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Forschung: Klare Regeln für Kreativität

Um großartige Bilder, Gedichte und Theorien zu schaffen braucht man Freiräume – und feste Strukturen.

Kreativität – das ist ein Bild von Picasso, ein Gedicht von Goethe, eine Theorie von Einstein. Aber woher kommen neue Gedanken, diese „kurzen Momente der Ewigkeit“, wie die Hirnforscherin Hannah Monyer sie nennt? Darüber diskutierten am Wochenende Psychologen und Neurowissenschaftler beim Symposium „Geistesblitz und Neuronendonner“ vom Turm der Sinne in Nürnberg.

Dabei wurde vor allem eines klar. Eine wirkliche Kreativitätsforschung gibt es bisher nicht. Es gibt noch nicht einmal einen validen Kreativitätstest, auch darin sind sich die Wissenschaftler einig. Man kann Menschen zwar bitten, sich möglichst viele Dinge auszudenken, die man etwa mit einer Sicherheitsnadel machen kann. Die Kreativität lässt sich damit aber nicht messen. „Man kann deswegen nur biografische Forschung machen“, sagt Rainer Holm-Hadulla, Professor am Kölner Center for Advanced Studies. Das bedeutet: Menschen untersuchen, die etwa große Preise gewonnen oder große Gedichte geschrieben haben.

Diese Forschung hat eine verblüffend einfache Antwort darauf, was entscheidend ist für den kreativen Prozess. Dass man das, was man tut, auch gerne tut. „Das zeigt die biografische Forschung von Goethe bis Einstein“, sagt Holm-Hadulla. „Die haben nicht geforscht oder gemalt, um berühmt zu werden, sondern, um das, was sie machen, gut zu machen.“

„Intrinsisches Interesse“ nennen das Psychologen. Und das ist häufig stärker als jede Form der äußeren Belohnung. So hat eine Studie an der Harvard-Universität ergeben, dass eine Gruppe von Kindern, die Lernerfolge mit Schokolade versüßt bekommt, weniger erfolgreich ist, als eine, die keine solche Belohnung erhält. Vermutlich, weil die Kinder dann stärker auf ihre eigene Motivation angewiesen sind.

Nicht nur mit Schokolade, auch mit Drogen lassen sich geniale Geistesblitze nicht auslösen. „Rauschmittel hemmen die Motivation, so dass man gar keinen Antrieb hat, kreativ zu sein“, sagt die Psychologin Tanja Gabriele Baudson von der Universität Trier. Außerdem steige durch Rauschmittel nicht die Kreativität, es nehme nur die Selbstkritik ab. Was man leistet ist also nicht wirklich besser, man hat lediglich das Gefühl es sei der große Wurf. Viele große Schriftsteller hätten zwar getrunken, sagt Baudson. „Aber dann haben sie eben nicht geschrieben.“

Auch vom Bild des verrückten Genies hat man sich in der Forschung verabschiedet. „Der Zusammenhang von Genie und Wahnsinn ist eindeutig ein Mythos“, sagt Holm-Hadulla. „Außergewöhnlich kreative Menschen sind nicht gefährdeter als andere Menschen.“ Eine Ausnahme gebe es allerdings, die Dichter. Die haben Studien zufolge ein viel höheres Risiko, in eine tiefe Krise zu geraten und eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, Selbstmord zu begehen. Für viele andere aber, ob Forscher, politische Aktivisten oder bildende Künstler gelte das nicht.

Der Kölner Forscher hat auch ganz praktisch mit Kreativität zu tun. Er berät Künstler und Wissenschaftler, die in einer Schaffenskrise stecken. Sein wichtigster Tipp lautet: „Man muss Kreativitätshemmnisse entfernen.“ An oberster Stelle stehen für ihn die Bilderfluten von Fernsehen und Computerspielen. „Heute werden wir ständig von visueller Information überschwemmt. Deswegen sind viele Menschen gar nicht mehr in der Lage, ihre eigenen Bilder zu entwickeln.“ Nach Holm-Hadullas Ansicht ist das ein wesentlicher Grund dafür, dass gerade Jungen in der Schule immer schlechter werden.

Um Kreativität entfalten zu können, sei es wichtig, Kindern Freiräume zu geben, die nicht gefüllt sind mit Außenreizen, sagt er. „Sie sollten kleinen Kindern ein Blatt Papier und Malstifte geben und sich daneben setzen.“ Wenn das Kind nach ein paar Sekunden weglaufe, müsse jemand da sein, der sagt: „Nimm doch den anderen Stift noch mal und versuch es damit.“ Auch das Lernen eines Instrumentes sei förderlich. Weil das Kind lernt, sich auf etwas hinzubewegen. „Dieses Angebot muss man Kindern machen, damit sie verstehen, dass nicht immer beim nächsten Tastendruck etwas passiert und die sofortige Befriedigung einsetzt.“

Erstaunlicherweise benötigt Kreativität aber nicht nur Freiräume, sondern auch ein gewisses Maß an Stabilität und Struktur. Holm-Hadulla verweist auf Einstein und dessen „annus mirabilis“ 1905: Man kenne zwar den unorthodoxen Einstein, der die Zunge herausstreckte auf Fotos. „Aber in dieser Zeit, wo Einstein der unterhaltsame, politisch aktive, charmante Plauderer war, war er gar nicht mehr wissenschaftlich aktiv. Seine großen Durchbrüche hatte er, als er acht Stunden am Tag Patente prüfte, und sich abends seinen wissenschaftlichen Träumen hingab.“ Das passt zu den Aussagen vieler Neurobiologen, wonach kreative Prozesse offenbar häufig unbewusst ablaufen. „Wir brauchen gewissermaßen stabilisierende Tätigkeiten“, sagt Holm-Hadulla. „Dann kann man die kreative Freiheit auch leichter ertragen.“

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