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Die Gunst der Stunde. Der Bund soll mehr in der Schule und der Hochschule mitreden dürfen, meinen viele. Eine Verfassungsreform, die ihm das erlaubt, halten Politiker für machbar – immerhin winken den Ländern Milliarden.

© dpa

Föderalismusreform: Lex Elite

Die Koalition will die Verfassung ändern, der Bund soll auch Hochschulen als Einrichtungen finanzieren dürfen. Doch nicht allen Unis hilft das, sagen Kritiker - sondern nur den exzellenten. Unterschiede zwischen Hochschulen würden sich verschärfen.

Über Deutschlands Schulen und Hochschulen baumelt eine dicke Wurst. Zusätzliche Milliarden locken: für bessere Ganztagsangebote, für die Inklusion behinderter Schüler oder für dauerhaft mehr Personal an den Unis. Alles wird möglich, wenn der Bund die Mittel geben darf. Tatsächlich wächst die Bewegung derer, die dem Bund mehr Einfluss in der Bildung geben wollen. Alle Oppositionsfraktionen im Bundestag haben Anträge auf eine Verfassungsänderung gestellt, Hamburg und Schleswig-Holstein ebenfalls, die Kassenlage gebietet es. Manchen scheint die Wurst darum schon zum Greifen nah: „Wir müssen die Gunst der Stunde nutzen“, rief die Grüne Krista Sager am Montag im Bildungsausschuss des Bundestages, wo die Abgeordneten stundenlang Experten befragten.

Wie günstig aber ist die Stunde wirklich? Je größer die angestrebte Lösung, desto schwieriger wird es, für sie die nötige Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag zu gewinnen. So hat Bayern schon gesagt, dass es bei einer Verfassungsänderung, die dem Bund wieder die Schulpolitik erlaubt, nicht mitmachen will. Die SPD im Bundestag hat hingegen schon gesagt, dass sie nur dann eine Reform mitmacht, wenn auch die Schule davon berührt ist. Denkbar wäre sonst auch eine kleinere Reform, die die Schule außen vor lässt und dem Bund nur die dauerhafte Finanzierung der Hochschulen erlaubt. Er könnte dann nicht nur wie bisher zeitweise zusätzliche Studienplätze finanzieren, sondern in die Grundfinanzierung einsteigen.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan und die Koalition halten offenbar auch das schon für eine zu verwegene Lösung – vielleicht nehmen sie auch Rücksicht auf den Bundesfinanzminister. Bisher wollen die Koalitionäre dem Bund lediglich erlauben „Einrichtungen an Hochschulen“ zu fördern. In dieser Spielart sahen die Experten im Wissenschaftsausschuss indes kaum mehr als eine „Lex Exzellenzinitiative“. Offenbar sei damit nur an die Förderung einiger Spitzeninstitute gedacht, nicht aber an die Hochschulen in der ganzen Breite: „Das wird die Unterschiede zwischen den Hochschulen weiter verschärfen“, sagte Dorothee Stapelfeldt von der Hamburger Wissenschaftsverwaltung.

Auch in den Ohren von Wolfgang Löwer, Professor für Öffentliches Recht in Bonn, klingt die von der Koalition geplante Formulierung „Einrichtungen an Hochschulen“ so, als gehe es eher um Kooperationen der Unis mit „Max Planck und Co“. Löwer will darum lieber gleich alle Unklarheiten aus dem Weg räumen und Bund und Ländern „eine Kooperation ohne Grenzen“ erlauben: „Das Finanzierungsdefizit besteht schließlich in der Grundfinanzierung“ erklärte er. Dem Bund müsse es etwa gestattet sein, an die Länder einen „Lehr-Zusatzbeitrag“ zu zahlen, mit dem dann die Studienbedingungen verbessert werden könnten.

Wolfgang Marquardt, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, will ebenfalls mehr als die Koalition plant. Der Bund könnte dann „ausgewählte Hochschulen, die bereits heute international sichtbar sind“, fördern, aber auch einzelne Forschungsschwerpunkte einer Hochschule oder bestimmte Kooperationen. Jedenfalls erzeuge die finanzielle „Asymmetrie“ zwischen den besser ausgestatteten außeruniversitären Instituten und den Hochschulen „Fliehkräfte, die das System auf Dauer nicht aushalten kann“.

Im Bildungsausschuss waren mehrfach Sympathiebekundungen für neue Bundeskompetenzen auch in der Schule zu hören. Die Länder sind für die Größe ihrer Kernaufgabe finanziell nicht ausgestattet. Dass der Bund demnächst großzügig Umsatzsteuerpunkte an sie abgibt, ist aber unwahrscheinlicher als eine Verfassungsreform. Vom Bund wird jedoch nicht nur zusätzliches Geld für die Schulen erhofft, sondern auch eine ordnende Hand. Der Pisa-Forscher Manfred Prenzel, Professor an der TU München, hat den Eindruck, dass die 16 Länder es trotz verschiedener Schritte in die richtige Richtung nicht schaffen, die großen Leistungsabstände untereinander zu verringern. Das stelle aber ein „Gerechtigkeitsproblem und ein Problem der Gleichwertigkeit“ der Schulabschlüsse in Deutschland dar. Da, wo die Kultusminister gemeinsame Bildungsstandards beschließen wie jüngst fürs Abitur, sieht Prenzel keine echte Bereitschaft zu deren Umsetzung durch gemeinsame „Evaluationssysteme“. Die fehlende Vergleichbarkeit sei „dramatisch“. Prenzel zweifelt daran, dass es den Kultusministern „ohne tatkräftige Impulse und finanzielle Unterstützungen des Bundes“ gelingen wird, „Innovationen auf den Weg zu bringen oder für vergleichbare Ausgangsbedingungen und Zielorientierungen in den Ländern zu sorgen“. Bei der Aus- und Fortbildung von Lehrern gelte dies genauso wie bei dem seit langem vermissten bundesweiten Programm zur Förderung der Lesekompetenz. Die Aufhebung des Kooperationsverbots gebe zwar „keine Garantie für eine erfolgreiche Bildungspolitik“, es behindere jedoch „Innovationen und gemeinsame Anstrengungen im Bildungsbereich“, sagte Prenzel.

Wie geht es weiter? Die politische Lage ist undurchsichtig. Die SPD-Länder haben sich hinter einem Antrag versammelt, doch es ist auch von Abweichlern die Rede, die die Schule zur Not sausen lassen würden. Und selbst, wenn man dabei bliebe, dass der Bund Schule und Hochschule machen soll: Es wird weiter über das Wie diskutiert. Ändert man den Artikel 91b, ist das aus länderpsychologischer Sicht wenig feinfühlig: Der Bund bekäme mit einer neuen Gemeinschaftsaufgabe eigene Gestaltungsbefugnisse. Schafft man einen neuen Artikel 104c, der es dem Bund ermöglicht, Finanzhilfen in Bildung und Wissenschaft zu gewähren, tritt der Bund zurückhaltender in Erscheinung. Umstritten ist auch, ob die Länder Bundeshilfen immer einstimmig zustimmen sollen müssen oder ob eine drei Viertel oder zwei Drittel Mehrheit reichen soll.

Möglich, dass es vor den Bundestagswahlen zu keiner Einigung mehr kommt. Vielleicht finden die Akteure ja aber doch zusammen. Es geht schließlich um die Wurst.

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