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Exzellenz-Initiative: Elite mit Problemen

Zu viel Nachwuchs, zu wenig Lehre: Experten kritisieren „unerwünschte Effekte“ der Exzellenzinitiative - und fordern Änderungen für die zweite Runde des Wettbewerbs. In der ersten habe oft der Zufall entschieden.

In diesen Tagen steigt das Wettbewerbsfieber an den deutschen Universitäten. Die nächste Runde der Exzellenz-Initiative steht vor der Tür: Im Herbst startet die heiße Phase für die zweite Auflage des milliardenschweren Wettbewerbs, der wie kein anderer die Wissenschaft und die Öffentlichkeit elektrisiert hat. Die Hoffnungen, die sich an die Initiative knüpfen, sind enorm: Die siegreichen Hochschulen – zumal die bereits gekürten neun Elite-Universitäten – sollen international sichtbarer werden, der Forschung ein enormer Schub gegeben werden.

Doch hat der Aufbruch nach der ersten Runde wirklich stattgefunden? Wie wirkt sich der Wettbewerb auf das deutsche Wissenschaftssystem aus? Diesen Fragen sind seit der ersten Entscheidung vor drei Jahren Forscher der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften nachgegangen. Das Fazit fällt ambivalent aus: „Die Exzellenz-Initiative ist gut, aber es geht noch besser“, sagte der Politikwissenschaftler Stephan Leibfried am Montag bei der Vorstellung der Ergebnisse.

Zwar loben die Autoren die „große Mobilisierungswirkung“ des Wettbewerbs, die Vielzahl institutioneller Neuerungen sowie die freigesetzte Kreativität. Es sei ein „Experimentierfeld“ entstanden, das im internationalen Vergleich seinesgleichen suche, heißt es. Die bisher erzielten Ergebnisse seien „respektabel“, es habe sich gezeigt, dass Bund-Länder-Programme tatsächlich funktionierten, sagte Akademiepräsident Günter Stock. Doch warnen die Wissenschaftler, dass sich bereits jetzt „nicht gewollte Nebenwirkungen“ erkennen lassen, die Exzellenz-Initiative über das Ziel hinausschießen könne.

Wie nah Erfolge und Gefahren beieinanderliegen, kann man bei der Förderung des Nachwuchs sehen. Die Exzellenz-Initiative wirkt wie ein Jobmotor. 4057 Forscher wurden nach einer Erhebung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Wissenschaftsrats aus den Fördermitteln eingestellt, mehr als die Hälfte Doktoranden. Ein Segen für Nachwuchsforscher, loben die Autoren, lebte doch der wissenschaftliche Nachwuchs bisher oft in prekären Verhältnissen.

Andererseits könne das Pendel auch bald wieder zurückschlagen. Womöglich werden zu viele hochspezialisierte Forscher ausgebildet, die nach Ablauf der Förderperiode gar nicht anderswo eingesetzt werden können. „Viele Hochschulen werden es daher möglicherweise längerfristig mit einem Überhang an überspezialisiertem Forschungsnachwuchs zu tun haben“, heißt es.

Die Fokussierung der Unis auf die durch die Exzellenz-Initiative geförderten Forschungsschwerpunkte berge noch andere „Konfliktpotenziale“. Nicht geförderte Fächer würden zwangsläufig leiden und zugunsten der neuen Exzellenzbereiche beschnitten. „Kleine Fächer könnten auf Dauer systematisch benachteiligt werden“, sagte der Sozialwissenschaftler Michael Zürn. Eine Universität brauche aber auch in Zukunft ein differenziertes Fächerspektrum, zumal abzusehen sei, dass sich die in den Clustern (große, interdisziplinäre Forschungsvorhaben) beackerten Fragen irgendwann erschöpfen, heißt es. Auch im Hinblick auf die Lehraufgaben der Hochschulen müsse sichergestellt bleiben, dass bundesweit ein „hinreichend breites, disziplinär aufgefächertes Spektrum an Kompetenzen vorhanden ist“, mahnt der Sozialwissenschaftler Friedhelm Neidhardt in einem Beitrag.

