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Dawkins

© Mike Wolff, Tsp

Interview: "Es hilft nichts, Gott auf den Plan zu rufen“

Der Biologe Richard Dawkins, Autor des Bestsellers „Der Gotteswahn“, über ein Universum ohne Schöpfer – und die Schönheit der Milchstraße.

Herr Dawkins, haben Sie jemals in einer Kirche Ihren Finger in Weihwasser getaucht? Und wenn ja, was ist passiert?

Warum sollte ich das tun?

Vielleicht fängt das Wasser an zu kochen …

Ich bin ein anglikanischer Atheist, kein katholischer. Weihwasser hat in der anglikanischen Kirche keine Bedeutung.

Was ist die Kernaussage Ihres Buches?

Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass es einen Gott gibt. Was folgt daraus? Angenommen, Gott gibt es nicht: Was sollen wir tun? Ich bin besonders besorgt, was die Indoktrination der Kinder durch die Kirchen angeht. Vor allem aber darüber, wie bereits Fünfjährige von den Religionen mit Etiketten wie „Muslim“, „Christ“ oder „Jude“ versehen werden.

Sie schreiben, dass Sie ein „Fast-Atheist“ sind. Zu 99,9 Prozent Atheist?

Man kann nicht wissenschaftlich beweisen, dass etwas nicht existiert. Das geht bei Feen und Einhörnern nicht und bei Göttern – ich nenne bewusst die Mehrzahl – genauso wenig. Mit anderen Worten: Jahwe ist genauso unwahrscheinlich wie Thor und Odin.

Wenn Gott nicht existiert, wo kommt dann das Universum her?

Niemand weiß das. Aber es hilft nichts, Gott auf den Plan zu rufen. Physiker arbeiten an dieser Frage. Sie können die Entwicklung jetzt auf bis weniger als eine Mikrosekunde nach der Entstehung rekonstruieren. Es gibt also eine kleine Lücke in unserem Wissen. Aber was immer Sie über diese Lücke sagen, es wird nicht helfen, irgendeine Form von kreativer Intelligenz anzunehmen.

Sie schreiben, dass Sie sich intensiv mit den Feinkonstanten des Universums auseinandergesetzt haben – also mit jenen Naturkonstanten, die ein stabiles Universum gewährleisten.

Physiker glauben, dass diese Feinkonstanten sehr genau abgestimmt sind. Wenn eine von ihnen etwas anders aussehen würde, würde das Universum in der uns bekannten Form nicht existieren. Die Bedingungen, die für das Leben nötig sind, würden nicht bestehen. Man könnte ein Multiversum annehmen, eine Art kosmischen Schaum, in dem jede Blase ein Universum ist – mit einer jeweils anderen Variante der Naturkonstanten. Die große Mehrheit dieser Universen wäre nicht lebensfreundlich, aber wir existierten dann eben in einer der wenigen Blasen, die Leben ermöglichen. Sonst wären wir nicht hier.

Als Anhänger der Evolutionstheorie könnten Sie auch annehmen, dass das Universum nach dem Motto Versuch und Irrtum zunächst einmal viele Naturkonstanten ausprobiert. Und jedes Mal auseinanderfällt, bis es die richtige „Zahlenkombination“ gefunden hat.

In gewisser Weise spielt es keine Rolle, ob sie dieses Spiel in Raum oder Zeit spielen. Es gibt eine interessante darwinistische Variante, die auf den amerikanischen Physiker Lee Smolin zurückgeht. Er nimmt an, dass das Universum „Baby-Universen“ gebiert. Jedes Universum hat eine Mutter und eine Großmutter und so weiter. Und jedes Mal, wenn ein neues Universum in einem schwarzen Loch geboren wird, ändern sich die Naturkonstanten leicht. Smolin sieht einen evolutionären Trend, nach dem die Universen besser und besser werden. Immer wahrscheinlicher, was die Evolution des Lebens angeht.

Ist die Evolution nicht doch mit dem Glauben vereinbar?

