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Bundespräsident Wulff will, dass Mauern zwischen Fachbereichen fallen.

© dapd

Falling Walls-Konferenz: Neugierig bleiben!

Am Tag, an dem die Castoren durchs Wendland rollen, steht Joachim Knebel im Berliner Radialsystem und erklärt, wie sich die Gefährlichkeit stark nuklearer Abfälle drastisch reduzieren ließe.

Hierzu werden in einem „beschleunigergetriebenen System“ durch Beschuss mit hochenergetischen Neutronen die „radiotoxischen“ Stoffe, nämlich Plutonium und die Minoren Actinide, verbrannt, erklärt Knebel, Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie und Sprecher des Helmholtz-Programms für Nukleare Sicherheitstechnik.

Bei diesem Prozess wird sogar noch Energie gewonnen. „Plutonium ist kein Abfall, sondern ein Wertstoff“, sagt der 48-Jährige später im Gespräch. „Wenn wir Colaflaschen recyceln, sollten wir es auch mit Atommüll tun.“ Die Menge an Restabfall sei vergleichsweise stark reduziert, strahle weniger und gebe weniger Wärme ab. Endlager brauche man dafür allerdings immer noch.

Es ist der wohl aktuellste Durchbruch, der auf der „Falling Walls“-Konferenz präsentiert wird. Das Treffen, das im vergangenen Jahr zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls erfunden wurde, widmet sich auch diesmal bevorstehenden Revolutionen – in Energie, Chemie, Pädagogik, Geschichte, Kommunikation, Medizin, Kunst und Wirtschaft. „Welche Mauern fallen als nächstes?“ ist die Leitfrage, der sich 20 internationale Wissenschaftler in jeweils 15-minütigen Vorträgen in englischer Sprache stellen. An symbolträchtigem Ort liegt das heutige Veranstaltungszentrum Radialsystem, ein ehemaliges Pumpwerk an der Spree, doch im einstigen militärischen Sperrgebiet der Hauptstadt der DDR.

Joachim Knebel erlaubt sich in seinem Vortrag keine politische Aussage. „Egal, wie man zur Kernenergie steht“, sagt er, „mit den Abfällen müssen wir umgehen.“ Bereits 2023 könnte eine erste Demonstrationsanlage in Betrieb gehen, die die Halbwertszeit des Atommülls von einer „geologischen“ Zeit von hunderttausenden Jahren auf eine „historische“ Zeit von etwa 500 Jahren senken könnte. Das Nuklearforschungszentrum im belgischen Mol habe sich bereits als Standort angeboten. Dies ist wohl ein Grund für die Anwesenheit des belgischen Premierministers und EU-Ratspräsidenten Yves Leterme.

Wie auch die Begrüßungsrednerin, Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), und Gastgeber Sebastian Turner benutzt Leterme die Mauermetapher, beschwört die noch einzureißenden „Mauern in den Köpfen“. Bundespräsident Christian Wulff mahnt mehr Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft an: „Es gibt zu viele, die sich hinter den Mauern ihres Fachbereichs verschanzt haben.“ Wulff fordert eine Öffnung Deutschlands für „die Besten der Welt“. Wissenschaftliche Institutionen müssten „international aufgestellt“ sein.

Die Konferenz erscheint da als der richtige Ausgangspunkt. Der Tag sei auch ein „wissenschaftliches Experiment“, sagt Sebastian Turner, Kuratoriumsvorsitzender der Falling-Walls-Stiftung. Erste Frage: „Wie viel kann ein Mensch an einem Tag lernen?“ Zweite Frage: „Können die Wissenschaftler das, womit sie sich schon ein Leben lang beschäftigen, in eine Viertelstunde packen?“ Um ihnen dabei zu helfen, wird bei Zeitüberschreitung ein lautes Räuspern aus den Lautsprechern eingespielt, als nächster Schritt tritt dann ein Mitarbeiter heran, um den Zeitsünder von der Bühne zu geleiten. Wenn das vorkommt, erzeugt es gute Laune im mit knapp 600 Gästen gut gefüllten Saal, ohnehin sind die meisten Präsentationen kurzweilig, und das liegt nicht nur an den persönlichen Ansätzen, den bunten Powerpoint-Präsentationen der Redner, sondern auch an ihren Themen.

Tania Singer vom Leipziger Max-Planck-Institut erklärt, dass Mitgefühl trainierbar ist. Julie Livingston von der Rutgers Universität plädiert dafür, Schmerzbehandlung in Entwicklungsländern zum politischen Thema zu machen – aus moralischen Gründen, aber auch aus gesellschaftlichen: Pflegepersonal und Angehörige würden entlastet. Yael Hanein von der Uni Tel Aviv präsentiert Retina-Implantate, die einmal Blinde wieder sehend machen könnten. „Neuroprothesen“ nennt Hanein die Silikonscheibchen, deren Elektrodenbeschichtung sich mit den Nervenzellen der Augen verbinden soll. Aktuell arbeite man daran, die Auflösung des entstehenden Bildes zu verbessern sowie geeignete Operationsmethoden zu entwickeln. Und der deutsche Pisa-Koordinator Manfred Prenzel von der TU München fordert Schulen, die nicht nur Lernergebnisse verbessern, sondern auch langfristig die Lernmotivation aufrecht erhalten. Wie das geht? Besserer Unterricht! Öffnung der Schulen in die Welt! Neugierig bleiben! Zumindest die „Falling Walls“-Konferenz regt dazu an.

Die erste Konferenz vor einem Jahr wurde von der Einstein-Stiftung veranstaltet. Sie markierte den offiziellen Start der Stiftung für die Förderung der Spitzenforschung in Berlin – und gilt als einer ihrer wenigen sichtbaren Erfolge. In diesem Jahr tritt jedoch die eigens gegründete „Falling Walls Foundation“ als Veranstalterin auf, die Einstein-Stiftung nur noch als eine Unterstützerin unter vielen. Andere Sponsoren hätte man sonst nicht gewinnen können, erklärte Sebastian Turner, der auch Mitglied im Vorstand der Einstein-Stiftung ist. Jan Oberländer

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