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Junge Männer sitzen in einem Klassenraum an Tischen und Arbeiten in Lehrbüchern.

© TU Berlin/Studienkolleg

Flüchtlinge an Berliner Universitäten: „Die bringen wir wunderbar ins Studium“

Ingenieure ihrer Zukunft: Wie sich junge Flüchtlinge an Berliner Universitäten ins Studium kämpfen - zwischen Lageso, Heim und Hörsaal.

Seinem Traum, an der Technischen Universität Berlin Maschinenbau zu studieren, ist Ibrahim Mousa schon ziemlich nahegekommen. Der 21-jährige Syrer lernt am Studienkolleg der TU in der „Flüchtlingsklasse“ Deutsch und die Fachsprachen, die er für ein Ingenieurstudium braucht. Nach ein paar Monaten auf dem Campus und als Gasthörer in einer Vorlesung ist er sich sicher: „Das hier ist meine Uni, das sind meine Kommilitonen. Sie denken wie ich, als Ingenieure.“ Auch Fady Mahrous, der in Ägypten kurz vor dem Bachelorabschluss in Maschinenbau stand, ist optimistisch: „Wenn ich in die Bücher sehe, weiß ich, dass ich es hier fachlich schaffen kann.“

Einige übernachten noch immer vor dem Lageso

Den intensiven Sprachkurs packen Ibrahim, Fady und ihre 22 Mitstreiter trotz widriger äußerer Umstände. „Jeden Tag habe ich Unterricht, aber ich muss trotzdem zum Lageso, für Papiere, Geld, Wohnung“, sagt Ibrahim Mousa. Um einen Termin zu bekommen, übernachten einige der Kollegiaten noch immer vor der Behörde in der Turmstraße. In ihren Wohnheimzimmern ist konzentriertes Lernen fast unmöglich. Trotzdem haben bislang alle bis auf einen Aussteiger und einen, der nach einer Krankheit zurückgestuft wurde, durchgehalten. „Super motiviert und leistungsbereit“ sei die Gruppe, sagt die Leiterin des Studienkollegs, Claudia Börsting.

Im Aufnahmetest gegen 100 Mitbewerber durchgesetzt

Im Herbst 2015 hatten sich die Anfang bis Ende 20-Jährigen im Aufnahmetest gegen 100 Mitbewerber durchgesetzt. Derzeit bereiten sie sich auf die Deutsch-Abschlussprüfung vor. Ziel ist das Bestehen der „Feststellungsprüfung Deutsch“ auf dem Sprachniveau C1 – und damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein reguläres Studium.

Nach dem Start des ersten Kurses an der TU im November ist im März ein weiterer dazugekommen, der dritte beginnt im Mai. Dann werden sich gut 70 Flüchtlinge – in den neuen Klassen auch einige junge Frauen – auf ein Studium in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) vorbereiten. Am Gasthörer-Programm „In(2)TU“, zu dem der Sprachkurs gehört, nehmen insgesamt 172 Geflüchtete teil.

So motiviert, dass sie die Pausen vergessen

Auch an den anderen großen Berliner Unis hat sich seit den ersten Einladungen zum Gaststudium im Sommer 2015 viel getan. An der Freien Universität haben im vergangenen Herbst ebenfalls 70 Geflüchtete mit einem Sprachkurs begonnen. Die am weitesten fortgeschrittene Gruppe ist jetzt ans dortige Studienkolleg gewechselt. „Sie erleben die Uni als Begegnungsraum außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft und sind so motiviert, dass sie manchmal die Pausen vergessen“, sagt Florian Kohstall, Koordinator des Programms „Welcome@FUBerlin“.

Die Humboldt-Universität hat seit dem vergangenen Wintersemester 106 Gasthörer aufgenommen, gleichzeitig laufen zwei Sprachkurse mit insgesamt 50 Teilnehmern. Das Interesse der Geflüchteten ist weiterhin sehr groß, heißt es unisono, an der HU kommen bis zu 100 Studieninteressierte zu den Informationsveranstaltungen, an der FU waren es zuletzt 180.

