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© dpa

Evolution in Querverbindungen: „Tanz wird überall verstanden“

Eine Tänzerin und ein Neurobiologe sprechen über Bienen, Ballett, angeborene Ursignale und kulturell erworbenes Wissen.

Der Neurobiologe und Bienenforscher Randolf Menzel und Christiane Theobald, die stellvertretende Intendantin des Staatsballetts Berlin haben ein gemeinsames Interesse: den Tanz. Doch was verbindet den „Schwänzeltanz“ der Bienen mit einem klassischen Ballett? Das fragte Bettina Mittelstraß.

Wenn die Honigbiene tanzt, vermittelt sie ihren Stockgenossinnen genau das, was alle Honigbienen interessiert: das Wissen über Entfernung oder Flugrichtung zu einer ertragreichen Blütenpracht. Was erzählt der Tanz der Ballerina?



CHRISTIANE THEOBALD: Klassisches Ballett kann Geschichten erzählen, es kann aber auch ausschließlich Emotionen ausdrücken. Wir unterscheiden da zwischen Handlungsballett und abstraktem Ballett. Beides sind aber Inhalte, die ohne Worte kommuniziert werden. Man muss als Zuschauer keine bestimmte Sprache sprechen um zu verstehen. So stelle ich mir auch den Schwänzeltanz der Bienen vor: Er wird immer und überall, wo er getanzt wird, verstanden.

RANDOLF MENZEL: Wir meinen ja mit „Wissen“ oft nur das, was wir in Sprache ausdrücken, niederschreiben oder erzählen können, also das, was uns Menschen bewusst wird. Aber Wissen ist natürlich viel mehr! Ich weiß auch, dass ich hungrig oder durstig, traurig oder lustig bin. Dieses ungeheuer reichhaltige Wissen liegt meistens unterhalb der Bewusstseinsebene. Ein solches Wissen wird beim Mensch wie beim Tier durch Körpersprache vermittelt: Ich mache Bewegungen. Ich habe einen Gesichtsausdruck.

THEOBALD: Im klassischen Bühnentanz gibt es aber auch den Choreografen, der dem Tänzer auf den Körper schreibt, was vermittelt werden soll. Da haben wir zusätzlich eine Wissensvermittlung von demjenigen, der Inhalte erdenkt, auf den Tänzer, der in dem Moment eigentlich fast wie ein Instrument anzusehen ist. Und dann gibt es natürlich noch die Wissensvermittlung von Choreografien durch die Jahrhunderte von Generation zu Generation.

Das heißt, es gibt beim Menschen beides: Im Tanz teilen sich genetische „Ursignalsprache“ und kulturell erworbenes Wissen mit?


MENZEL: Wir Menschen sind durch unsere Sozialisation darauf eingestimmt, bestimmte Gesten zu verstehen. Das ist also zum einen ein Lernvorgang. Aber natürlich sind wir auch evolutiv darauf eingestellt: Ganz bestimmte Signale sind für uns Menschen wichtig. Zum Beispiel Signale, die von Gesicht und Händen ausgehen. Wenn die Hände symmetrisch bewegt werden, sind sie aggressiver. Wenn sie nicht symmetrisch bewegt werden, sind sie mehr entgegenkommend. Es gibt also eine evolutive Wurzel von Körpersprache, die dann durch Tradition und Sozialisation kulturell überbaut wird. Die Schulung durch den Choreografen ist ein starker Prozess des Nachdenkens. Da gibt es auch symbolhafte Übertragungen oder Gedächtnisstützen, und die sind nur dem Menschen möglich.

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Christine Theobald ist stellvertretende Intendantin und Betriebsdirektorin des Staatsballetts Berlin. -

© Sandra Hastenteufel

THEOBALD: Der klassische Bühnentanz ist artifiziell. Eine Kunstform. Doch da gibt es ja noch die Improvisation. Wenn Sie Menschen tänzerisch improvisieren lassen – das wird gerne auch in der Tanztherapie genutzt – können sich die Emotionen äußern. Wir haben das mit behinderten Kindern gesehen: Kinder, die sonst nicht in der Lage waren, sich zu freuen oder überhaupt emotionale Äußerungen zu tätigen, gelang das mit Hilfe des Tanzes! Also es gibt etwas, was direkt und unmittelbar wirkt.

MENZEL: Bei Tieren gibt es etwa in der Kommunikation zwischen den Geschlechtern auch sehr komplizierte Tanzformen, die Mitteilung über den Zustand des Partners machen. Auch die werden verstanden. Aber Tiere dürfen den Ablauf der Bewegungen nicht verändern! Der muss genetisch festgelegt sein, damit sich Weibchen und ein Männchen gleich eindeutig verstehen. Trotzdem muss der Ablauf natürlich im Laufe der Evolution artspezifisch werden. Wenn jetzt plötzlich ein Männchen was tolles Neues entdeckt, dann besteht das Problem, dass es nicht mehr verstanden wird. Dann sind die Gene verloren. Es muss also immer genügend Urwissen mit in der Bewegung sein, damit sich das Weibchen auf jeden Fall überreden lässt.

