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Vernetzt. Ernst Fraenkel kehrte 1951 aus dem Exil zurück – an die Freie Universität Berlin. Er beeinflusste die US-Politik gegenüber den Westzonen.

© ullstein bild - Kurt Hamann

Exilforschung: Weimar und der Kalte Krieg

Vertriebene deutsche Intellektuelle prägten die US-Außenpolitik und damit auch die frühe Bundesrepublik.

„Die Musen fliehen Hitler“ – in dieses eingängige Bild kleidete 1980 eine amerikanische Publikation den nach Hitlers „Machtergreifung“ einsetzenden Exodus von Künstlern, Literaten und Wissenschaftlern. Bezeichnenderweise beschränken sich diese und zahllose weitere Veröffentlichungen zum Thema auf den Zeitraum bis 1945. Doch das Exil war nicht so schlagartig zu Ende, wie es für die meisten begonnen hatte. Und es bestand nicht nur aus Isolation und gepackten Koffern.

In den USA gab es eine Gruppe von Flüchtlingen, die nicht nur beruflich Fuß fassten, sondern darüber hinaus Stellungen im weitverzweigten Regierungsapparat von Präsident Roosevelt fanden. Ihr weit über das Stichdatum des 8. Mai 1945 hinausreichender Einfluss ist bei weitem nicht so gut untersucht wie das Exil selbst, dessen Verlauf und Lebensbedingungen. Doch gibt es eine Geschichte zwischen Exil und Nachwirkung im Aufnahmeland. Das betrifft vorwiegend die Vereinigten Staaten, waren die USA doch stets ein Einwanderungsland, das Neuankömmlinge zu integrieren verstand.

Vor allem in der Zeit des New Deal. Nicht nur in den Naturwissenschaften – mit dem bekannten Transfer etwa der Atomphysik –, sondern auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften fanden Flüchtlinge neue Beschäftigungen. Die herausragende Rolle von Alvin Johnson und der von ihm geleiteten New School for Social Research als „University in Exile“ ist gut dokumentiert. Darüber hinaus gibt es eine ausgesprochen heterogene Gruppe von Akademikern, die entscheidend an der Formulierung der amerikanischen Nachkriegspolitik beteiligt waren, wie sie seit den mittleren Kriegsjahren entwickelt und ab 1945 ausgeführt wurde. Die deutschen Westzonen der Nachkriegszeit und die sich bildende Bundesrepublik werden gemeinhin als ein Ergebnis der Amerikanisierung gesehen. Viel entscheidender aber war der Einfluss von Intellektuellen der Weimarer Zeit, die meist zugunsten der marxistisch orientierten Forscher um das emigrierte Frankfurter Institut für Sozialforschung übersehen werden.

So jedenfalls lautet die provokante These von Udi Greenberg (Jerusalem), der derzeit eine umfassende Studie zum Thema „Cold War Weimar“ erarbeitet. Greenbergs Argumentation, die er kürzlich bei einer Tagung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte und des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg vorstellte: Intellektuelle der Weimarer Republik waren entscheidend an der Formulierung der amerikanischen Politik im Kalten Krieg beteiligt. Das politische Denken der Weimarer Epoche war prägend für das der amerikanischen Nachkriegszeit. Und Politikwissenschaftler wie Ernst Fraenkel bewegten die sozialdemokratische Linke in der jungen Bundesrepublik zur Unterstützung von USA, Nato und Kaltem Krieg.

Doch auch das zunächst in Paris, dann in New York und schließlich in Kalifornien beheimatete „Institut für Sozialforschung“ unter der Leitung Max Horkheimers unterhielt, seinem Selbstbild der geistigen Isolierung in Amerika zum Trotz, enge Kontakte zu amtlichen Stellen und den an Politikberatung maßgeblich beteiligten Stiftungen. Darauf hat unlängst der amerikanische Historiker Thomas Wheatland in seinem Buch „The Frankfurt School in Exile“ aufmerksam gemacht. So galt etwa das vom American Jewish Congress angeregte und von Adorno seit 1944 mitgeleitete Projekt der „Studies in Prejudice“ (Studien zum Vorurteil), aus dem die Veröffentlichung über die „Authoritarian Personality“ (Autoritäre Persönlichkeit) hervorging, als Beitrag zur „psychologischen Kriegsführung“ der USA.