Geld für neue Kurse ist da, aber es fehlen Räume und Lehrkräfte

„Wir könnten beliebig viele Kurse aufmachen“, sagt Claudia Börsting. Geld sei dank der Förderung durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und den Berliner Senat genug da. Vom DAAD kommen (aus Mitteln des Bundesbildungsministeriums) 1,1 Millionen Euro an die TU, der Senat hat bislang insgesamt 900 000 Euro für Berliner Programme bereitgestellt. Damit sei die Finanzierung der MINT-Sprachkurse bis Ende 2019 gesichert, sagt TU-Präsident Christian Thomsen. Laut Börsting fehlen aber Räume und geeignete Lehrkräfte für Deutsch als Fremdsprache.

Vor dem Einstieg in den Master oder in höhere Bachelor-Semester

Die Kollegleiterin unterrichtet den ersten MINT-Vorbereitungskurs in der Fachsprache Mathematik und sieht die Chancen der Flüchtlinge ebenso optimistisch wie sie selber: „Die bringen wir wunderbar ins Studium, die fachliche Basis ist da.“ Schon jetzt würden die jungen Syrer, Afghanen, Iraker, Iraner und Ägypter auf Deutsch mathematische Probleme diskutieren. Die Hälfte bringe einen abgeschlossenen Bachelor mit und könne ins Masterstudium einsteigen, zwei wollten sich für das erste Fachsemester im Bachelor bewerben und der Rest für höhere Bachelor-Semester – mehrheitlich in Fächern, die an der TU nicht zulassungsbeschränkt sind. Ein Kollegiat mit Masterabschluss hat sogar schon einen Doktorvater und einen Praktikumsplatz in einem Berliner Unternehmen gefunden.

An der HU können die meisten "theoretisch studieren"

An der HU ist man sich über die Bewerberlage nicht so klar wie an der TU. Die Humboldt-Uni hat kein Studienkolleg, setzt auf die Vorbereitung durch das Gasthörerstudium und auf Sprachkurse, in denen es offenbar langsamer vorangeht. Laut Jochen O. Ley, dem Leiter der Studienberatung, könnten zwar 70 Prozent der HU-Gaststudenten „theoretisch studieren“. Aber nur wenige würden bis zum Studienbeginn in diesem Herbst die nötigen Sprachkenntnisse haben und damit die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) schaffen. Die müssen internationale Studierende ablegen, die kein Studienkolleg besucht haben. An der FU geht Vizepräsident Klaus Hoffmann-Holland davon aus, dass die 20 Teilnehmer des Propädeutikums am Studienkolleg zum Herbst ins reguläre Studium starten können, wie er kürzlich im Akademischen Senat sagte.

Wie schaffen sie die Hürde Uni-Assist? Die TU verspricht Einzelfallhilfe

Eine der Hürden, die Flüchtlinge an allen Unis überwinden müssen, ist Uni-Assist. Die Serviceagentur prüft ihre Studienberechtigung. Zwar ist die Begutachtung von Zeugnissen durch Uni-Assist seit dem 1. März für registrierte Flüchtlinge, die einen Test über ihre Studierfähigkeit (TestAS; Test for Academic Studies) oder einen Beratungsschein von einer Uni vorlegen, kostenfrei. Viele Flüchtlinge aber fürchten das komplizierte Antragsverfahren. Claudia Börsting versichert, im Studienkolleg würden die Flüchtlinge dabei an die Hand genommen, mit einem Schritt-für-Schritt-Leitfaden im Internet und Hilfe von Tutoren.

Viele in der "Flüchtlingsklasse" fürchten, ohne Finanzierung dazustehen

Die nötigen Zeugnisse aus der Heimat hätten bislang alle Teilnehmer des Studienkollegs vorlegen können, sagt Börsting. Der Verlust von Dokumenten auf der Flucht, für den die Kultusminister im Dezember ein Anerkennungsprozedere vereinbart hatten, spielt bislang keine Rolle, heißt es auch aus den anderen Unis. Offensichtlich ist es den meisten gelungen, Schul- und Unizeugnisse mitzubringen oder nachträglich zu besorgen.

