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Ganz unten. Arbeitsfelder, auf denen Frauen arbeiten, trifft die Krise besonders. Das Foto zeigt Putzfrauen, die gegen ihre Entlassung aus dem griechischen Finanzministerium protestieren. Die neue Regierung hat sie wieder angestellt.

© picture alliance / dpa

Finanzkrise und Feminismus: Frauen zahlen den noch höheren Preis

Bei ihrem Treffen in Berlin kritisieren 350 feministische Ökonominnen die Austeritätspolitik der EU. Frauen und Männer sollen "in Würde" leben und arbeiten können

Konferenzpause im sonnigen Innenhof. Aus den verteilten Lunchpaketen fallen Trinkpäckchen: der rosaglitzernde „Elfentrank“ für Mädchen, der blaue „Monster-Alarm“ für Jungen. Irritation über die genderstereotype Masche der Getränkefirma bei den Anwesenden – handelt es sich bei ihnen doch um 350 feministische Ökonominnen (und ein paar Ökonomen) aus aller Welt, die an Berlins Hochschule für Wirtschaft und Recht zusammengekommen sind, um die Wirtschaft und ihre Ordnung geschlechterkritisch zu durchleuchten. Dass Mädchen von hübschen Elfen, Jungen von mutigen Monstern träumen sollen, versteht man hier als Teil des Problems.

„Geschlechtergerechtigkeit in herausfordernden Zeiten“ lautet das Konferenzthema der Internationalen Gesellschaft feministischer Ökonominnen (IAFFE). Es geht um die ganz großen Fragen der Weltpolitik: um die Euro-Krise, Griechenland, Migration und Flucht – und um eine Vision vom guten Leben für alle, nicht zuletzt für Frauen. Seit 1992 bringt die IAFFE mit Sitz in Lincoln/Nebraska jedes Jahr Ökonominnen, Politiker und Studierende zusammen, um eine feministische Blickweise auf die Wirtschaftsordnung zu etablieren.

Die griechischen Frauen tragen überwiegend die Last der Familienpflege und der Gemeindearbeit

Über hundert Vorträge wurden jetzt in Berlin gehalten, und am Ende gar eine gemeinsame Resolution verfasst. Mit ihr wenden sich die Ökonominnen gegen die Austeritätspolitik der EU, insbesondere gegen die der deutschen Bundesregierung. Deren Sparpolitik wird zwar in diesen Tagen allenthalben kritisiert, selbst vom IWF. Die IAFFE aber hält den Finger feministisch in die bislang übersehene Wunde: Die Einschnitte gelten allen Menschen in Griechenland. Aber Frauen treffen sie besonders, weil sie überwiegend die Last der Familienpflege und der Gemeindearbeit tragen. Und dann schlagen die Kürzungen auch noch genau in jenen Arbeitsmarktfeldern durch, in denen vor allem Frauen tätig sind: Service, Pflege, Kinderbetreuung, sagte Sylvia Walby, die einen Unesco-Lehrstuhl für Geschlechterforschung innehat.

Der Markt wird als neutrales Fatum wahrgenommen - auch als geschlechtsneutrales

Es gebe jedoch eine strukturelle Blindheit dafür, dass Männer und Frauen unterschiedlich stark von der Krise betroffen sind. In den aktuellen IWF- und EU-Papieren tauche das Wort „Gender“ nirgendwo auf. Man nehme den Markt überhaupt nur als neutrales (und natürlich geschlechtsloses) Fatum wahr, das sich unsichtbar selbst reguliere, kritisierte Walby. Dabei sei die Krise eine unmittelbare Konsequenz passiver Nicht-Politik, die in vorauseilendem Gehorsam Finanzkürzungen verhängt habe. Die EU müsse aber als politische Akteurin auftreten und ihren Einflussbereich selbstbewusst gestalten. „Fiskalischen Feminismus“ nannte Walby eine Ökonomie, die reflektiert, welche wirtschaftlichen Instrumente welche Konsequenzen haben – und für wen (Banken, Menschen, Männer – Frauen?). Konkret bedürfe es einer Finanztransaktionssteuer sowie kostspieliger Sanktionen gegen Steueroasen und -hinterziehung, um zu verhindern, dass die Lebensbedingungen vor allem von Frauen immer weiter unterminiert werden. Wirtschaft sei also „ein feministisches Großprojekt“.

Europa soll nicht als "neoliberale Maschine" verteufelt werden

Daniela Bankier, Generaldirektorin für Gleichstellung der Europäischen Kommission und qua Amt EU-Lobbyistin, warnte hingegen davor, Europa als „neoliberale Maschine“ zu verteufeln. Auch Walby sagte, so wohlfeil argumentierten nur jene, die keinen Blick für die grundsätzlich positiven Teilhabechancen für Frauen hätten. Aber natürlich gehe es um Handlungsmacht: Für wen wird Wirtschaftspolitik eigentlich gemacht?