Beispielhaft für das Fortwirken des Weimarer Denkens steht indessen Ernst Fraenkel, der nach seiner Rückkehr 1951 Professor an der Freien Universität wurde und dort das John-F.-Kennedy-Institut gründete. Als juristischer Berater der SPD vor 1933 hatte er die unversöhnliche Spaltung der damaligen Arbeiterklasse erlebt, im amerikanischen Exil hingegen das, was er später als „Kollektive Demokratie“ theoretisch ausformulierte – heute würde man treffender vom „Wohlfahrtsstaat“ sprechen. Sein Einfluss auf die US-Politik gegenüber den Westzonen war erheblich, noch stärker aber jener auf die anfangs in Weimarer Sozialismusvorstellungen befangene bundesdeutsche Sozialdemokratie auf ihrem Weg zum Godesberger Programm von 1959. Die dort vollzogene Anerkennung der Sozialen Marktwirtschaft sowie von Westbindung und Nato entspricht dem westlich-liberalen Credo der meisten Exilanten.

Carl Joachim Friedrich hingegen, der seit 1936 in Harvard „Science of Government“ lehrte, gilt als Mitschöpfer der Totalitarismustheorie. Diese beherrschte weniger das Denken der Regierungsbehörden als vielmehr das der Öffentlichkeit. Gleichwohl bildete der von Friedrich in Anlehnung an Kategorien von Carl Schmitt und mithin im intellektuellen Klima der Weimarer Republik geschaffene Totalitarismusbegriff den „zentralen Bezugsrahmen des Kalten Krieges“ mit der Sowjetunion, der gegenüber es keinen „neutralen Standpunkt“ geben könne. Friedrichs Haltung beeinflusste das Selbstverständnis der amerikanischen Intellektuellen hinsichtlich ihrer eigenen Rolle im politischen Prozess. Und dies, betonte Greenberg, sei „das bedeutendste Erbe des Denkens der Weimarer Zeit“. Personifiziert wird diese Erbschaft durch keine Geringeren als den späteren Außenminister Henry (Heinz) Kissinger aus Fürth, der bei Friedrich studierte, und den späteren Nationalen Sicherheitsberater Zbigniew Brezinski, den Mitautor seines Buches „Totalitarian Dictatorships and Autocracy“ von 1956.

Kam Friedrich von konservativer Seite her, so kam Herbert Marcuse von der Linken: Er, der in den späten sechziger Jahren der Heros der weltweiten Studentenbewegung war, hatte bekanntlich lange Jahre im US-Außenministerium gearbeitet. Dort leitete er bis 1954 die Abteilung Weltkommunismus. Gemeinsam mit dem höchst einflussreichen Russian Research Center der Harvard Universität implementierten Marcuse und das State Department die Methoden der modernen Sozialwissenschaft, die gleichfalls der Weimarer Zeit entstammt.

Das Netz, das die emigrierten Wissenschaftler verband, war erstaunlich dicht geknüpft. Die historische Konstellation des Krieges und des ungeheuren Bedarfs an Wissen brachte die Refugees in Kontakt mit dem expandierenden Regierungsapparat und den Think Tanks im Umfeld der großen Universitäten und Stiftungen. So wurde die Emigration der deutschen Sozial- und Politikwissenschaft nach 1933 zu einem überaus mächtigen Impuls für die amerikanische Politik der Nachkriegszeit. „Bonn ist nicht Weimar“, so der zum geflügelten Wort gewordene Titel eines Buches von 1956. Aber dass Bonn, dass die Bundesrepublik viel mehr von Weimar erhielt, als es in der Deutschen Öffentlichkeit je den Anschein hatte, gehört zu dem immer noch unterschätzten Weiterwirken der verjagten Intellektuellen. Die Exilforschung ist bei weitem nicht abgeschlossen.

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