Ist also für Fady Mahrous und Ibrahim Mousa der Traum vom Studium in Berlin wirklich zum Greifen nahe? Eben haben die beiden noch von der internationalen TU und ihren Möglichkeiten geschwärmt, jetzt werden sie ernst. „Das große Problem ist die Anerkennung als Flüchtling“, sagt Ibrahim. Die fehlende Aufenthaltsgenehmigung hindert sie de facto zwar nicht am Studium: Das Studierverbot für Asylbewerber ist im September 2015 aufgehoben worden. Die Ausländerbehörde verzichtet seitdem auf einen entsprechenden Stempel in den Papieren, frühere Vermerke sind ungültig. Doch viele in der "Flüchtlingsklasse" fürchten, ohne Finanzierung dazustehen, wenn sie ein Studium aufnehmen.

Die Rechtslage ist kompliziert - nicht nur aus der Sicht der Flüchtlinge

Erst sieben von ihnen haben eine Anerkennung als Flüchtling oder Asylsuchender und damit einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Sie erhalten derzeit schon Schülerbafög und können die staatliche Ausbildungsförderung auch als Studierende beantragen. Wer aber nur geduldet ist oder einen anderen humanitären Aufenthaltstitel hat, muss 15 Monate warten, bis er Bafög-berechtigt ist. Das ist gegenüber der bis Ende 2015 geltenden Regelung, nach der die Wartezeit vier Jahre betrug, ein großer Fortschritt. Doch die jungen Männer sehen sich für das kleine Wunder bestraft, dass sie kurz nach der Flucht schon am Studienkolleg angenommen wurden und in weniger als 15 Monaten fit für eine aussichtsreiche Bewerbung sind. „Wir können Studenten werden, aber wir haben kein Geld zum Leben“, sagen die Kollegiaten.

Die Lücke, die bleibt: Länger als 15 Monate hier und nicht anerkannt

Der Rechtslage nach ist das ein Missverständnis, das aber nicht nur bei den Flüchtlingen, sondern offenbar auch bei den Unis tief sitzt. Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach hat kürzlich in einem Brief an die Unileitungen klargestellt: Flüchtlinge im Asylverfahren büßen die staatlichen Leistungen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten, in den ersten 15 Monaten nicht ein, wenn sie ein Studium aufnehmen. Das hat jetzt die Bundessozialministerin bestätigt – wie zuvor von den Wissenschaftsministern gefordert. Für noch nicht anerkannte Flüchtlinge, die länger als 15 Monate in Deutschland sind und studieren, bleibt aber eine Finanzierungslücke. Hier dränge Berlin weiter auf eine Klärung, verspricht Krach.

"Dann müssen wir eben arbeiten und studieren"

Kein Bafög, unklare Aussichten auf Sozialhilfe? Ibrahim Mousa bleibt pragmatisch: „Dann müssen wir eben arbeiten und studieren.“ Mit seinen Sprachkenntnissen – Kurdisch, Arabisch, Türkisch und inzwischen auch Deutsch – dürfte das in Berlin kein Problem sein. Gleichwohl bleibt für die jungen Männer noch so vieles zu klären: mit der Studienberatung, mit der Uni, mit Uni-Assist, mit der Ausländerbehörde und mit dem Jobcenter und bei der Wohnungssuche.

Damit geht es ihnen wie vielen anderen, die in Berlin studieren wollen. Nur, dass ihre Situation an vielen Stellen noch weitaus komplizierter ist.

Hinweise zu den konkreten Beratungs- und Studienangeboten der Berliner Hochschulen finden Sie hier.

Und hier sind die Flüchtlinge am Studienkolleg der TU Berlin in einem Podcast der Uni zu hören.

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