Es gibt einige Leute, die das sagen. Manche sagen: Gott setzte die Evolution in Gang und zog sich dann zurück. Andere sagen: Gott gab hier und da Hilfestellung, um der Evolution über besonders schwierige Hürden zu helfen. Aber für beide Annahmen gibt es keinen echten Bedarf. Man könnte natürlich sagen: Gott ist nicht nötig, aber er ist trotzdem da. Das ist eine ziemlich unbefriedigende und unökonomische Theorie. Die darwinistische Evolution erklärt die Entwicklung des Lebens auf sehr zufriedenstellende Weise. Da brauchen Sie keinen Gott zu importieren.

Menschen finden Trost in der Religion. Wenn Gott tot ist, wie sollen sie sich dann trösten?

Selbst wenn es keinen Trost gibt, heißt das nicht, dass der Glaube an eine Religion richtig war. Anders herum: Auch wenn die Religion Ihrem Leben Sinn gibt, heißt das noch nicht, dass sie wahr ist. Es mag Leute geben, deren Fähigkeit zum Wunschdenken so groß ist, dass sie sagen: Ich glaube, weil ich es nicht aushalten könnte, wenn es nicht wahr wäre. Es ist nicht meine Aufgabe, Trost zu spenden. Mir geht es um die Wahrheit. Ich bin sogar skeptisch, ob die Religion wirklich so tröstlich ist. Dann würde man mehr Geschichten hören wie die von jemandem, der zum Arzt geht und erfährt, dass er Krebs im Endstadium hat, sich die Hände reibt und sagt: „Prima! Ich freue mich schon auf den Himmel!“ Das macht niemand. Wenn Sie jemanden im Krankenhaus besuchen, der stirbt, sagen Sie auch nicht: „Richte Onkel Helmut liebe Grüße aus, wenn du ihn bald im Jenseits treffen wirst.“

Wo finden Sie Trost?

Zwischenmenschliche Beziehungen und Liebe. Alle Dinge, die man genießen kann: wunderschöne Sonnenuntergänge, Natur und Wissenschaft, Musik und Poesie, Lachen. Ich glaube, da haben wir alle die gleichen Quellen. Nur wenige Menschen werden sich wirklich an Religion erbauen.

Aber Sie schreiben auch über „Einstein’sche Religion“, über seine Bewunderung der Schönheit und „Vernunft“ der Natur und des Kosmos.

Trost ist da ein zu schwaches Wort! In Einsteins Annäherung an das Universum verbirgt sich eine tiefe poetische Befriedigung.

Eine Art kosmische Religion?

Ja, aber ich vermeide das Wort Religion. Menschen würden das mit Religionen in einen Topf werfen, die die Existenz übernatürlicher Wesen behaupten.

Was ist Ihr bestes Beispiel dafür, wenn es um das Gefühl der Verbundenheit mit dem All geht?

Vielleicht, zur Milchstraße aufzublicken. In einer wirklich klaren Nacht, ohne Verschmutzung des Himmels durch künstliches Licht. Durch ein Mikroskop zu blicken, auf die komplexen Details einer lebenden Zelle.

Religionen ermöglichen Mitleid und Mildtätigkeit. Wo finde ich das in einer Welt der egoistischen Gene?

Egoistische Gene sind nicht gleichbedeutend mit egoistischen Individuen! Mein Buch „Das egoistische Gen“ müsste eigentlich den Untertitel haben: Warum Individuen altruistisch sind. Gene, die egoistisch sind, bringen Individuen dazu, altruistisch zu sein. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass es in einer Welt der eigensüchtigen Gene für Zusammenarbeit, Freundlichkeit, Sympathien und Altruismus keinen Raum gibt.

Arbeiten Sie an einem neuen Buch?

Ich möchte ein Kinderbuch schreiben. Es geht darum, das skeptische Denken von Kindern fördern, sie zu ermutigen, Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Es heißt, Jesus kam in die Welt, um uns zu retten. Was für Beweise für die Annahme gibt es? Das ist natürlich etwas subversiv.

Das Gespräch führten Bas Kast und Hartmut Wewetzer.

RICHARD DAWKINS (66) ist Biologe an der Universität Oxford. Berühmt wurde er mit dem Buch „Das egoistische Gen“. In seinem neuen Werk „Der Gotteswahn“ attackiert er die Religion.

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