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Zusammen wachsen. Die Charlotte-Salomon-Schule gilt als Vorreiter des Jahrgangsübergreifenden Lernens (JüL).

© Kai-Uwe Heinrich

Falsche Rückschlüsse?: Harsche Kritik an FU-Grundschulstudie

Eine Studie stellte den Berliner Grundschulen ein schlechtes Zeugnis aus und führte die Mängel auf Früheinschulungen und das Jahrgangsübergreifende Lernen (JüL) zurück - doch die Studie selbst gerät immer stärker in die Kritik.

Harsche Kritik an seiner Studie zu den Folgen der Berliner Grundschulreform muss sich Erziehungswissenschaftler Hans Merkens von der Freien Universität Berlin (FU) gefallen lassen. Das Berliner Institut für Schulqualität (ISQ) bescheinigt seiner Arbeit „mehrere Mängel“, somit fehle die Grundlage für die von ihm gezogenen Schlüsse. Ähnlich auf Distanz geht auch eine Stellungnahme des Grundschulforschers Hans Brügelmann von der Universität Siegen aus. Formal wird um Methoden gestritten, doch im Kern geht es darum, ob es richtig war, Fünfjährige in die Schule zu zwingen – und um das höchst umstrittene Jahrgangsübergreifende Lernen (JüL).

Merkens hatte kürzlich in seiner viel beachteten Studie „Schulkarrieren von Grundschulkindern unter schwierigen Umfeldbedingungen“ Leistungen in Lesen und Mathematik vor und nach der Grundschulreform verglichen, indem er die Datensätze zweier vorangegangener Studien gegenüberstellte. Dabei kam heraus, dass die Leistungen nachgelassen hatten. Merkens führte das darauf zurück, dass die Lehrer nicht genug fortgebildet worden seien, um die Herausforderungen der Früheinschulung und des JüL zu bewältigen. Viele Eltern und Lehrer sahen darin eine Bestätigung ihrer seit der Grundschulreform von 2005 vehement vorgetragenen Bedenken.

Die Bildungsforscher vom ISQ stellen Merkens Ergebnisse in einer mehrseitigen Stellungnahme grundsätzlich infrage. Seine Datenbasis sei für repräsentative Aussagen nicht ausreichend. Bestimmte Befunde würden deshalb „in ihrer Bedeutung überschätzt, obwohl sie rein zufallsbedingt sein könnten“. Zudem seien die Mathematiktests, deren Ergebnisse Merkens vergleicht, nicht identisch und seien auch über die verschiedenen Messzeitpunkte hinweg verändert worden, ohne dass dies in den Auswertungen berücksichtigt worden sei. Deshalb ließen sich keinerlei Aussagen zur Entwicklung der mathematischen Leistung machen, schon gar nicht seien diese zwischen den Studien vergleichbar. Rückschlüsse auf mögliche Effekte von Schulreformen seien daher „prinzipiell unmöglich“.

Noch immer keine Stellungnahme der Bildungsverwaltung

Die Zusammenschau dieser grundlegenden methodischen Mängel zeige, dass die Merkens-Ergebnisse „keinerlei wissenschaftlich-fundierten Aussagen darüber erlauben, ob die Schulreformen einen positiven, negativen oder gar keinen Effekt auf die schulische Leistungsentwicklung der Kinder hatten“, schreibt dass ISQ, das im Auftrag der Schulbehörden in Berlin und Brandenburg arbeitet.

„Dass die Stichproben nicht repräsentativ sind“, bestreitet Merkens nicht. Diese Behauptung werde in der Studie aber auch gar nicht aufgestellt. Das Fehlen einer ausreichenden Datenbasis sei aber nicht den Wissenschaftlern anzulasten, sondern „der Bildungspolitik, die es nicht für notwendig erachtet hat, gravierende Veränderungen in der Grundschule zu evaluieren“. Gleichwohl behauptet Merkens, sehr wohl belastbare Aussagen treffen zu können, da „die Zusammensetzung der Stichproben geprüft wurde“. Im Klartext: Laut Merkens sind die Klassen, deren Ergebnisse er ausgewertet hat, so zusammengesetzt, das sie allgemeine Rückschlüsse zulassen. Als „unzutreffend“ bezeichnete Merkens die Kritik des ISQ zum Mathematiktest. Demnach hält Merkens die von ihm diskutierten Ergebnisse sehr wohl für vergleichbar, betonte Merkens, der seit 1975 Empirische Erziehungswissenschaft an der FU lehrt.

Der Siegener Erziehungswissenschaftler Brügelmann setzt mit seiner Kritik an einem anderen Punkt an. Er wendet sich vor allem gegen Merkens’ Schlussfolgerungen. Es könnten ganz andere Gründe für den festgestellten Leistungsabfall der Schüler verantwortlich sein als die von Merkens unterstellten, sagte der Erziehungswissenschaftler auf Anfrage. Die Studie lasse die „monokausalen“ Schlüsse, die Merkens ziehe, gar nicht zu. Ein paar ausgewählte Variablen seien „zu grob für so komplexe Probleme“. Bildungsforscher sollten weniger Zeit mit „Zahlenspielereien“ verbringen und stattdessen in Schulen gehen und genauer hingucken, was im Alltag den Unterschied ausmacht, fordert Brügelmann.

Die Bildungsverwaltung hat – zehn Tage nach Erscheinen der Merkens-Studie – noch immer keine eigene Stellungnahme abgegeben. Stattdessen verwies sie am Montag auf die ISQ-Veröffentlichung. Auch zu dem Vorwurf, dass sie die Früheinschulung bis heute nicht evaluiert hat, gab es keine Reaktion.

Inge Hirschmann vom Grundschulverband nimmt Merkens’ Studie trotz der Kritik ernst. Fest stehe, dass die Lehrerinnen in den Berliner Grundschulen „erheblich mehr Unterstützung brauchen“. Es führe kein Weg daran vorbei, „auch der Weiterentwicklung der Grundschule wieder mehr Beachtung zu schenken“. Dies gelte umso mehr für Schulen mit einer großen Zahl von Kindern aus sozial belasteten Elternhäusern und Stadtteilen.

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