THEOBALD: Den Fall gibt es auch bei uns, dass ein Publikum nicht versteht, was dort auf der Bühne gezeigt wird, weil es so neu, so revolutionär ist. Aber es gibt dann eine Entwicklung. Also man kann die Sehgewohnheiten eines Publikums mit der Zeit ändern. Die Einführung des Spitzentanzes wäre da ein Beispiel.

MENZEL: Zweifellos. Über kulturelle Evolution entwickeln die Leute einen Blick für Neues. Trotzdem muss immer noch etwas angesprochen werden, was tiefere Wurzeln erfasst. Gerade in der Übertreibung und Ritualisierung von Körperwissensvermittlung im klassischen Tanz kommen, glaube ich, die tierischen Wurzeln des Menschen zum Ausdruck: Wissensvermittlung durch reine Körperbewegung. Tanz beschreibt den Menschen nicht in erster Linie als Geist betontes Wesen. Er bekommt ein Wissen übertragen, ohne dass er nachdenken muss. Ein Vokabular von sicheren Mitteilungen gehört zum Tanz genauso dazu wie zur Sprache. Weiterentwicklung ergibt sich dann daraus, dass immer wieder etwas eingebaut wird, wo noch nicht so eindeutig klar ist: Wo führt das hin?

Wie funktioniert die Übertragung von Mitteilungen durch Bewegung?

MENZEL: Das Wissen muss nachvollziehbar sein. Das heißt, der Betrachter würde – wenn er geübt wäre – dieses Wissen mit seinem Körper genau so ausdrücken. Das ist dann das Verstehen. Im Bereich des vorderen, motorischen Zentrums des Gehirns erfolgt da mithilfe der Spiegelneurone eine unmittelbare Verkopplung zwischen dem eigenen Körperwissen und den motorischen Ausdrucksweisen. Wenn ich zum Beispiel ein Glas in die Hand nehme, dann werden die Neurone aktiv: Glas nehmen, Arme bewegen, zugreifen. Und genau dieselben Neurone werden aktiv, wenn ich sehe, dass ein anderer Mensch das auch macht. Das gilt auch für lange Serien von Tanzbewegungen. Man hat die Spiegelneurone von Tänzern untersucht: Wenn ein klassischer Tänzer bei einem anderen eine Figur sieht, die er gut geübt hat, dann reagieren seine zuständigen Spiegelneurone, die sonst bei ihm aktiv sind, wenn er die Figur selbst tanzt, ganz genauso stark.

THEOBALD: Das ist sehr spannend für uns, denn diese Erkenntnis hat Auswirkungen auf unsere Arbeit: Professor Martin Puttke hat jüngst das „DANAMOS – dance native motion system“ entwickelt. Das sagt im Prinzip: Ich kann einem Tänzer erst einmal eine Choreographie zeigen und er geht sie mental durch. Wenn ich ihm dann sage „Mach es nach!“, ist unsere Erfahrung: Er kann das! Bei diesem Vorgang werden offenbar gespeicherte Bewegungs-Cluster aktiviert. Die mentale Simulation von Bewegungen aktiviert die entscheidenden Areale im Gehirn. Das alles schließt natürlich nicht aus, dass physisches Üben diesen Vorgang konditionieren muss. Aber „DANAMOS“ könnte in seiner ganz anderen Herangehensweise als wir es aus der klassischen Vaganova Schule kennen, den Tanz in Training und Proben revolutionieren.

MENZEL: Vorausgesetzt, man meint mit dem Begriff „Vorstellen“ nicht ein Nachdenken über die Motorik im üblichen Sinne. Also nicht: Aha, ich muss erst das rechte und dann das linke Bein bewegen. Es ist mehr wie ein inneres Bild der Voraussetzungen für diese Bewegung. Der Bienentanz ist im Grunde genau das Gleiche: eine intendierte Bewegung. Die Biene würde ausfliegen, wenn sie jetzt nicht tanzen würde. Im dunklen Stock und auf der Vertikalen übersetzt sie den Flug in eine Symbolik, die mit dem Flug selbst nahezu nichts mehr zu tun hat. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt – auch wenn das jetzt reine Phantasie ist – dass die Bienen natürlich auch Spiegelneurone haben und dass sie damit sowohl ihren eigenen Flug wie ihren Tanz, als auch das Erkennen des Tanzes einer anderen Tänzerin verarbeiten. So können sie körperlich verstehen, was sie anderen mitteilen und was sie mitgeteilt bekommen. Das ist wie beim klassischen Tänzer.

- Randolf Menzel ist Zoologe und Neurobiologe und leitet die Arbeitsgruppe Neurobiologie im Institut für Biologie an der Freien Universität Berlin. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften.

Ingeborg Reichle

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