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Uni Oxford: Auf ins Studium? Wegen Sparmaßnahmen wird es auch an Großbritanniens Unis künftig mehr überfüllte Hörsäle und größere Lerngruppen geben.

© LAIF

Finanzierung: Englands Unis stehen vor dem Kollaps

In Großbritannien wollen mehr junge Leute an die Unis. Doch die Hochschulen müssen sparen. Die Experten debattieren über Akademikersteuer und weniger Studienplätze.

„Es wird hart“, warnte der konservative Universitätsminister David Willetts britische „Sixth Formers“, die sich in diesen Tagen um Uniplätze bewerben. „Es wird junge Leute geben, die keinen Platz bekommen, obwohl sie wirklich gute Schulabschlüsse haben.“ Über 660 000 Schulabgänger wollen an die Uni, 12 Prozent mehr als im letzten Jahr. Aber wegen harter Sparmaßnahmen gibt es weniger Studienplätze. Jeder sechste Studierwillige könnte es nicht an die Uni schaffen.

Geld ist knapp in Großbritannien. Die Hochschulen bangen um ihre Zukunft. Eigentlich sind sie eine Erfolgsstory. Vier der zehn besten Unis der Welt sind laut dem „Topuniversities Ranking“ britisch. Zusammen verfügten britische Unis im vergangenen Jahr noch über eine Rekordsumme von 25 Milliarden Pfund. Neben den Staatszuschüssen nahmen die Unis allein vier Milliarden von den 250 000 Nicht-EU Studierenden ein, die extrem hohe Studiengebühren zahlen. Einheimische und die über 100 000 Kommilitonen aus EU-Ländern studieren billiger – für derzeit 3290 Pfund pro Jahr, rund 4000 Euro. Aber das Geld reicht nicht. Auch in Großbritannien gibt es nun überfüllte Hörsäle, größere Studiengruppen, weniger Wahlmöglichkeiten. 30 Unis sollen in finanziellen Schwierigkeiten sein, sieben kurz vor dem Kollaps stehen: Sie geben deutlich mehr Geld aus als sie einnehmen.

Wirtschaftsminister Vince Cable vom liberaldemokratischen Koalitionspartner, der auch für Forschung und Hochschulen zuständig ist, warnte die Rektoren unverblümt. Hochschulen, die finanziell nicht zurechtkommen, werde man nicht mehr Geld überweisen. Sie würden vielmehr geschlossen oder privatisiert. „Wir sind ein ärmeres Land als vor zwei Jahren. Unis müssen sich fragen, wie sie für weniger Geld mehr leisten können.“

Die Regierung muss widersprüchliche Interessen jonglieren: Die Gesellschaft braucht gut ausgebildete Graduierte, kann und will sich diese aber nicht leisten. Studierende sollen so viel wie möglich selber bezahlen. Aber man braucht auch mehr soziale Mobilität und will den Hochschulzugang allen Schichten offenhalten. Ausländer sind wirtschaftlich einträglicher, aber britische Studenten dürfen nicht zu kurz kommen.

Nun sind an allen Fronten Reformen im Gange. Lange hieß die Zielvorgabe der alten Labour-Regierung: 50 Prozent eines jeden Jahrgangs sollen studieren. Labour selbst wies jedoch bereits im vergangenen Jahr die Hochschulen an, sie müssten 2010 die Zahl der Studienanfänger deutlich senken. Der Staatszuschuss für 2010 – die Regierung zahlt den Hochschulen das Geld pro Student – wurde dementsprechend verringert. Auch die neue Regierung aus Tories und Liberalen fühlt sich nicht mehr an das 50-Prozent-Ziel gebunden. Sie fordert kürzere und billigere Studiengänge mit mehr Internet- oder Fernunterricht.

Im Juli wurde nach dreißig Jahren wieder eine Privat-Uni lizenziert: Das Ausbildungsunternehmen BPP, 1976 als Buchhalterschule Brierley, Price, Prior gegründet, hat den Status eines „University College“ erhalten. BPP will medizinische und Lehrerstudiengänge anbieten. Studierende zahlen alles selbst. „Es ist gesund, wenn wir einen dynamischen Privatsektor haben, der parallel zu den traditionelleren Hochschulen arbeitet“, erklärte Universitätsminister Willetts.