Weitere Spannungen innerhalb der Unis entstehen durch neue Gremien, etwa Exzellenzräte oder Vorstände von Clustern, die die traditionellen Gremien wie die akademischen Senate überlagern und womöglich auch übergehen. Die Unis müssten aufpassen, dass nicht „sich blockierende Parallelstrukturen entstehen und administrative Strukturen aufgebläht werden“, warnen die Verfasser.

Als Verlierer wird die Lehre gesehen. Sie spielte in der Exzellenz-Initiative keine Rolle, bis heute wurde von der Politik kein ernsthaftes Konzept vorgelegt, wie die Unterfinanzierung der Lehre angepackt werden kann. Vielmehr überlegten sich viele Hochschulen, wie sie ihren Spitzenwissenschaftlern noch mehr Freiräume für ihre Forschung schaffen.

Sechs der neun Elite-Unis haben „Institutes for Advanced Studies“ eingerichtet, in denen sich Wissenschaftler ungestört von anderen Aufgaben in ihre neuesten Projekte vertiefen können. Die Unis würden so „hochkarätige Spitzenforscher nachgerade dazu einladen, ihren Lehrverpflichtungen zu entfliehen“, kritisiert der Soziologe Ulrich Schreiterer. Solche Institute bieten inzwischen so viele Plätze, „um alle exzellenten Forscher an den deutschen Universitäten auf Dauer aufzunehmen, wenn sie denn nur wollten“. Die Vernachlässigung der Lehre konterkariere langfristig die Ziele der Exzellenz-Initiative: Wer keine guten Studierenden hervorbringt, bekommt auch ein Problem mit dem Forscher-Nachwuchs.

Die Lehre soll in der nächsten Runde ein größeres Gewicht bekommen. Die Unis sind aufgerufen, „innovative Lehrkonzepte“ vorzulegen. Finanziert werden diese aus den Elite-Geldern aber nicht, der Bund darf nicht direkt in Lehrprojekte investieren. In dieser Woche beraten DFG und Wissenschaftsrat mit der Politik über die Ausgestaltung der Kriterien.

Gespannt dürften Forscher auch beobachten, wie weit das Verfahren im Vergleich zur ersten Runde insgesamt verändert wird. Damals gab es massive Kritik. Aus den geheimen Sitzungsunterlagen entstand der Eindruck, dass einigen Elite-Universitäten über die Ziellinie geholfen wurde. Michael Zürn, der damals in der entscheidenden Kommission saß, bestätigte, dass das Verfahren verbesserungswürdig ist. Es habe zwar „keine drastischen Fehlgriffe“ gegeben, ob die Sieger aber wissenschaftlich die Besten waren, sei „nicht wirklich gesichert“.

So hätten die Gutachter nie geklärt, ob die Qualität der Anträge die entscheidende Rolle spiele – oder vorangegangene Leistungen der beteiligten Forscher. Bei der Entscheidung zog die Kommission oft unterschiedliche Kriterien heran. „Gleiche Fälle sind nicht immer gleich behandelt worden“, schreibt Zürn in seinem Beitrag. Bei den Forschungsclustern und Graduiertenschulen spielte der Zufall eine „unangemessen“ große Rolle. Aufgrund des Zeitdrucks mussten sich die Kommissionsmitglieder darauf verlassen, was ihnen ein Berichterstatter aus den jeweiligen Fächern über die Qualität der Anträge erzählte. Wie der Berichterstatter vorgetragen habe, welchen Enthusiasmus er an den Tag legte, entschied oft über Sieg und Niederlage – was vor allem die Naturwissenschaften bevorzugte, weil die aufgrund ihrer Fachkultur zu eindeutigeren Bewertungen neigten als etwa die Sozialwissenschaften.

Für die nächste Runde schlägt Zürn daher „Wissenschaftsbereichskörbe“ vor: Die Fächer sollten zunächst unter sich ausmachen, welche Anträge die besten sind. Die Kriterien für die Entscheidungen sollten im Vorfeld „explizit gewichtet“ werden. Insgesamt müsse sich die Kommission deutlich mehr Zeit nehmen. Die Exzellenz-Initiative habe es verdient, Defizite „mutig zu beheben“, um ein langfristiger Erfolg zu werden.

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