Wie in Griechenland stehen Frauen auch in anderen europäischen Ländern im Schnitt schlechter da, wie Bankier ausführte. Zwar sind Mann und Frau hier rechtlich gleichgestellt, und auch steigen die Erwerbsquoten der Frauen kontinuierlich. Allerdings gebe es zwischen den 28 EU-Staaten erhebliche Schwankungen, etwa was Durchschnittslöhne und Vorstellungen von Kinderbetreuung angehe. So seien Frauen weiterhin im Nachteil: „Die meisten Frauen arbeiten nur Halbzeit, haben schlechtere Arbeitsbedingungen, Verträge und Gehälter“, sagte Bankier.

"Die EU sollte Afrika gegenüber in Gender-Fragen nicht patronisieren"

Peace Musiimenta von der Makerere-Universität in Kampala merkte an, dass sie die strukturellen Arbeitsmarktprobleme in der EU sehr an das patriarchal dominierte Uganda erinnern, wo Frauen zwar arbeiten, aber im Alter ähnlich schlecht abgesichert sind: „Die EU sollte Afrika gegenüber in Gender-Fragen lieber nicht patronisierend auftreten.“

Die ökonomischen Ungleichheiten bedeuten für die Frauen finanzielle Abhängigkeit von Männern, oft genug auch Armut, vor allem im Alter. Man diskutierte, welche Instrumente helfen: Quoten? Kinderbetreuung? Mindestlohn? Ja, schon. Aber man müsse struktureller denken und alte Gleichstellungsinstrumente auf den Prüfstand setzen, meinte Ute Klammer, die frühere Vorsitzende der Gleichstellungskommission der Bundesregierung: „Teilzeit“ etwa basiere immer noch auf dem Prinzip „Anwesenheitskultur“. Und neue flexible Arbeitszeitmodelle kämen nur dem kleinsten Teil der Arbeitnehmerinnen in Spitzenjobs zugute. Bankier forderte die Wissenschaftlerinnen auf, vor allem das Zusammenspiel mehrerer Gleichstellungsmaßnahmen zu erforschen. Warum etwa stagnierten die Zahlen von Frauen in MINT-Berufen trotz enormem Marketingaufwand der EU? Wie stärkt man Mädchen und Frauen, ohne alte Geschlechterstereotype zu aktivieren?

Frauen verlassen arme Länder, um Leute im reichen Westen zu pflegen

Joan Tronto von der University of Minnesota spannte den Rahmen global auf, um über eben jenes Thema zu sprechen, das Menschen weltweit schon seit der Kolonialzeit in wirtschaftliche Abhängigkeiten treibt: „Care“ (Sorge, Pflege). Mehr als 300 Millionen Menschen weltweit leisteten körperlich zehrende, schlecht bezahlte und wenig anerkannte Care-Arbeit: Pflege von Kindern, Alten, Kranken. Überwiegend handelt es sich um Frauen, die noch dazu häufig ihre Heimat verlassen, um im globalen Norden die gehobenen Gesundheits- und Life-Style-Standards der Industriegesellschaft sicherzustellen. Es gebe einen „Care Drain“, eine „Pflege-Abwanderung“: Afrika etwa trage 24 Prozent der globalen Krankheitslast, stelle aber nur drei Prozent aller ausgebildeten Pflegekräfte und Ärzte – die wiederum zunehmend den Kontinent verlassen, um den Pflegebedarf in der EU und den USA zu decken.

Die Migrationsströme der Moderne, sagte Tronto, gründeten seit jeher im kolonialistischen Prinzip der Schufterei, die von den „Anderen“ erledigt werden müsse. Ein nicht nur ethisches, sondern auch ökonomisches Problem: „Alle Menschen auf der Welt bedürfen der Pflege. Alle sind betroffen.“ Was also tun? „Wir müssen uns endlich dekolonisieren. Die demokratischen Staaten müssen Verantwortung für Care als soziale Aufgabe aller für alle übernehmen“, sagte Tronto. Einseitige Ausbeutung der Arbeitskraft von Frauen und Menschen, die aus Armut ihre Heimat verließen, sei keine Option: „Care kostet. Und irgendwer zahlt dafür den Preis.“ Die IAFFE ließ keinen Zweifel daran, wer das ist.

In der Resolution fordert sie einen sofortigen Schuldenschnitt für Griechenland und „eine progressive Fiskalpolitik, die eine gerechte Verteilung der Einkommen zwischen Arbeit und Finanzkapital ins Auge fasst“. Es brauche eine Unterstützung „der Prozesse sozialer Reproduktion, die es den Frauen und Männern ermöglicht, in Würde zu leben und zu arbeiten“. Dafür müssten gute Arbeitsverhältnisse geschaffen werden; es brauche eine „substanzielle Reduzierung der Arbeitszeit für alle und Investitionen in öffentliche Dienste und Sorgeeinrichtungen“. Die Sparpolitik sei ob der beiden Weltkriege nachgerade geschichtsvergessen. Schließlich sei die EU einst nicht zum Zwecke ökonomischen Wachstums gegründet worden, sondern um Frieden und ein gerechtes Zusammenleben zu sichern.

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