zum Hauptinhalt
Forschen in der Gruppe. Das ist auch für Geisteswissenschaftler das Richtige, sagt FU-Präsident Peter-André Alt.

©  Peter Himsel

Exzellenz-Initiative: Wie die Freie Universität Eliteuni bleiben will

Lange galt die Freie Universität Berlin als verlottert. Doch sie raffte sich auf, wurde 2007 sogar Eliteuni. Das erzeugt manchmal Reibungen. Jetzt fiebert die Uni der Entscheidung in der zweiten Runde des Wettbewerbs entgegen.

Würde man der Freien Universität einen Körperbau zuordnen, es wäre der einer Triathletin im Hochleistungssport: Arme und Beine strotzend vor definierten Muskeln, der Bauch ein Sixpack, kein Gramm überflüssiges Fett dank Vitaminshakes und magerem Hüttenkäse.

Die ganze Uni, so hat es den Anschein, trainiert unablässig in Forschung, Lehre und Verwaltung, das Siegertreppchen im nächsten Wettkampf fest im Blick: Die Fachbereiche eifern ihren Zielvereinbarungen nach und wollen bei der internen Mittelverteilung nach Leistung die Nase vorn haben. Doktoranden werden in Graduiertenschulen rundum fit gemacht. Professoren stürzen sich in Ideenwettbewerbe, um neue Sonderforschungsbereiche an Land zu ziehen. „Strategische Zentren“, ein „Exzellenzrat“ und ein „International Council“ arbeiten unablässig daran, die Forschungsstärken aller FU-Wissenschaftler zur Geltung zu bringen, zugleich sondieren sie weltweit die neuesten Trends und suchen neue Partner. Die Steuerung übernimmt die Stabsstelle des Präsidenten. Als die Uni neulich meldete, sie sei „niedriger, langsamer, nachhaltiger“ geworden, ging es nur um die Senkung ihres Energieverbrauchs „zum elften Mal in Folge“.

An der FU scheint alles in schneller Bewegung, nichts dem Zufall überlassen. Neu erfunden hat sie so ihr damaliger Präsident Dieter Lenzen („Professor Speed“), heute Uni-Chef in Hamburg. Unter Lenzen vollbrachte die FU im Jahr 2007 das Wunder, anstelle der allenthalben als Berliner Favoritin geltenden Humboldt-Universität in die Hall of Fame der deutschen „Eliteunis“ einzuziehen.

Am 15. Juni wird sich zeigen, ob die FU ihren Status gegen 15 Konkurrentinnen verteidigen kann. Dann fällt in Bonn die vorläufig letzte Entscheidung im Exzellenzwettbewerb von Bund und Ländern. Für die FU steht einiges auf dem Spiel. Es geht um viel Geld – um bis zu 42 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre. Vor allem aber geht es um das neue Image der FU als deutsche Spitzenuni. Und um ihr neues Selbstbewusstsein. Beides hat sie sich in existenzieller Not über Jahre hart erarbeitet.

Peter-André Alt, Präsident der FU.
Peter-André Alt, Präsident der FU.

© Bernd Wannenmacher

Lange galt die FU als Couchpotato. In den siebziger und achtziger Jahren wurde sie lahmgelegt von der Politisierung nach 1968, der Unterfinanzierung und den Studierendenmassen – Anfang der neunziger Jahre hatte sie über 60 000 Studierende. Die riesigen Geisteswissenschaften etwa konnten keinen der angesehen Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gewinnen. Der Konstanzer Philosoph Jürgen Mittelstraß, der kurz nach der Wiedervereinigung Berlins Hochschulen untersuchte, sagte über die Gremien der Uni: „Beschlussunfähigkeit scheint das Schicksal der FU zu sein.“

Gesine Schwan schilderte als FU-Professorin 1997 einen Albtraum im Tagesspiegel: Ein reitender Bote verkündet, dass die FU vom Senat geschlossen wird: „Da bin ich aufgewacht.“ Tatsächlich war die FU in ihrer Existenz bedroht. Die Politik wollte die Stunde null nach der Wende nutzen, um die Humboldt-Universität zu Berlins Vorzeigeuni aufzubauen – auch auf Kosten der aufgeblähten FU. Dramatische Sparrunden folgten. Die FU rettete sich im Laufe der Neunziger durch einen Sprung nach vorn: Sie straffte die inneren Entscheidungswege, schärfte ihr Profil, begann, Leistung zu belohnen und phlegmatische Fachbereiche finanziell zu stimulieren.

