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Evolution: Geschlechterkampf im Erbgut

Der Evolutionsbiologe Robert Trivers erforscht, wie männliche und weibliche Gene um die Vorherrschaft ringen

Robert Trivers, 66 Jahre alt, preisgekrönter Biologe, steht in Jogginghose und abgewetzter Lederjacke in Berlin-Grunewald, eine Jamaikamütze auf dem Kopf. Mit bebender Stimme liest er die Inschrift des Denkmals für Walther Rathenau: „Er fiel an dieser Stelle durch Mörderhand am 24. Juni 1922.“ Trivers legt alle Kraft in seine Stimme. „Durrrch Mörrrderrrhand“, deklamiert er. Er kennt die deutsche Sprache aus seiner Kindheit – und auch die deutsche Geschichte. Sein Vater, der unter anderem in Heidelberg studiert hatte, zog 1957 mit der Familie für kurze Zeit zurück nach Deutschland, nach Berlin. Vorher hatte er im US-Außenministerium an den Entnazifizierungsregeln mitgearbeitet.

Nun ist Trivers wieder in der Stadt. Noch bis Ende Juli ist er Stipendiat am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Trivers sagt, Deutschland werde ihm mit jeder Generation sympathischer. „Das ist auch das Erbe meines Vaters.“

Um das Erbe der Eltern, das genetische allerdings, geht es auch in Trivers Forschung. „Intragenomische Konflikte“ hieß der Vortrag, den er kürzlich an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hielt. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich eines der spannendsten Kapitel der Genetik: Der Konflikt mütterlicher und väterlicher Erbanlagen in unserem Körper.

In der Regel erhalten wir jedes Gen zweimal, einmal von unserem Vater und einmal von unserer Mutter. Bis vor einigen Jahren dachte man, dass beide Kopien gleich funktionieren. Dann entdeckte man das Phänomen der Prägung: Bestimmte Gene werden von einem der beiden Eltern abgeschaltet, so dass im Kind später zum Beispiel nur die Kopie des Vaters aktiv ist. Der Grund: Im Körper des Kindes streiten sich mütterliche und väterliche Gene um Macht und Einfluss.

1991 fanden Forscher bei Mäusen eines der ersten geprägten Gene überhaupt: Igf2. Das Gen lässt den Fötus im Mutterleib schneller wachsen. Aber nur der Vater vererbt es in seiner aktiven Form. Die Mutter schaltet das Gen schon in der Eizelle ab. Fehlt das väterliche Gen, ist das Mausbaby bei der Geburt deswegen 30 Prozent leichter. Aber warum sollte ausgerechnet der Vater das Kind schneller wachsen lassen?

Die Erklärung ist purer Darwinismus: Weil das Wachstum auf Kosten der Mutter geht und nicht des Vaters. Die väterlichen Gene haben ein Interesse daran, dass die Mutter möglichst viele ihrer Ressourcen in seine Kinder steckt und nicht später in die eines anderen Männchens.

Für die mütterlichen Gene stellt sich die Situation anders da. Ihre beste Strategie, um sich zu verbreiten, ist es, nur so viel Ressourcen in ein Kind zu investieren, wie dieses unbedingt braucht. Die anderen Ressourcen kann die Mutter dann für andere Kinder verwenden und so viel wie möglich zur Welt bringen.

Aus diesem Grund schaltet die Mutter auch nicht nur ihre Kopie des Gens Igf2 aus, sie aktiviert auch in ihren Nachkommen ein Gen, dass der Vater seinerseits stilllegt: Igf2r. Das ist die Bauanleitung für ein Protein, das das Protein Igf2 abfängt und abbaut.

Und beim Menschen? Hier ist es ganz ähnlich: Nur die Kopie von Igf2, die wir von unserem Vater haben, ist in uns aktiv. Neue Studien deuten daraufhin, dass Ähnliches für viele Gene gelten könnte.

Trivers hat dem Thema ein ganzes Buch gewidmet. Mit Austin Burt zusammen hat er „Gene im Konflikt“geschrieben, bis heute als Standardwerk angesehen. Es ist einer von vielen wichtigen Beiträgen, die Trivers geleistet hat. 2007 erhielt er den Crafoord-Preis, die höchste Auszeichnung in der Biologie, dotiert mit 500 000 US-Dollar. Es war die späte Ehrung eines Lebens, das sich nicht nur theoretisch mit Konflikten beschäftigt.

