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Erschöpfung: Burn-out - schon bei Preußens Lehrern

Bereits um 1880 litten Pädagogen an Erschöpfung. Heute spricht man bei diesen Symptomen vom "Burn-out-Syndrom". Vor hundert Jahren hatte dieses Krankheitsbild einen anderen Namen: "Neurasthenie".

Es waren vor allem die äußeren Bedingungen, die den Lehrern zu schaffen machten: Klassenstärken von bis zu 43 Kindern, 29 Unterrichtsstunden pro Woche, dazu die ständig neuen Anforderungen durch die Einführung der Reformpädagogik, die mit einer Verschlechterung der Schülerdisziplin nach Abschaffung der Prügelstrafe einhergingen. Die Lehrer und insbesondere die Lehrerinnen reagierten mit Krankheit: übermäßige Reizbarkeit, Herzbeklemmungen, Angstzustände, Konzentrationsschwäche, Sprachstörungen – kurz: völlige Erschöpfung.

Heute spricht man bei diesen Symptomen vom „Burn-out-Syndrom“. Vor hundert Jahren hatte dieses Krankheitsbild einen anderen Namen: „Neurasthenie“. Die Nervenkrankheit, die zuerst in Amerika diagnostiziert worden war, spielte in preußischen Krankenakten seit 1880 eine immer bedeutendere Rolle: Um die Jahrhundertwende war sie neben der Hysterie zur häufigsten Neurose geworden. Doch während die Hysterie überwiegend bei nicht berufstätigen Frauen und Angehörigen der Unterschicht festgestellt wurde, brach die Neurasthenie bevorzugt bei „Kopfarbeitern“ aus – und hier besonders häufig bei Lehrerinnen und Lehrern.

Diese Daten stammen aus der nun veröffentlichten Dissertation von Katharina Bieler. 245 Personalakten von Pädagogen aus Schöneberg aus der Zeit von 1871 bis 1933 hat die Historikerin dafür untersucht. Das Ergebnis ist eindeutig: 71 Personen klagen über Nervenschwäche, dann folgen 38 Personen mit einem Lungenleiden; Herzkrankheiten, Rheuma und Erkrankungen der inneren Organe kamen seltener bis vereinzelt vor.

Dabei galt das Schulsystem in der schnell wachsenden Großstadt Schöneberg eigentlich als vorbildlich: Es war finanziell gut ausgestattet, die Schulgebäude hell und modern, die Gehälter höher als im übrigen Kaiserreich, und auch die Schülerzahl war niedriger als im benachbarten Berlin, wo sich ein Lehrer oft mit bis zu 51 Kindern beschäftigte. „Zum einen hatten die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und der 1. Weltkrieg negative Auswirkungen“, sagte Katharina Bieler jetzt bei einem Vortrag im medizinhistorischen Institut der Charité. „Zum anderen verstand es die Berufsgruppe der Pädagogen auch besser als andere, die Öffentlichkeit auf ihre Probleme aufmerksam zu machen, ihre Belange sind gut dokumentiert.“

Dass vor allem Lehrerinnen über Nervenleiden klagten, wurde allerdings weniger den Härten des Schulalltags als der generellen Nichteignung von Frauen für die Berufstätigkeit zugeschrieben.

Dies zumindest hat sich heute geändert.

Eva-Maria Götz

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