Das Ergebnis: Von ihren 730 Professuren im Jahr 1992 hat die FU heute nur noch 342 (ohne Medizin und Juniorprofessuren). Auch die Studierendenzahl ist mehr als halbiert. Doch die FU liegt im DFG-Ranking bundesweit auf Platz 1 in den Geistes- und Sozialwissenschaften, in den Natur- und Lebenswissenschaften unter den ersten zehn und hat bundesweit die meisten der renommierten Humboldt-Stipendiaten. Als die FU „Elite“ wurde, tönte aus dem Präsidialamt Beethovens Neunte.

Und jetzt, fünf Jahre später? Wie hat die FU ihren Erfolg verkraftet? Wer zum Präsidenten will, muss vorbei an einer Vitrine mit FU-Trophäen. In der Warteecke auf dem Flur sitzen Besucher neuerdings auf runden Kissen in den FU-Farben: „FU-Grün und FU-Blau“, wie man im Präsidialamt sagt. Die Wartezeit verkürzt die Lektüre der Urkunden an den Wänden: Die FU ist „Mitglied im Best Practice Club ,Familie in der Hochschule’“, „Gewinnerin Infopark Web-Dialog Award 2010“, „Familiengerechte Hochschule 2010“ sowie „Hochschule des Spitzensports 2010“, ist zu erfahren. – „Wir können was!“, lautet die Botschaft auch von Peter-André Alt, FU-Präsident seit dem Sommer 2010.

Alt wurde von manchen in der Hoffnung gewählt, dass er das scharfe Tempo seines Vorgängers etwas drosselt, die Uni nach dem Antragsstress im Elitewettbewerb zur Ruhe kommen lässt und einen weniger selbstherrlichen Ton anschlägt. Tatsächlich tritt Alt erheblich zurückhaltender auf als sein Vorgänger, weniger raumgreifend und auch weniger angriffslustig: „Mit ihm kann man ganz anders kommunizieren, das Verhältnis ist sehr vertrauensvoll. Er macht überhaupt eine sehr gute Figur“, sagt ein Professor. Lenzens Tempo und Kurs hat Alt jedoch beibehalten: „Wir sind mit Volldampf unterwegs“, sagt er.

Genau das passt aber den linken Eliteskeptikern nicht, die momentan im Akademischen Senat die Mehrheit haben. Sie wollen keine stromlinienförmige „ökonomisierte“ und „undemokratische“ Uni und treten darum immer wieder auf die Bremse – zum Kummer von Professoren, die gerne schnell unterwegs sind: „Das geht völlig an den Interessen der FU vorbei“, sagt etwa die Theaterwissenschaftlerin Doris Kolesch, Dekanin des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften.

Nächste Seite: Spannungs-Verhältnis zu Exzellenz-Professoren, die sich in "gated communities" einschließen

Auch manche exzellenzfreundliche Wissenschaftler erleben die Uni aber bisweilen als „Zweiklassengesellschaft“, in der Exzellenzforscher „mit fliegenden Rockschößen“ der Lehre entfliehen und sich in ihren Exzellenztrakt in der Rostlaube einschließen wie in eine gated community. Professoren, die nicht in Exzellenzprojekten mitarbeiten, darum aber nicht minder „exzellent“ seien, dürften nicht wie ihre Kollegen mit einer deutlich ermäßigten Lehrverpflichtung rechnen, wird kritisiert. Doch den Studierenden sind noch mehr Freistellungen kaum zuzumuten: In manchen Fächern mangelte es wegen der Lehrermäßigungen für „Exzellenz“-Professoren bereits an Prüfungsberechtigten, noch immer kann es in der Lehre gelegentlich „zu Engpässen“ kommen, gibt Peter-André Alt zu.

Den Exzellenzwettbewerb stellt er dennoch nicht infrage. Im Gegenteil. Er fände es „sinnvoll“, würden die jetzigen Exzellenzunis alle zehn Jahre wieder gegeneinander ins Rennen geschickt – vorausgesetzt, der Aufwand für die Anträge wird verringert. Und Forschung in großen Verbünden, in Sonderforschungsbereichen oder gar in „Clustern“, sei durchaus auch für Geisteswissenschaftler das Richtige: „Ich habe selbst unendlich viel davon profitiert“, sagt Alt, ein sehr angesehener Germanist. „Einzelkämpfer“ seien „nicht zeitgemäß“. Sie schwebten in Gefahr, sich „zu isolieren“ und mit ihrem Fach an der Uni „auf der Strecke zu bleiben“. Solches Verhalten gehöre eher der Vergangenheit an: „Die jüngere Generation glüht vor Ideen für die Zusammenarbeit“, sagt Alt.