Eigentlich wollte Trivers Anwalt werden. „Ich wollte für Gerechtigkeit kämpfen, für Arme und gegen Rassendiskriminierung“, sagt er. Aber als er 21 Jahre alt war, änderte sich plötzlich alles: Er blieb Nacht für Nacht wach, las Wittgenstein, entwickelte manische Zustände – und brach schließlich zusammen. Die Ärzte diagnostizierten eine bipolare Störung. Trivers musste für drei Monate in eine Klinik, bekam anti-psychotische Medikamente. Die Episode habe ihn auch das Jurastudium gekostet, sagt Trivers. „Die wollten meine medizinischen Unterlagen. Da habe ich gesagt: Fuck you!“

Das Verhalten ist typisch für Trivers. Auseinandersetzungen geht er selten aus dem Weg. „Ich glaube nicht, dass ich den Konflikt brauche“, sagt er. Aber es gebe eine Menge Dinge, die er sich nicht gefallen lasse. „Und es wird schlimmer, je älter ich werde.“ In den 70er Jahren trat er der radikalen afroamerikanischen Widerstandsbewegung Black Panthers bei. Ihr Gründer Huey Newton war ein guter Freund des Wissenschaftlers. Aber Trivers hat auch eine andere Seite. An der Wand seiner Wohnung in Grunewald hängt die Titelseite einer Zeitung. Sie zeigt Barack Obama, dem Tränen über die Wangen laufen. „Ein Foto von dem Tag, an dem seine Großmutter gestorben ist“, sagt Trivers. „Es ist toll, dass wir wieder einen Präsidenten haben, der ein funktionierendes Hirn hat – und ein Herz.“

Erst nach dem Zusammenbruch entdeckte Trivers die Biologie, die Schönheit der Evolution. „Drei Milliarden Jahre Geschichte des Lebens. Diese Sicht hat etwas so Grandioses.“ Er studierte Biologie an der Harvard-Universität, schrieb eine viel beachtete Doktorarbeit und widmete sich einem Thema, an das vieleForscher sich nicht heranwagten: wie evolutionäres Erbe Verhalten beeinflusst.

Auch der elterliche Konflikt der Gene prägt vermutlich das Verhalten. Bei Mäusen verlassen junge Männchen in der Regel irgendwann ihre Gruppe und suchen sich anderswo Weibchen. Die zugewanderten Männchen haben also kaum Verwandte in der Gruppe, während die Weibchen von Schwestern, Cousinen und Tanten umgeben sind. Gibt also eine Mutter ein Gen an ihre Kinder weiter, dass diese veranlasst, hilfsbereit gegenüber der gesamten Familie zu sein, so tut das Gen sich selbst einen Gefallen. Denn es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in vielen Verwandten enthalten.

Der Mann dagegen hat kein Interesse, so ein Gen an seine Kinder weiterzugeben, da er mit der Gruppe ja nicht verwandt ist. Sein alleiniges Interesse sollte seinen Nachkommen gelten, denn die tragen die Hälfte seiner Gene in sich. Deswegen gibt ausgerechnet der Vater die Gene Peg1 und Peg3 weiter, die seine Töchter zu guten Müttern machen. Die Erbanlagen haben zum Beispiel einen Einfluss darauf, wie viel Zeit eine Maus in das Nestbauen investiert oder wie intensiv sie ihre Jungen wärmt. Es ist also ausgerechnet die väterliche Hälfte des Erbguts, die eine Maus zur Mutter macht.

Es ist ein wenig so, als seien zwei verschiedene Ichs in jeder Maus vorhanden. Eines, welches die Mutter angelegt hat und eines, welches vom Vater stammt. In seinen Vorträgen schlüpft Trivers in die Rolle der beiden Persönlichkeiten. „Ich liebe meine Schwestern und meine Tanten. Familie ist wichtig“, sagt das weibliche Ich der Maus mit zarter Stimme.

„Die Kinder sind das Wichtigste“, brummt der männliche Gegenpart – oder einfach „Ich habe Hunger“. Dass es beim Menschen ganz ähnliche Phänomene gibt, davon ist Trivers überzeugt: „Jeder von uns hat ein mütterliches und ein väterliches Ich, und die beiden kämpfen gegeneinander“, sagt er. „Wir sind schließlich auch Säugetiere.“

Dass wir diese inneren Konflikte gar nicht bemerken, führt Trivers auf unsere Fähigkeit zur Selbsttäuschung zurück. Wir wüssten halt nur sehr wenig darüber, was in unserem Inneren tatsächlich vor sich gehe. Mit Selbsttäuschung kenne er sich jedenfalls sehr gut aus, sagt Trivers. Als er vor Jahren dem Harvard-Biologen Ernst Mayr gesagt habe, dass er an diesem Thema arbeiten wolle, habe Mayr nur gesagt: „Das passt ja hervorragend, dass ausgerechnet du dieses Thema untersuchst.“

Die Evolution von Betrug und Selbstbetrug steht im Mittelpunkt von Robert Trivers’ Vortrag (in englischer Sprache) am heutigen Donnerstag um 19 Uhr im Einstein-Forum, Am Neuen Markt 7, 14467 Potsdam. Titel: „The Evolution of Deceit and Self-Deception.“

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