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Verhandelt. Das Agieren von Börsianern erscheint oft irrational.

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Finanzmärkte und Philosophie: Die kreative Kraft des Spekulierens

Was haben Philosophen und Börsenhändler gemeinsam? Medienwissenschaftler versuchen, die Finanzmärkte besser zu verstehen. Sie kommen zu dem Schluss, dass Kritikern häufig ihr idealistisches Bild der Finanzwelt im Wege steht.

Die Spekulation hat keinen guten Ruf. Solche, die am Finanzmarkt stattfindet, schon mal gar nicht. Für viele ist sie eine Art Roulettespiel, das wenige Gewinner und viele Verlierer produziert. Es reicht ein Stichwort: Euro-Krise. Auch eine andere Form der Spekulation hat es nicht leicht, wenn auch aus anderen Gründen: Das kritische Denken. Es wird als unproduktiv abgetan, weil es keine direkte materielle Leistung erbringt. Die Erkenntnisse der Philosophie haben jedenfalls noch niemandem geholfen, ein Auto zu bauen.

Dass beide Bereiche mehr verbindet als ein Imageproblem, behauptet die Gesellschaft für Medienwissenschaft. Sie hat gerade ihre Jahrestagung zum Thema Spekulation veranstaltet, in Frankfurt am Main, gewissermaßen im Doppel-Zentrum der Spekulation. Hier ist die Finanzwirtschaft beheimatet. Und hier gründete die Frankfurter Schule die Kritische Theorie, eine der bedeutendsten philosophischen Richtungen des 20. Jahrhunderts.

Auf ihrer Tagung haben die Medienwissenschaftler vor allem eines festgestellt: Dass die Kritik an der Spekulation häufig am eigentlichen Problem vorbeiläuft. Wer Börsenhändlern vorwirft, sie handelten irrational, habe nämlich selbst ein idealistisches Bild vom Finanzsystem, meint der Medientheoretiker Andreas Jahn-Sudmann von der Universität Göttingen. Sein Kollege Jens Schröter aus Siegen sagt: „Es wäre wichtig, festzustellen, dass der Kapitalismus krisenhaft ist, ohne dass Menschen Fehler machen.“

Unter einem Spekulanten stellt man sich gern einen gierigen Banker vor, der sein Geld damit verdient, Kursentwicklungen vorauszusagen. Seine Gewinne, werfen ihm Kritiker vor, stehen in keinem Verhältnis zu seiner Arbeitsleistung, verglichen mit der „realen“ Wirtschaft, in der Fleiß noch etwas gelte. „Kapitalismuskritik funktioniert nicht ohne finstere Gesellen“, sagt Jahn-Sudmann, „und gierige Banker gehen als Feindbild eigentlich immer“. Weil sie auf Preise anstatt auf Güter setzen, scheint ihr Handeln irrational.

In der Tat kann niemand erklären, warum Menschen immer wieder einem Spekulationshype anheimfallen, „obwohl man aus vergangenen Jahrhunderten hätte lernen können“, sagt Jahn-Sudmann. Den Vorwurf, den Bankern fehle eine empirische Grundlage für ihre Geschäfte, hält er aber für ungerechtfertigt.

Denn das kapitalistische System sei überhaupt erst entstanden, weil es sich auf empirische Daten berief – zur gleichen Zeit der Aufklärung, als die Spekulation in der Wissenschaft durch Empirie zurückgedrängt wurde. Die Börse galt lange als Ort der Effizienz, des fairen Marktes, weil Geld – gedacht als bloße Recheneinheit – den Tausch von Gütern erleichterte. Im Lateinischen bezeichnet speculatio nicht etwa das Glücksspiel, sondern den „Rundblick“. Sie steht für eine Methode der Folgenabschätzung.

Hier zeigt sich der größte Unterschied zwischen der philosophischen Spekulation und der finanziellen. Denn für Medientheoretiker markiert der ungewisse Ausgang einen Bruch mit der Norm. Spekulation ist eine kreative Kraft und muss, findet Jahn-Sudmann, „als notwendige Praxis des Denkens verteidigt werden“.

Wie die Finanzwelt versucht, sich gegen Überraschungen zu wappnen

Im Gegensatz dazu ist die Finanzwelt darauf bedacht, möglichst wenig Überraschungen zu erleben. Dazu häuft sie Wissen an. Sie versucht, „aus der Zukunft der Vergangenheit eine gegenwärtige Zukunft vorauszusagen“, wie es Jahn-Sudmann beschreibt. Wissen wird in Diagrammen und Datenbanken organisiert. „Die Tabelle legitimiert das Handeln.“ Für Jahn-Sudmann ist die Kritik an der Spekulation in Wirklichkeit ein Eingeständnis: Die empirische Forschung, auf die Banker ihr Geschäft stützen, hilft nur begrenzt. Denn die Tabelle verspricht Kontrolle über eine unkontrollierbare Zukunft.

Wer stärker regulierte Finanzmärkte fordert, sitzt in den Augen des Wissenschaftlers einem Missverständnis auf. Als Beispiel nennt er die computerbasierte Spekulation, bei der in Sekundenbruchteilen Aktien gekauft und wieder abgestoßen werden. „Wenn an der Börse etwas schiefläuft, werden Fehler gern darauf geschoben, dass keiner mehr die komplizierten Algorithmen versteht und Transaktionen einfach zu schnell gehen“, sagt Jahn-Sudmann. Dabei wird vergessen, dass Computer ja gerade deshalb eingesetzt werden: um die Fehlerhaftigkeit menschlicher Spekulanten zu vermeiden, wie Christian Bächle von der Uni Bonn ergänzt. Denn anders als die Computer glauben Händler einem Trend erst, wenn sie die eigenen Rechnungen überprüft haben. Dann ist es allerdings für große Gewinne meist zu spät.

Kritiker, die Spekulation mit einem Tempolimit belegen wollen, glauben daran, dass das marktwirtschaftliche System nur „richtig“ gesteuert werden müsse, um eine Krise (verursacht durch Banker oder Maschinen) zu vermeiden, sagt Jahn-Sudmann. Dass das System selbst instabil ein könnte, wird viel zu selten gefragt, findet er.

Genau das mache aber die Kritische Theorie. Deren Vertreter, die an die Ideen von Karl Marx anknüpfen, ziehen in Erwägung, „dass die Welt anders sein könnte und oft anders sein sollte“, wie Jens Schröter es ausdrückt. Bei den Möglichkeiten dafür bleiben die Medienwissenschaftler wage. Indem sie so unterschiedliche Spekulationsmodelle wie das der philosophischen Reflexion und der Finanzwelt ins Gespräch bringen, zeigen sie jedoch, dass Kritiker und Banker gleichermaßen von der Kontrolle der Zukunft träumen.

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