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Kosmische Evolution. Über Anfang wie Ende des Universums gibt es mehrere Theorien. Vielleicht gelingt es bald, die richtige herauszufinden, hofft der Physiker Jean-Luc Lehners.

© Nasa/Esa

Falling Walls-Konferenz: Sex, Daten und das Universum

Wissenschaftliche Durchbrüche im 15-Minuten-Takt: Bei der Falling Walls-Konferenz in Berlin werfen Forscher einen Blick über die Mauer, die sie von der Zukunft trennt.

Wenn ein Mensch „mit dem Kopf durch die Wand will“, ist das meist negativ gemeint. Aber die „Falling Walls“-Konferenz in Berlin, die am gestrigen Mittwoch zum dritten Mal stattfand, ist Menschen gewidmet, die genau das vorhaben, zumindest im übertragenen Sinne. In 15-minütigen Vorträgen sollen Wissenschaftler skizzieren, welche metaphorische Mauer sie mit ihrer Forschungsarbeit durchbrechen wollen. Ort und Zeit sind bewusst gewählt: Pünktlich zum 9. November soll jedes Jahr an den Fall der Mauer erinnert und gleichzeitig in die Zukunft geschaut werden. Und die Konferenz findet im Radialsystem V statt, einem alten Pumpwerk an der Spree, einst im militärischen Sperrgebiet der geteilten Stadt gelegen.

Den Sex erklären

Der britische Evolutionsbiologe Nick Barton vom Österreichischen Institute of Science and Technology beschäftigte sich mit der Frage, wie die Evolution so viele Mauern durchbrechen konnte, wie sie die Vielfalt hervorbringen konnte, die wir heute sehen: die Augen einer Eule, die schon auf wenige Lichtteilchen reagieren, die komplexe soziale Struktur eines Bienenvolkes oder die ungeheure Kapazität des menschlichen Gehirns. Bartons Antwort: Sex.

Dabei ist die sexuelle Fortpflanzung eigentlich ungeheuer kostspielig. Die Lebewesen müssen erst Zeit darauf verwenden, einen Partner zu finden und dann darauf, sich zu paaren. Dabei können Krankheiten und Parasiten übertragen werden und außerdem wird das Erbgut zweier Lebewesen in den Nachkommen zusammengewürfelt, was zu vielen Fehlern führen kann. Wie unter diesen Umständen Sex entstehen konnte sei wirklich ein Rätsel, sagte Barton, um dann seine Antwort zu geben: Sex ist so erfolgreich, weil er es ermöglicht, verschiedene vorteilhafte Anpassungen zusammenzubringen.

Von allen denkbaren Gensequenzen seien nur einige wenige von Vorteil für den Organismus, erklärte Barton. Geschlechtliche Fortpflanzung erlaube es, solche vorteilhaften Sequenzen, die in verschiedenen Individuen entstanden sind, zusammenzubringen und beschleunige so die Evolution. Darum könnten sich solche Lebewesen schneller anpassen. Bisher sei das aber nur mathematisch gezeigt, schränkte Barton ein. Seine Hoffnung: Mit den riesigen Mengen von Erbgutdaten, die nun erhoben werden, sollte es bald möglich sein, auch empirisch zu belegen, welchen Vorteil die geschlechtliche Fortpflanzung hat.

Den Datensalat anrichten

Mit riesigen Datenmengen setzte sich auch Anastasia Ailamaki von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne auseinander. Der technische Fortschritt, der alle 18 Monate zu einer Verdopplung der Leistungsfähigkeit von Rechnern führe, sei rasant, sagte die Computerwissenschaftlerin. Das einzige was noch schneller ansteige, sei die Menge an Daten, die vorhanden seien. Jedes Experiment, jede Videoaufzeichnung generiere große Datenmengen. So seien inzwischen Billionen Basenpaare vom Erbgut verschiedener Lebewesen gelesen und abgespeichert. Und immer neue Daten kommen hinzu: Ein neues Teleskop, das 2017 in Betrieb gehen soll, werde voraussichtlich jede Nacht 20 Petabyte, das sind 20 Millionen Gigabyte Daten, produzieren. „Ich finde es toll, dass wir so viel Daten erzeugen können, aber ich finde es nicht toll, dass wir sie nicht so verarbeiten können, dass sie der Menschheit nützen“, sagte Ailamaki.

Um die riesigen Datenmengen sinnvoll nutzen zu können, brauche es neue Algorithmen, die viele Prozesse parallel erledigten – und das sei nicht so einfach. Ein Sieben-Gang-Menü, für das ein Koch zehn Stunden benötige, lasse sich ja auch nicht in 15 Minuten kochen, wenn er 39 Köche zur Seite gestellt bekomme. Sie sei aber zuversichtlich, dass bald neue Methoden gefunden würden, um mit den Datenmengen umzugehen und so nicht nur eine, sondern zahlreiche Mauern zu durchbrechen.

Vor den Urknall blicken

Die Wand zu durchbrechen, die am Anfang der Zeit stehe, das sei sein Ziel, erklärte Jean-Luc Lehners vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. Der Physiker stieg mit der „größten Entdeckung der Astronomie im vergangenen Jahrhundert“ ein: der Erkenntnis, dass das Weltall sich ausdehnt. Dass das Universum laut seinen Formeln nicht still stehen konnte, war Einstein schon 1917 klar geworden. Er hatte diese Schlussfolgerung aber nicht akzeptiert und stattdessen seine Formel verändert. Erst 1929 gelang es Edwin Hubble zu belegen, dass das Universum sich tatsächlich ausdehnt und aus dem Blick zurück entstand die Idee eines Universums, das einst unendlich winzig und dicht war: der Urknall.

„Die Idee, dass das der Anfang von Zeit und Raum war, ist aber höchstwahrscheinlich falsch“, sagte Lehners. Zurzeit gebe es nur zwei Theorien, die sinnvoll seien: entweder das Universum sei kurz nach seiner Geburt plötzlich enorm gewachsen, die Inflationstheorie, oder das Universum sei zyklisch aufgebaut und es komme immer wieder zu einem neuen Urknall. Mit den heutigen Daten vertragen sich beide Theorien. Aber die kosmische Hintergrundstrahlung, eine Art Echo des Urknalls, könnte helfen zu entscheiden, welche richtig ist. Schon nächstes Jahr könnten neue Daten des Forschungssatelliten „Planck“, der diese Hintergrundstrahlung detaillierter als je zuvor vermisst, Aufschluss darüber geben.

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