Doch all dies sind Nebenschauplätze gegenüber dem Kernstreit, der die Universitäten wirklich umtreibt. Wie werden die Studenten in Zukunft an den Studienkosten beteiligt? Die Zeiten, in denen das Studium vom Steuerzahler finanziert wurde, sind vorbei. Graduierte verdienen im Laufe ihres Berufslebens durchschnittlich 100 000 Pfund mehr als nicht Graduierte. Es sei gesellschaftlich nicht mehr zu rechtfertigen, dass Steuerzahler diesen Mehrverdienst subventionieren, argumentieren alle Parteien. Auch das jetzige System der auf 3290 Pfund gedeckelten Studiengebühren sei für den Staat noch zu teuer. Deshalb berief die LabourRegierung bereits vor einem Jahr eine Kommission ein, die Empfehlungen geben soll. John Browne, früherer Chef der Ölfirma BP, soll im Oktober berichten.

Angeführt von Cambridge und Oxford würden viele Unis die Gebühren am liebsten selber festlegen, sprich: in den meisten Fällen erhöhen. „Studenten würden auf die Preise, höhere Qualität oder beides achten. Universitäten würden nach Möglichkeiten suchen, die Kosten zu senken. Unis würden ihre Resourcen besser nutzen“, glaubt Andrew Haldenby vom marktliberalen Think Tank „Reform“. Er beschreibt ein solches System als „Katalysator“ für eine Reformwelle.

Wie Haldenby glaubten viele, dass Lord Browne genau das im Herbst empfehlen würde. Dann schlug Wirtschaftsminister Cable aus heiterem Himmel eine Akademikersteuer und die Abschaffung der Studiengebühren vor. Labourlinke und Liberaldemokraten wie Cable, der einmal bei Labour war, halten Studiengebühren für eine Bildungsbarriere, unvereinbar mit dem Ziel sozialer Mobilität.

Eine Akademikersteuer könnte zusätzlich zur Einkommenssteuer erhoben werden, etwa 25 Jahre lang, sobald das Gehalt eines Hochschulabsolventen über dem Durchschnittsgehalt eines Akademikers liegt. Mit diesem Vorschlag will Cable Befürchtungen der Gewerkschaft der Universitätslehrer entgegentreten. Die Gewerkschaft wirft dem Minister vor, Hunderttausende nicht besonders gut verdienender Lehrer oder Krankenschwestern würden bei einer Akademikersteuer weit mehr an Steuern abführen, als ihr Studium kostet. Cable dagegen hält es für ungerecht, dass einkommensschwache Akademiker beim jetzigen System gleich viel bezahlen wie spätere Hochverdiener in Rechtsanwaltskanzleien und Banken.

Als 2004 das letzte Mal über die Studienfinanzierung diskutiert wurde, schloss man eine Graduiertensteuer aus, weil Steuerbefreiungen für niedrigere Graduierteneinkommen die Besserverdiener überproportional belasten würden. Gut verdienende Akademiker würden aus dem Land vertrieben, während ausländische Studenten von der Steuer gar nicht erfasst würden, so das Argument. Aber für Cable wäre eine Akademikersteuer „progressiv“. Damit meinte er, dass Lasten auf Besserverdienende umverteilt werden.

In den letzten Tagen wird immer deutlicher, dass Premier David Cameron auf Cables Vorschläge eingehen könnte. Er will den Liberaldemokraten, die in der Koalition immer mehr als Feigenblatt für die Tories gelten, das Leben erleichtern und sich selbst die politische Last einer unpopulären Erhöhung der Studiengebühren ersparen. Aber im Herbst wird darüber ein heftiger Koalitionsstreit ausbrechen. Liberaldemokraten wollen die Studienfinanzierung als Instrument der Sozialpolitik nutzen. Tory-Hinterbänkler dagegen sind entsetzt. Durch die Steuer würden Leistung und Erfolg bestraft, sagen sie – was allen Grundsätzen konservativer Bildungspolitik widerspreche.

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