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Wissen: „Es ist egal, welche Musik sie hören“ Tamar Jacoby über Integration in den USA

Hartz IV kann ein schönes Wort sein. Es klingt weich und gar nicht nach Arbeitslosigkeit und Armut, wenn es aus einem amerikanischen Mund kommt.

Hartz IV kann ein schönes Wort sein. Es klingt weich und gar nicht nach Arbeitslosigkeit und Armut, wenn es aus einem amerikanischen Mund kommt. Wenn die Autorin Tamar Jacoby sagt: „Hartz IV, Integrationsverweigerer, vergesst das alles. Das sind emotionalisierte Wörter, die helfen niemandem“, dann lächelt die Amerikanerin, aber sie ballt die Hände unter ihrem Rednerpult zu Fäusten.

Beim ersten Internationalen Salon des Tagesspiegels in Zusammenarbeit mit der American Academy sprach Jacoby über Integration in Deutschland und den USA. Sie ist eine Fachfrau für Integration und Immigration und fordert in ihrem Heimatland eine Liberalisierung des Einwanderungsrechts. Die Lage in den USA kennt sie gut, hat Bücher geschrieben, Artikel veröffentlicht, beobachtet die Debatte seit einem Jahrzehnt. In Deutschland ist sie seit einigen Monaten im Rahmen eines Programms der American Academy. Sie möchte beobachten, wie Integration hierzulande funktioniert – oder eben nicht.

„Zwischen unseren beiden Ländern gibt es in Sachen Immigration viele Unterschiede“, erklärt Jacoby, immer energisch gestikulierend. „Aber im Grunde befinden wir uns in der gleichen Situation: Emotionale Ablehnung verhindert eine sachliche Debatte.“ Gefühle bestimmten jedes Gespräch über Einwanderung und verhinderten, dass der eigentliche Kern zur Sprache komme: der wirtschaftliche Bedarf nach Einwanderung jeder Industrienation, auch Deutschlands.

Sie wolle den Deutschen keine Ratschläge erteilen, dazu kenne sie die Lage ohnehin nicht gut genug. „Aber die USA haben 200 Jahre Erfahrung in Integration, Deutschland hat erst vor zehn Jahren angefangen.“ Gründe dafür, dass manches in den USA besser laufe, gebe es viele. Entscheidend seien aber zwei Punkte: Zum einen funktioniere der Aufzug sozialer Mobilität in den Staaten besser als in Deutschland, weil das Wohlfahrtssystem weniger ausgeprägt sei. „Die Leute bekommen keine Sozialhilfe, sie arbeiten – sogar die ungebildeten.“

Zum anderen gebe es in den USA keine Diskussion um sogenannte Parallelgesellschaften. „Die USA sind nicht der Schmelztiegel, der alle Nationen vereint, für den sie immer gehalten werden“, sagt Jacoby. Die Amerikaner würden indes trennen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit. „Zu Hause, in China Town oder Little Italy, kann jeder Einwanderer seine Kultur ausleben wie er will“, erklärt Jacoby. Durch ihren Job würden diese Menschen automatisch integriert. „Mir ist egal, ob Immigranten die Musik des Landes hören oder das Essen essen, sie sollen nur die Sprache lernen und die politischen und gesellschaftlichen Werte akzeptieren.“

An dieser Bereitschaft, Unterschiede zu akzeptieren, fehle es in Deutschland oft noch, erzählt eine asiatische Zuhörerin, die jahrelang in den USA gelebt hat. „Es ist auch viel leichter, Amerikanerin zu werden als Deutsche. In Deutschland spürt man förmlich die Ablehnung der Politik nach dem Motto: ,Wenn du unbedingt willst, bleib hier, aber wir wollen dich eigentlich nicht‘.“ Sebastian Kempkens

Sebastian Kempkens

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