Der wissenschaftliche Nachwuchs steht denn auch im Mittelpunkt des „Zukunftskonzepts“, mit dem die FU ins aktuelle Exzellenzrennen gezogen ist. Für die Doktoranden ist bereits in den vergangenen fünf Jahren die „Dahlem Research School“ (DRS) entstanden, fortan soll sie auch Post-Docs unterstützen.

Mit der Gründung der Doktorandenschule liegt die FU voll im Trend. Als problematischer erwiesen sich die beiden anderen großen Säulen, auf denen ihr „Zukunftskonzept“ ruht: das Center for Cluster Development (CCD) und das Center for International Cooperation (CIC). Mit den beiden „Strategischen Zentren“ schuf die FU in ihrer Mitte große Verwaltungseinheiten mit Dutzenden von neuen Mitarbeitern. Beide Center sollten neuartige Serviceleistungen für die FU-Wissenschaftler anbieten – indem sie helfen, Forschungsschwerpunkte und internationale Projekte anzuschieben. Das gefällt den Professoren durchaus: „Sehr dynamisch, unkompliziert und sehr hilfreich“ seien die „Strategischen Zentren“, sagt Paul Nolte, Professor für Neuere Geschichte. Die Theaterwissenschaftlerin Kolesch möchte auf die Leistung der Zentren „nicht mehr verzichten“.

Doch leider rieben sich die „Zentren“ an der herkömmlichen FU-Verwaltung mit den Abteilungen für Forschung und Internationales – organisatorisch wie zwischenmenschlich. Die „Spannungen“ zwischen den alten und den neuen Strukturen seien mittlerweile durch „Routinen“ und „Abstimmungen“ beseitigt worden, sagt Alt, das CIC und das CCD seien eine „Erfolgsgeschichte“: „Kleinere Kombos wären untergegangen.“ Mittelfristig sollen die neuen Zentren als think tanks eng mit der Verwaltung verzahnt werden.

Nächste Seite: Wie die Stimmung vor der Entscheidung am 15. Juni ist.

Dass die FU ihr „Zukunftskonzept“ so stark auf die Verwaltung ausgerichtet hat, schont nun jedenfalls ihre Nerven. Denn sie hat nicht, wie viele andere Unis, Dutzende von Professuren mit Exzellenzmitteln eingerichtet, die aus Bordmitteln verstetigt werden müssen, wenn das Exzellenzgeld versiegt. Eine neue Sparrunde würden die Fachbereiche der FU auch nicht verkraften: „Wir haben nichts mehr abzuspecken“, sagt Alt. „Das Konzept ist klug.“

Rund um die FU grünt und blüht es, der Campus inmitten der Dahlemer Villengegend ist im Mai am schönsten. Kaiser Wilhelm wollte hier ein „deutsches Oxford“ errichten und gründete die außeruniversitären Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. So liegen die Gebäude der 1948 mit amerikanischer Hilfe gegründeten FU oft nur durch einen Gartenzaun getrennt von den Instituten, die heute zur Max-Planck-Gesellschaft gehören. Alt will, dass Wissenschaftler die Zäune im Zuge des Exzellenzwettbewerbs von beiden Seiten überklettern. Gemeinsame Juniorprofessuren, Doktorandenprogramme und Projekte sind geplant. Ein gemeinsamer „Campus Dahlem“ entsteht, der „Identität stiftet“, wie ein Professor schwärmt. Würde man in der Königin-Luise-Straße statt neuer Reihenhäuser lieber ein neues Studierendendorf bauen, wäre das Umfeld perfekt, sagt er.

Wird die FU am 15. Juni in der Exzellenz-Liga bleiben können? Mit „bräsigem Selbstbewusstsein“ gehe man nicht in die Entscheidung, ist zu hören. „Wir zittern aber auch nicht.“ Und wenn es nicht klappt – vielleicht, weil die Humboldt-Universität der FU den Platz mit ihrem in der Politik gut vernetzten Präsidenten wegschnappt, wie an der FU geargwöhnt wird? Das wäre nicht mehr so schlimm, wie es vor fünf Jahren gewesen wäre, sagt einer: „Niemand zweifelt mehr an uns. Die FU ist kein Patient am Tropf der Exzellenzinitiative. Sie ist kerngesund.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false