnehmen. Jedoch ist Zimmerli nicht an Numerus-clausus-Flüchtlingen aus dem Westen gelegen. Er möchte möglichst gute Schulabgänger gewinnen und hofft, dass künftig die besten Abiturienten aus Brandenburg nach Cottbus gehen – und nicht mehr an die Technische Universität Berlin. Und wieder sei die Kleinheit ein Pluspunkt: Cottbus sei so übersichtlich, dass hier die Studenten ihren Professoren wirklich begegnen könnten. Und auf einen Professor kommen derzeit nur 40 Studenten. Wo gibt es das sonst noch?

Am 10. Januar lädt die Brandenburgische Technische Universität zu einem Tag der offenen Tür ein. Informationen unter www.tu-cottbus.de.

Uwe Schlicht

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